Reportagen

Im Anfang war das Wort

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Dalhausen liegt in einem Seitental des Wesertales. Im Kloster Corvey wurde im 10. Jahrhundert eine Urkunde mit Nennung des Ortsnamens ausgestellt. In Corvey schrieb Widukind auch die Geschichte der Sachsen. Das Weserbergland ist also historischer Boden. Vor Jahrhunderten gelangte hier das Korbmacherhandwerk zu seiner Blüte. Am Morgen des 12. Mai, einem Sonntag, wurde im Korbmachermuseum von Dalhausen Die Eröffnung einer neuen Ausstellung vorbereitet. »Im Anfang war das Wort« – der erste Satz aus dem Prolog des Johannes-Evangeliums war als Titel gewählt.

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Jürgen Böker, der Vorsitzende des Heimat- und Partnerschaftsvereines Dalhausen e.V., begrüßte um 11.30 Uhr voller Freude etwa 60 Gäste, darunter auch Bürgermeister Christian Haase und die Buchgestalterin Birgit Eichler, die in der neuen Ausstellung Kalligraphien und Illustrationen präsentiert.

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Wer noch nicht munter war, der wurde es spätestens bei den Tönen der Musiker (von links: Christian Versen (Percussion), Johannes Lücking (Piano), Klaus Kuprewitz (Gesang) und das Sextett »Cantabile« mit Astrid Köster, Martina Unger, Alexandra Scheffler, Anne Lücking, Julia Verkist und Gaby Gathmann-Frische.) Man merkte ihnen die Freude beim Musizieren an. Wir nahmen die Töne nicht nur mit den Ohren auf sondern mit allen Sinnen.

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Jürgen Böker überreichte Birgit Eichler zur Begrüßung ein seltenes bibliophiles Buch mit einem Faksimiledruck der Handschrift des bekannten Dalhäusener Bildhauers Karl J. Dierkes.

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Der Gesangssolist Klaus Kuprewitz begeisterte die Zuhörer ganz besonders. Der Saal war fast zu klein für diese Stimme.

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Andreas Eichler, ein promovierter Philosoph, verwies in der Laudatio darauf, dass Birgit Eichler im Alltag am Computer sitzt, Bücher gestaltet und Fotos bearbeitet. Oder sie stehe vor Schülern und lehre Schriftgestaltung. Warum gehe Birgit Eichler hinter den Computersatz zurück zur kalligraphischen Gestaltung von Texten? Warum stelle sie Ihre Ausstellung unter das Motto »Im Anfang war das Wort«?

In den Texten werde Schriftsprache überliefert. Zusammen mit Lautsprache und Zeichensprache ergäbe sich unsere menschliche Sprache. Diese sei das konstituitive Merkmal der Menschheit. Das werde im ersten Satz des Johannis-Evangeliums ausgedrückt: »Im Anfang war das Wort.«

Goethe lasse seinen Faust daran zweifeln: »geschrieben steht, ‹Im Anfang war das Wort!›/ Hier stock’ ich schon! Wer hilft mir weiter fort?/ Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,/ ich muss es anders übersetzen […] Mir hilft der Geist! Auf einmal seh’ ich Rat/ Und schreib getrost: im Anfang war die Tat!«

Goethe habe hier zu kurz gedacht. Ein Gespräch, nur wenige Weimarer Häuser weiter, mit seinem Nachbarn Johann Gottfried Herder, hätte sicher geholfen. (Wir hatten es befürchtet, dass Eichler wieder auf sein Lieblingsthema Herder kommt. Dennoch sind wir erschrocken, dass er es bereits am Anfang der Rede berührt. Wir ahnen Schlimmes!)

Für Herder sei Sprache und Verstand/Vernunft der innere Zusammenhang unserer Sinneswahrnehmungen. Wir erkennen die Welt mit allen Sinnen, nicht nur mit dem Kopf, wie der Königsberger Professor Immanuel Kant glaubte. Alle Sinne stellen in uns ein inneres Bild her. Weil wir mit dem ganzen Körper erkennen, ist dieses Bild in der Regel auch ein körperliches Ganzes. Joseph Beuys habe es so ausgedrückt: Denken ist Plastik.

In unserem »modernen« Leben aus zweiter oder dritter Hand werde der Einfluss der Sinne auf unsere Sprache oft vergessen. Naturvölkern sei das heute noch eher bewusst. Die Schriftsprache alter Völker sei in der Form praktiziert worden, die wir heute als Kalligraphie bezeichnen. Die Texte seien aus Buchstaben-Zeichen zusammengesetzt. Diese Zeichen hätten eine Bedeutung, die sich aus der Grammatik erschlösse. Gleichzeitig hätten die Buchstaben aber auch einen kulturellen Sinn. Um den Sinn eines Textes zu verstehen sei das Handwerk der Hermeneutik entwickelt worden. Es gehe um das Verstehen der Entstehung des Textes, seines kulturellen Hintergrundes und um das Verstehen der verwendeten Metaphern, Symbole und Bilder. Oder anders: um das Verstehen der Poesie eines Textes, des Kriteriums für Literatur.

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Detailaufnahme eines Sprachblattes

 

Historisch weit entfernte Texte seien in der Regel schwer zu verstehen. Zudem sei die Textgrundlage unsicher. Die überlieferten Texte des Johannes-Evangelium sei mindestens 1800 Jahre alt. Der Text sei nicht im Original, sondern nur in Abschriften überliefert.

Für uns sei es sehr schwer, den Sinn eines solchen Textes zu erfassen. Wir sollten uns auch damit abfinden, dass wir manches an alten Texten nie verstehen werden.

Ein anderes Beispiel für das Schicksal eines Textes sei die Predigt über die Armut im Geiste von Eckhart von Hochheim,die Birgit Eichler ebenfalls auf großformatigen Blättern kalligraphierte.

Eichler ging kurz auf die Biographie des um 1260 in Tambach geborenen Dominikanermönches ein, der nicht nur hohe Verwaltungsfunktionen seines Ordens bekleidete, sondern auch zwei Mal für ein Jahr als Professor auf die Pariser Universität entsandt wurde. Nach 1300 begann Eckhart in deutscher Sprache zu predigen. Seine Zuhörer waren in der Regel Beginen, Frauen die keine Aufnahme im Kloster fanden oder auch keine finden wollten, die aber in äußerlicher Armut lebten, sich von Handwerksarbeit ernährten und Bibelstudien trieben. Der Dominikanerorden sei vom Papst mit der Betreuung der Beginen beauftragt worden. Eckhart habe die Predigten in mittelhochdeutscher Sprache gehalten. Eichler trug den ersten Satz der Predigt über die Armut im Geiste in mittelhochdeutscher Sprache vor. Aus der Reaktion des Publikums merkte man, dass das Mittelhochdeutsche hier noch als Ahnung im Dialekt zu Hause ist.

Eckhart, so Eichler, erkläre zunächst, dass es eine äußere Armut gäbe, die sehr lobenswert sei, wenn sie freiwillig gewählt werde. Noch wichtiger sei aber die Armut im Geiste. Man erlange diese, indem man versuche so zu werden, wie man war als man noch nicht war. Eichler meinte: unbefangen, wie die Kinder.

Herder habe in einem Kommentar angefügt, dass, wenn in der Bibel von Armut die Rede gewesen sei, immer von Armut im Geiste, die er mit Demut übersetzte, die Rede war. Demut sei von Herder nicht im Sinne von Unterwürfigkeit gebraucht, sondern im Sinne von Selbstbeschränkung, als Verzicht auf Selbstermächtigung.

Unter dem Vorwand der Häresie sei Eckhart vor allem wegen seiner volkssprachlichen Predigten angeklagt worden. Trotz der professionellen Verteidigungsstrategie Eckharts verurteilte der Papst einzelne Sätze aus den Texten Eckharts. Der Name des Autors wurde daraufhin ausradiert. Nur über subversive Kanäle (Heinrich Seuse, Johannes Tauler, Nikolaus von Kues, Valentin Weigel u.a.) seien Texte Eckharts überliefert worden. Franz Baader habe Eckhart dann für die Romantiker wieder neu entdeckt. Seither arbeite die Forschung an der Erschließung der Texte, die in der Mehrzahl nur als Fragmente überliefert und in den Bibliotheken von Oxford, Fulda, Wien und anderen Orten aufgefunden wurden. Mit quasi kriminalistischen Methoden versuche die Forschung zu entscheiden, ob die Texte echt seien, und ob die Fragmente zueinander in Beziehung stünden. Mit etwas mehr als 300 Fragmenten sei die Überlieferungsbasis für die deutschen Predigten recht schmal.

Es seien also Texte, bei denen nicht sicher sei, ob sie echt seien und ob die Zuordnung richtig sei. Zudem wurden die Predigten in einer heute nicht mehr gebräuchlichen Sprache gehalten. Die Wissenschaft arbeite mit der gebotenen Skepsis, möglichst ohne Gefühle.

Mit den Mitteln der Kalligraphie versuche Birgit Eichler die sinnliche Dimension solcher Texte wieder zu erschließen. Dabei gehe sie auf die wirklichen handwerklichen Grundlagen der Buchherstellung zurück und verbreitere somit die Basis für ihre Arbeit mit modernen Medien.

(Man hätte glauben können, dass die Zuhörer von dem ständigen Nennen des Namens Herder genervt sein könnten. Aber nein, manche meinten hinterher noch, es sei interessant gewesen. Ich sah sogar, wie Eichler mit zwei jungen Gymnasial-Deutschlehrern über Herder plauderte, die, man glaubt es kaum, beeindruckende Textkenntnisse besaßen und auch Herders »Abhandlung über den Ursprung der Sprache« im Unterricht behandelten. Herr Eichler war sichtlich erfreut.)

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Nach einem kurzen musikalischen Zwischenspiel eröffneten Birgit Eichler und Jürgen Böker die Ausstellung. Die Gäste nutzen die Gelegenheit, um mit Birgit Eichler über einzelne Werke zu sprechen, nach den Techniken zu fragen und ihre eigenen Gedanken einzubringen.

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Der Schriftzug »Im Anfang war das Wort« konnte erstmalig in voller Länge an einer Wand gezeigt werden. Auf 18 Blättern ist der Text in der Form der Buchstaben des ersten Satzes des Johannes-Evangeliums handschriftlich dargestellt. Die Großzügigkeit des ehemaligen Korbmacherhauses ermöglichte es. (Einst fuhren die Pferdewagen mit Weidenruten zum Entladen in das scheunenartige Gebäude.)

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In einem Seitenflügel waren ebenfalls Kalligraphien und Buchillustrationen zu sehen.

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Gegen 15 Uhr hatte sich der Trubel etwas gelegt. Birgit Eichler dankte den Gastgebern Jürgen Böker und dem Ehepaar Renate und Heiner Hussong für die angenehme und herzliche Gastfreundschaft.

Für mich war das Korbmachermuseum in Dalhausen eine echte Entdeckung.

Johannes Eichenthal

 

Anmerkung des Redaktors

Johannes Eichenthal ist ein junger Mann, der keine ewigen Wahrheiten verkünden, sondern zur Diskussion anregen will. Er glaubt, dass verbindliche Diskussionen um wesentliche Fragen unseres existenziellen Sinns heute fehlen. Sinnstiftung ist aber ohne Diskurs nicht möglich.

Bitte nutzen Sie die Kommentarfunktion der Litterata-Seiten. Darüber würde sich Johannes freuen. Vielen Dank!

 

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Information

Das Korbmachermuseum Dalhausen der Stadt Beverungen, Lange Reihe 23, 37688 Beverungen zeigt die Ausstellung »Im Anfang war das Wort« bis zum 30.6.2013.

Neben der aktuellen Wechselausstellung ist eine Dauerausstellung zum Korbmacherhandwerk zu sehen.

 

www.korbmachermuseum.de

 

Meister Eckhart; Deutsche Predigten. Eine Auswahl (Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch) Stuttgart 2001. Herausgegeben, übersetz und kommentiert von Uta Störmer-Caysa.  ISBN 978-3-15-018117-1

 

Johann Gottfried Herder: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Stuttgart 1966. Hrsg. Hans Dietrich Irmscher. ISBN 978-3-15-008729-9

One thought on “Im Anfang war das Wort

  1. ich beziehe mich auf folgenden Abschnitt:

    „Für Her­der sei Spra­che und Verstand/Vernunft der innere Zusam­men­hang unse­rer Sin­nes­wahr­neh­mun­gen. Wir erken­nen die Welt mit allen Sin­nen, nicht nur mit dem Kopf, wie der Königs­ber­ger Pro­fes­sor Imma­nuel Kant glaubte. Alle Sinne stel­len in uns ein inne­res Bild her. Weil wir mit dem gan­zen Kör­per erken­nen, ist die­ses Bild in der Regel auch ein kör­per­li­ches Gan­zes. Joseph Beuys habe es so aus­ge­drückt: Den­ken ist Plastik.“

    Hallo!

    Laut Kant ist die Vernunft das höchste Erkenntnisvermögen, das sozusagen die Grenzen des Verstandes auslotet. Der Verstand teilt die Sinneswahrnehmungen ein. Ich denke die Differenzierung von Verstand und Vernunft ist deshalb wichtig, gerade hier, wo es um ernsthafte philosophische Fragen geht.

    Zu behaupten, Kant hätte gemeint, man erkenne die Welt „nur mit dem Kopf“ – und nicht mit allen Sinnen – ist so nicht tragbar, schlicht falsch. Kant war sich wohl bewusst darüber, dass der Mensch Eindrücke brauchte, wie er es auch in der KrV schrieb:

    „Daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfange, daran ist gar kein Zweifel; denn wodurch sollte das Erkenntnisvermögen sonst zur Ausübung erweckt werden, geschähe es nicht durch Gegenstände, die unsere Sinne rühren und teils von selbst Vorstellungen bewirken, teils unsere Verstandestätigkeit in Bewegung bringen, diese zu vergleichen, sie zu verknüpfen oder zu trennen, und so den rohen Stoff sinnlicher Eindrücke zu einer Erkenntnis der Gegenstände zu verarbeiten, die Erfahrung heißt? Der Zeit nach geht also keine Erkenntnis in uns vor der Erfahrung vorher, und mit dieser fängt alle an.“

    Guten Tag 🙂

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