Mit dem 29. September ging dem Anschein nach der schöne Spätsommer zu Ende. Das Gebäude des Chemnitzer Fraunhofer-Instituts für Elektronische Nanosysteme im Technologie Campus 3, auf dem leicht ansteigenden Hang des weiten Chemnitztales gelegen, wurde von der Abendsonne in Szene gesetzt. Die ankommenden Besucher genossen den Blick über die Stadt. Die Institutsleitung begrüßte die Gäste zum Abschluss einer Ausstellung mit Arbeiten von Osmar Osten. Eröffnet war die Ausstellung am 19. Mai von damaligen Institutsdirektor Prof. Dr. Thomas Geßner worden, der wenige Tage nach der Eröffnung unerwartet verstarb.
Der Journalist und langjährige Geschäftsführer der Chemnitzer »Freien Presse«, Johannes Schulze (3. v. re.), der ein abschließendes Gespräch mit Osmar Osten führen wollte, erinnert zunächst an den Verstorbenen. Thomas Geßner war der Begründer der Ausstellungsreihe Wissenschaft trifft Kunst. Renommierte Künstler stellen zur Eröffnung im Foyer aus. Einen Tag später wird die gesamte Ausstellung an ausgewählten Plätzen im Institutsgebäude gehängt.
Johannes Schulze fragte, ob er verstanden habe, was Prof. Geßner gemacht habe.
Osmar Osten antwortete, dass er das schon denke. Er sei immer froh, wenn er Einblick in eine andere Lebenswelt erhalte. Er habe bis dahin keinen Wissenschaftler gekannt, der auch Manager war. Geßner habe viel über sich erzählt. In Erinnerung sei ihm dessen Ausstrahlung geblieben. Geßners Tätigkeit habe sicher viel mit Vermittlung zu tun gehabt, eine Art von Diplomatie.
Johannes Schulze fragte, ob die Kunst heute genügend Plätze habe, um auszustellen?
Osmar Osten antwortete, dass heute viele Galerien in Chemnitz existierten, davon jedoch einige mit minimalen Öffnungszeiten. Soetwas habe es vor 20 Jahren nicht gegeben.
Auf eine Nachfrage aus dem Publikum antwortete Osten, dass heute viel Kunst ausgestellt werde. Die Frage sei, was der Künstler davon habe. In den Neuen Bundesländern gebe es kaum Galerien von Bedeutung, auch keine wichtige Kunstmesse. Für junge Künstler sei die Ausstellung der Werke in einer Galerie kaum noch wichtig. Sie lebten von Projektförderung. Die Ausstellung in einer Galerie sei dafür höchstens für den Antrag auf ein neues Förderprojekt von Bedeutung. Die Präsentation der Werke im Internet sei für die jungen Leute wichtiger als die Ausstellung in einer Galerie. Selbst das interessierte Publikum informiere sich heute eher im Internet als vor Ort.
Johannes Schulze fragte abschließend, ob die Ausstellung in den Institutsräumen der ENAS eine Alternative zu den Galerien sei.
Osmar Osten antwortete, dass dies eine sehr schöne, lebensnahe Möglichkeit für den Künstler sei.
Das Gespräch endete mit einem Rundgang durch das Institut. Das oben stehende Bild aus dem zweiten Stock zeigt zwei Frauen. Für das Werk Osmar Ostens, in dem in den letzten Jahren Schneemänner und Vögel dominieren, eher nicht typisch. Oder?
Dem Veranstalter, dem Künstler und dem Interviewer ist für das Ereignis zu denkan.
Kommentar
Wir wissen von Jean Baudrillard und anderen, dass die heutige Medienwelt die »Realität« durch das »Virtuelle« ersetzt. Die digitale Übertragung des Interviews wäre unter diesem Aspekt das eigentliche Ereignis, nicht das Interview selbst. Die Kulturindustrie arbeitet mit voller Kraft an der Virtualisierung unseres Lebens.
Aber welche Konsequenzen hat dieser Strukturwandel für die Wirklichkeit des öffentlichen Raums?
Diesen können wir uns vielleicht wie eine Art von Magnetfeld vorstellen. Erst mit der Aktivität bestimmter Träger wird dieser Raum »aufgebaut«. Und umgekehrt, ohne soziale Aktivität gibt es keinen öffentlichen Raum.
Aber diese Träger brauchen auch Institutionen als Voraussetzung für ihre Tätigkeit.
Dem Anschein nach versagen bisherige Strukturen, wie Universitäten, Museen, Galerien u.a. zunehmend. Doch was tritt an deren Stelle?
Interessant ist, dass ein Wissenschaftsorganisator wie Prof. Dr. Thomas Geßner die Bedeutung solcher öffentlicher, oder in seinem Institut auch halböffentlicher, Räume für die Wissenschaftsentwicklung erfasst hatte. Die Ausstellungsreihe »Wissenschaft trifft Kunst« hat ohne Zweifel Pilotfunktion.
Johannes Eichenthal
Lieber, sehr verehrter Herr Eichenthal, ihre Fragen berühren das Vermächtnis von Prof. Geßner zutiefst. Für mich war er, der ich die Ehre hatte, ihn persönlich kennen zu lernen, in erster Linie ein aufgeschlosse-ner, geistvoller Mann mit dem man reden konnte, der Spaß verstand und eben ein großer Wissenschaftler war, er vermittelte Nähe. Und das ist es, was der virtuellen Transformation verloren geht; die menschliche Nähe, die Echtheit, der Duft, das Greifbare, die Atmosphäre, ja, auch die Wärme, das Knistern zwischenmensch-licher Begegnung – die daraus entspringende Anregung, bitteschön, auch Inspiration, die nicht nur der Wissenschaft-ler aus der Begegnung mit Kunst empfängt,
die aber Kunst nicht nur notwendig, sondern unersetzbar macht. Das wusste Geßner und Osten lebt es sowieso, dafür ist er Künstler mit einem weiten Horizont und einem großen Potenzial. Vielen Dank Herr Eichenthal.