Reportagen

Gert Hofmann zum Geburtstag

130129WienA

 

Am 29. Januar jährte sich der Geburtstag des Schriftstellers Gert Hofmann zum 82. Male. In seinem Geburtsort Limbach-Oberfrohna, in der Gaststätte »Stadt Wien«, wurde an den großen Sohn der Stadt gedacht. In der Gaststätte, keine 50 Meter vom ehemaligen Standort des Geburtshauses Hofmanns entfernt, verkehrte dessen Großvater. Als Kind holte Gert Hofmann hier, wie damals üblich, oft mit einer Kanne Bier vom Fass für den Großvater Karl Hofmann. Der Tisch, an dem Gert Hofmann bei seinem Besuch im Jahre 1990 mit seiner Gattin zuletzt gesessen hatte, der war an diesem Abend besonders geschmückt.

 

Wer war Gert Hofmann?

Er wurde am 29. Januar 1931 im sächsischen Limbach geboren, schloss die Leipziger Sprachschule in Englisch, Französisch und Russisch ab. Bereits als Student las er in Leipzig Werke der europäischen Klassik im Original. Nach einem Jahr wechselte er an die Universität in Freiburg/Breisgau. Dort schloss er nach einem Diplom in Germanistik mit einer Dissertation in Anglistik ab. »Interpretationsprobleme bei Henry James« war der lapidare Titel dieser Arbeit. Hofmann skizzierte mit jugendlicher Emphase und gleichzeitiger beeindruckender Nüchternheit die literarische Methode des amerikanischen Romanciers Henry James (1843–1916). Erst aus dem historischen Rückblick wird deutlich, dass Hofmann damit auch seine eigene literarische Methode entwickelte: Kunst, die für James mit Literatur identisch war, dürfe nicht versuchen aktualistisch sein zu wollen. Wenn sich die Kunst auf einen Wettlauf mit dem Leben einließe, dann verlören am Ende beide. Das Leben selbst habe keinen Sinn in sich. Dieser müsse von außen, z.B. von der Kunst in das Leben hineingetragen werden. So könne Kunst den Menschen vom tristen Alltagsleben erlösen. Dieses sei u.a. möglich, indem der Schriftsteller Größe darstelle. Jene finde man im Leben jedoch kaum, deshalb könne sie der Dichter notfalls auch erfinden. Größe sei aber keinesfalls Heldentum, Sterben für das Vaterland o.ä., sondern Denkversessenheit und Wachheit. Der Schriftsteller dürfe weder Handlungen »realistisch« beschreiben noch sich in psychologistischen Deutungen verlieren. Vielmehr gelte es, die Geschichte von einem bestimmten Punkt aus zu erzählen. Dies solle dann mit der Stimme eines Mediums erfolgen. James bezeichnete jenes Verfahren als »indirekte Methode«. Literatur hat nach James die Aufgabe, wahrhaftig zu sein. Doch Wahrheit sei ein komplexer Zusammenhang. Es gebe also keine einfachen Wahrheiten. Deshalb könne der Dichter im besten Falle Feinheiten und Nuancen deutlich machen. Dafür bedürfe der Schriftsteller jedoch einer mehrdeutigen, ambivalenten, assoziationsreichen Sprache.

Spätestens seit seiner Dissertation im Jahre 1957 war sich Gert Hofmann dieses literarischen Verfahrens bewusst. Obwohl er die Romane von James ausführlich analysiert hatte, scheute er damals dieses Genre. Er hielt es zunächst nicht mehr für möglich, eine abgeschlossene Epoche in einem abgeschlossenen Werk, so wird ein Roman allgemein bestimmt, darzustellen. Er zitierte mit Vorliebe den Satz von Thomas Mann, wonach heute alles als Roman gelte, was mit Sicherheit keiner sei. Zwischen 1951 und 1979 entstanden daher vorwiegend Hörstücke, Hörspiele, Theaterstücke, Fernsehspiele. Als Hörspielautor errang Hofmann 1983 den Hörspielpreis der Kriegsblinden und mehrere Preise europäischer Radiosender.

Schließlich wandte sich Gert Hofmann aber doch der Prosa zu. Anlass für diese Wende soll ein Hörspiel von Thomas Bernhard gewesen sein, das Hofmann im Autoradio hörte. Von da an hielt er Romane wieder für möglich. Allerdings setzte er an der Linie an, die von Henry James zu Thomas Mann führte: Gert Hofmann gestaltete die Romane fortan fast ausschließlich aus Dialogen. Damit wird die epische Tradition mit dramatischen Mitteln erneuert. Der Roman vermochte in diesem Stil plötzlich Geschichte zu vergegenwärtigen.

Der Erfolg gab Gert Hofmann zunächst Recht. Mit einem Kapitel der »Fistelstimme« gewann er den Ingeborg-Bachmann-Preis und mit »Auf dem Turm« von 1982 erhielt er den Alfred-Döblin-Preis. Danach tauchte bei Hofmann ein neues stilistisches Moment auf: Er setzte in den Romanen »Unsere Eroberung« (1985), »Veilchenfeld« (1987), »Der Kinoerzähler« (1990) und »Das Glück« (1992) Kinderstimmen als Medium ein. Alle vier Romane handeln in Limbach in der Zeit zwischen 1933 und 1945. In diesen Arbeiten entfaltet Gert Hofmann einen Stil, der in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seinesgleichen sucht (Klaus Walther), »seine mitleidlose Konzentration auf das Wesentliche« (Michael Hamburger), »alles geht hervor aus der aus dem Aufruhr, der Genauigkeit, der Unmittelbarkeit von Hofmanns Stimme«. (Christopher Middelton)

 

Der Kinoerzähler

»Mein Großvater war der Kinoerzähler vom Apollo-Kino in Limbach« – mit diesem Satz beginnt der Roman. Aber das heute so beliebte autobiographische Genre mochten weder Henry James noch Gert Hofmann. Deshalb musste man angesichts weiterer biographischer Details zum Leben seines Großvaters in Limbach, die Hofmann dem Roman beifügt, stutzig werden. Wenn er den Enkel dann auch noch »Gert« nennt, ist es der direkten Hinweise fast zuviel, dann wird der fiktionale Charakter der Geschichte fast »mit Händen greifbar«.

Ein Kinoerzähler mit dem Namen Karl Hofmann ist im Limbacher Apollo-Kino bis heute nicht nachweisbar. Der 1931 geborene Gert Hofmann konnte gar kein Zeitzeuge des Übergangs zum Stummfilm gewesen sein, weil dieser Ende der 1920er Jahre erfolgte. Das Limbacher Apollo-Kino stand nie in der Helenenstraße, sondern entstand zunächst im Hinterhof der stadtbekannten Konditorei Dittrich, an der Frohnaer Straße. Ende der 1920er Jahre erfolgte ein Neubau im Art-Deco-Stil an der Kreuzung von damaliger Frohnaer- und Peniger Straße. Dort steht dieses Apollo-Kino übrigens bis heute, und es wird noch als Kino genutzt.

Zur stilistischen Neuheit Hofmanns gehörte die Kinderperspektive. Dem Autor war bewusst, dass es Kinderstimmen aus der Erinnerung eines Erwachsenen sind. Er versucht nicht »kindlich« zu sein. Vielmehr ermöglicht ihm dieses Stilmittel eine nüchterne, vorurteilsarme Darstellung der Absurditäten des Staates.

Kritiker und Juroren waren mit dieser Weiterentwicklung dem Anschein nach überfordert. Manch einer bemerkte, dass man das Bekenntnis des Autors zu einer Weltsicht vermisse. In der Tat fehlen in jenen Werken direkte Hinweise auf eine politische Verurteilung der NS-Herrschaft und von Personen. Wenn sich Hofmann im »Kinoerzähler« einmal über Adolf Hitler äußert, dann verwendet er eine mehrdeutige Formulierung. So berichtet ein Bekannter des Kinoerzählers im Roman, dass er neben »IHM« gestanden habe, in einem »Münchener Pissoir«.

Der Leser weiß natürlich, dass die Hoffnung des Großvaters, der als Kinoerzähler vom jüdischen Kinobesitzer entlassen wurde, die »Partei« werde den Stummfilm retten, enttäuscht werden wird. (Der Besitzer des Kinos war kein Jude, sondern ein Verwandter Gert Hofmanns.)

Das Limbacher Bürgertum hatte von prominenten Rednern der NSDAP Ende der 1920er Jahre vernommen, dass diese Partei in ihrem Programm die Einschränkung der Macht des Finanzkapitals festgeschrieben habe, und Fabrikanten, Händler, Handwerker und Bauern vor der Allmacht der Banken und Konzerne schützen werde. (Die Redetexte von Dr. Joseph Goebbels und Gregor Strasser sind bis heute im »Limbacher Tageblatt« nachlesbar.)

Auch diese Hoffnungen wurden enttäuscht, die NSDAP strich den entsprechenden Passus Ende 1932 aus ihrem Programm und nach 1933 waren die früheren Reden vergessen.)

Man kann nun aus heutiger Sicht überlegen die Illusionen des Kinoerzählers und des Limbacher Bürgertums verurteilen. Aber damit begreift man nichts, denn Hoffnungen und Illusionen sind realer Bestandteil unseres Lebens.

Gert Hofmann macht uns diesen wichtigen Sachverhalt am Beispiel des Kinoerzählers Karl Hofmann deutlich.

Jede gute Literatur vermag beim Leser Assoziationen auszulösen. Hofmann vermag mit seiner Sprache in uns sogar die Geräusche, Emotionen, Farben und Gerüche jener Zeit hervorzurufen. Mitunter erinnern die assoziierte Bilder auch an Filmsequenzen, Alpträume oder sogar schizophrenes Denken.

Doch diese assoziative Sprache macht uns zunächst nicht nur nachdenklich, sondern verwirrt und verstört uns. Wir werden an unsere eigenen Vorurteile und Lebenslügen, unsere falschen Kompromisse und folgenreichen Verirrungen, unsere fatalen Fehlleistungen und bequemen Verdrängungen erinnert. Mit keinem Wort belehrt Hofmann den Leser über das NS-Regierungssystem, die Machthaber und deren Verbrechen. Eher assoziiert er jenen schmalen Grat, der in uns selbst Humanität und Inhumanität trennt. Damit verlagert er die Auseinandersetzung über Moral und Amoral, Recht und Unrecht in unseren Kopf. Er vertraut darauf, dass jeder Mensch in der Lage ist, sich über sein eigenes Tun Rechenschaft abzulegen. Er weiß, dass nur dieses Verinnerlichung Sinn macht.

Zudem bestärkt uns Gert Hofmanns Werk in unserer von der Natur gegebenen Individualität. Die Hofmannsche Sprache ruft bei jedem Leser andere Bilder hervor, selbst beim gleichen Leser werden in unterschiedlichen Lektüre-Situationen andere Bilder aufgebaut. Eine eindeutige Interpretation eines Hofmannschen Textes kann es erst recht nicht geben. Schon aus diesem Grund ist der Autor Gert Hofmann eine »harte Nuss« für »Kanon-Interpreten«.

Manche Journalisten, Literaturwissenschaftler, Jurymitglieder und Anhänger einer »Volkspädagogik« waren daher schon zu Lebzeiten Hofmanns irritiert. Sie vermissten eindeutige politische Bekenntnisse und Verurteilungen bei Gert Hofmann.

Allgemeiner Maßstab für solche Haltungen ist nicht die Literatur, sondern die Ideologie. So kam es, dass man zu Lebzeiten des Literaten keine Preisverleihung wagte, die dem Werk von Gert Hofmann angemessen gewesen wäre.

Zur Milderung unseres Urteiles müssen wir vielleicht anführen, dass weder damals noch heute, der Roman-Tod des Kinoerzählers, während einer Kindervorstellung im Apollo-Kino, in Folge eines alliierten Luftangriffes mit der offiziösen Sprachregelung »kompatibel« ist. Selbst bei der Verfilmung dieses Romans, mit dem großen Armin Mueller-Stahl in der Hauptrolle, umging man dieses Problem mit einem schweren zensierenden Eingriff.

Kaum ein Kritiker ist jedoch bislang auf die Idee gekommen, das mindestens Doppeldeutige in diesem Roman-Schluss verstehen zu wollen, oder zu können.

Zur Entlastung der Wissenschaft muss man darauf verweisen, dass die großen Literaturgeschichts-Projekte ab 1945 in beiden deutschen Staaten Ende der 1970er Jahre in Angriff genommen wurden. Das führte dazu, dass man das Werk Gert Hofmanns, der in dieser Zeit zur Prosa überging, vielfach nicht zur Kenntnis nahm.

Gert Hofmann verstarb, kaum dass er seinen Lichtenberg-Roman beendet hatte, am 1. Juli 1993, dem Geburtstag Lichtenbergs, in Erding bei München, ohne dass sein Werk eine angemessene literarische Anerkennung erfahren hatte. Den Kunstpreis der Stadt München nahm stellvertretend seine Witwe Eva Hofmann entgegen.

Gert Hofmann beleidigte, brüskierte oder beschämte keinen Leser. Anders als Thomas Bernhardt benutzte er Worte nicht als Waffe. Vielleicht beruht die enorme Kraft dieser Sprache sogar hauptsächlich auf dem Verzicht des Autors, den Leser beherrschen oder manipulieren zu wollen.

 

130129WienB

Der »Freundeskreis Gert Hofmann« erhob am 29. Januar 2013 das Glas auf den großen Dichter in der historischen Gaststätte Stadt Wien.

Johannes Eichenthal

 

Information

Zum 80. Geburtstag Gert Hofmanns erschien 2011 in der Edition Kammweg des Mironde-Verlages eine Sonderausgabe von Hofmanns vielleicht wichtigstem Text. Fachleute sehen das Werk in der Klasse von Georg Büchners Lenz-Novelle.

Gert Hofmann: Die Rückkehr des verlorenen J. M. R. Lenz nach Riga.

Mit kongenialen Illustrationen von Wolfgang E. Herbst (Silesius)

ISBN 978-3-937654-44-7 VP 9,50

www.mironde.com

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert