Essay

Henry James zum 100. Todestag

Aus Anlass des 100. Todestages des großen Literaten Henry James erschienen in den frei zugänglichen Teilen der Online-Ausgaben überregionaler Zeitungen erfreulicher Weise einige Artikel. Henry James wurde am 15.4.1843 in New York geboren und verstarb am 28.2.1916 in London.

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Klaus Walther führt in der Chemnitzer »Freien Presse« vom 25.2.2016 den Leser unter der Überschrift »Der europäische Amerikaner« kurz in Leben und Werk des »Romanciers«, wie er ihn nennt, ein. Zudem verweist er auf aktuelle Neuausgaben einzelner Werke.

Oliver vom Hofe titelt seine Erinnerung an Henry James am 26.2.2016 in der Wiener »Presse«: »Hier ist niemand glücklich«. Ein »zugewanderter« Amerikaner in Europa, der im deutschsprachigen Raum »nie wirklich angekommen« sei. Vom Hofe bezeichnet den Roman »Bildnis einer Dame« als ein Schlüsselwerk des Autors, diskutiert einzelne Aspekte und kommt dann auf die Wanderschaft von Henry James zu sprechen: »Europa bei Henry James – das ist Liebe, Kunst, freier Blick, Anmut der Sitten, Epikuräertum. Europa: Das ist ‹Böhmen am Meer›. Amerika dagegen bleibt kühl, unnahbar, geldversessen. Ein Land der niedergeschlagenen Augen und calvinistischer Strenge.«

Christian Schröder überschreibt seinen Henry-James-Artikel im Berliner »Tagesspiegel« mit »Das Leben der anderen« Im Untertitel heißt es: »Er beobachtete mehr, als er selbst erlebte.« Im Artikel springt der Verfasser dann zwischen biographischen Lebensbeschreibungen und Textinterpretationen hin und her. Es entstehen gewagte Zwischenüberschriften, wie: »Er sezierte das Seelenleben seiner Figuren – zwanzig Jahre vor Freud« oder »Sein Werk – eine Meisterleistung der Sublimierung«. Doch am Ende entschädigt uns der Verfasser mit detaillierten Angaben von Neuauflagen einzelner Titel.

In der »Wiener Zeitung« veröffentlichte Andrea Traxler am 28.2.2016 einen Artikel mit dem Titel: »Mit Nadel und Faden«. Die Autorin verweist darauf, dass James auch Rezensionen, Reiseskizzen und Essays verfasste und geht auch auf dessen Studium in Bonn ein. Sie fügt an, dass er sich hier in Goethes Schriften vertiefte. Henry James habe neben Latein und Deutsch auch fließend Französisch und Italienisch gesprochen. Als Rezensent habe er 1864 erstmals ein Honorar von12 Dollar erhalten und 1865 u.a. die Neuauflage der Übersetzung Thomas Carlyles von Goethes »Wilhelm Meisters Lehr- und Wanderjahre« rezensiert. In Paris habe er Gustav Flaubert, Emil Zola, Guy de Maupassant und Alphonse Daudet kennen gelernt. James habe sich mit Iwan Turgenjew angefreundet und in London und Rom weitere Kollegen kennen gelernt. 1915 habe er die britische Staatsbürgerschaft angenommen. Auch Andrea Traxler weist die Leser umfassend auf Neuauflagen von Romanen und Biographien hin.

Am 28.2.2016 veröffentlichte Angela Schader einen Artikel unter dem Titel »Befiehlt, wer zahlt? Mit Scharfblick und psychologischem Genie zeigte Henry James, was das liebe Geld aus den Menschen machen kann.« Nach einigen einführenden Bemerkungen stellt die Verfasserin fest: »Er (Henry James) zeichnet das europäische Milieu als eines, dessen moralische und materielle Werte brüchig werden und durch die moderne bürgerliche Gesellschaft, wie sie insbesondere das aufstrebende Amerika repräsentiert, akut infrage gestellt sind.« Dann referiert und interpretiert die Verfasserin drei seiner »bekanntesten Romane«: »Portrait of a Lady« (1881), »The Wings of the Dove« (1903) und »The Golden Bowl« (1904).

 

Am 26.2.2016 veröffentlichte Judith von Sternburg einen Artikel unter dem Titel: »Der Stille Mann«. Sie führt die literarische Leistung des Autors auf seinen Fleiß, seine protestantische Herkunft und sein »Arbeitsethos« zurück.

Ulrich Greiner überschrieb seinen Artikel vom 28.2.2016 in der Wochenschrift »Die Zeit« mit »Ein radikaler Erzähler«. Er referiert und interpretiert zunächst einzelne Arbeiten. Dann versucht er, sich der literarischen Methode von James zu nähern: »Die erzählerische Radikalität macht die Lektüre gelegentlich anstrengend. Zwar bewundert man die stupende Fähigkeit, über viele Seiten hinweg Dialoge zu schildern, deren Esprit und Lebendigkeit einzigartig sind, doch fragt man sich manchmal: Worum geht es eigentlich? Ja, worum? Um die Grauzone zwischen Wahrheit und Lüge …«

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Am Ende ist der gemeine Leser etwas verwirrt. War James ein Romancier oder ein Kritiker. Liebte er die europäische Kultur oder sah er deren »Brüchigkeit«?

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Da erinnern wir uns, dass in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg schon einmal das Interesse an Henry James entflammte. Gert Hofmann, einer seiner Bewunderer, studierte damals in Freiburg im Breisgau. Seine Dissertationsschrift aus dem Jahre 1957 trug den lapidaren Titel »Interpretationsprobleme bei Henry James«. Der Dissertations-Stil Hofmanns erinnert eher an einen großen Essay als an die übliche »Germanistenprosa«. Er stellt uns Henry James als einen Künstler vor, der »Kunst« wesentlich mit Literatur gleichsetzte. Kunst habe nicht die Aufgabe das Leben »realistisch zu beschreiben«, sondern uns vom tristen, langweiligen Alltagsleben, in dem die Menschen immer wieder die gleichen dummen Fehler begehen, zu erlösen. Der Schriftsteller darf deshalb kein »Maler« der Realität sein, sondern er muss »Schöpfer« der Wirklichkeit sein. Gemeint ist hier die sinnstiftende Rolle der Kunst. Das Leben hat keinen Sinn in sich. Der Schriftsteller muss in einer kunstfeindlichen Welt Stand halten und Sinn stiften, indem er Größe darstellt. Größe sei aber weder »Heroismus«, noch »Sterben für das Vaterland«, Größe bestehe wesentlich in Denkversessenheit und Wachheit. Weil es diese im Leben selten gäbe, dürfe der Künstler »Größe« notfalls auch erfinden. Friedrich Nietzsche hatte diese Aufgabe als «Wille zur Macht« formuliert, d.h. den Willen, in einer Welt des kulturellen Niedergangs, einen neuen menschlichen Sinn zu stiften.

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Gert Hofmann geht am Rande der Frage nach, ob sich Henry James und Friedrich Nietzsche 1860 in Bonn begegneten. Es gibt keinen Beleg dafür aber die Möglichkeit, so Hofmann, habe bestanden.

Gert Hofmann sieht die James‘sche Auffassung von literarischer Ironie übrigens in Verbindung mit dem Kulturkonservatismus Thomas Manns. Er zitiert auch Thomas Mann, der in seinen Aufzeichnungen zur Entstehung des »Doktor Faustus« einen Artikel von Henry James über Charles Dickens aus dem Jahre 1864 besonders heraushob.

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Die literaturkritischen Arbeiten hatten für James Bedeutung für die Herausbildung der eigenen Erzählmethode. Zu mehr als zur Selbstverständigung taugt Kritik auch nicht. Also keine Psychologisierung, kein »Realismus«, kein Aktualismus. Bekenntnisse oder Autobiographisches gehörten für James ebenfalls nicht in einen Roman. Der Künstler sollte ein Sujet wählen, das nicht mehr existiert, aber woran sich die Leser noch erinnern. Allein die Darstellung unserer Vergänglichkeit ist ästhetisch und schön. Dazu ist eine assoziationsreiche, mehrdeutige Sprache notwendig. Entscheidend aber ist der Ausgangspunkt einer Erzählung, der »Point of View«. Alles andere ist eine Sache der »indirekten Erzählmethode« von James.

Die konservativen Grundlagen, die Wertschätzung der Geschichte der Literatur ermöglichten Henry James die Innovation einer »Dramatisierung des Romans« in Angriff zu nehmen. Die epischen Momente werden dabei zunehmend von Dialogen überlagert. Der Roman ermöglicht statt des »abgeschlossenen, breiten historischen Panoramas einer abgeschlossenen Epoche« die Vergegenwärtigung der Geschichte im Kopf des Lesers.

Auch hier sah Hofmann Verbindungen zu Thomas Mann, dessen späte Romane von der Dialogstruktur geprägt wurden.

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Gert Hofmann zweifelte lange daran, ob im späten 20. Jahrhundert überhaupt noch ein Roman möglich sei. Oft zitiert er den Aperçu, wonach heute alles als Roman bezeichnet werde, das garantiert keiner sei. Erst Ende der 1970er Jahre wandte sich Gert Hofmann Erzählungen, Novellen und Romanen zu. Selbstverständlich prägt die Dialogstruktur seine Arbeiten. Im Roman der »Kinoerzähler« baut er die Fiktion eines autobiographischen Sujets auf. Aber hinter dem Stummfilmerklärer, dem Kinoerzähler Karl Hofmann, der mit langem Mantel und Künstlerhut so gar nicht in das kleinstädtische Milieu von Hofmanns Geburtsstadt Limbach passt, verbirgt sich auch eine Hommage an Henry James. Kenner werden bemerken, dass viele Äußerungen des Kinoerzählers eigentlich von Henry James stammen oder von Hofmann so erfunden wurden, dass sie von James hätten stammen können. Gert Hofmann macht deutlich, dass Henry James eine Auffassung von Literatur vertritt, die uns helfen könnte Humanität zu erfinden, weil sie an unser klassisches Erbe anknüpft. Es gibt Zeiten, in denen es nichts »moderneres« gibt, als an das klassische Erbe anzuknüpfen. Dem Anschein nach leben wir in solchen Zeiten.

Johannes Eichenthal

 

Information

http://www.freiepresse.de/KULTUR/Der-europaeische-Amerikaner-artikel9446329.php

http://diepresse.com/home/spectrum/literatur/4934547/Hier-ist-niemand-glucklich?_vl_backlink=/home/spectrum/index.do

http://www.tagesspiegel.de/kultur/zum-100-todestag-von-henry-james-das-leben-der-anderen/13023480.html

http://www.wienerzeitung.at/themen_channel/literatur/autoren/803076_Mit-Nadel-und-Faden.html

http://www.nzz.ch/feuilleton/buecher/befiehlt-wer-zahlt-1.18701981

http://www.fr-online.de/literatur/henry-james-der-stille-mann,1472266,33861138.

htmlhttp://www.zeit.de/2016/10/henry-james-literatur-romane-todestag

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