Reportagen

DIX UND HINDEMITH

Otto Dix, Mädchen am Sonntag, 1921, Öl auf Leinwand auf Pappe auf Pressspan 83,2 × 66 cm, Kunstsammlungen Chemnitz – Museum Gunzenhauser, Eigentum der Stiftung Gunzenhauser, Chemnitz, Foto: Kunstsammlungen Chemnitz/László Tóth © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

 

Der 20. Juni, der letzte kalendarische Frühlingstag, nahm die kommende Jahreszeit bereits vorweg. Die sommerliche Wärme ließ viele Menschen erblühen. Für den Abend hatte das Chemnitzer Museum Gunzenhauser zu einem GESPRÄCHSKONZERT in der aktuellen Otto-Dix-Ausstellung eingeladen. Der Ausstellungskurator Dr. Stephan Dahme begrüßte den Referenten, die beiden Musiker und die Gäste in den angenehm gekühlten Museumsräumen.

 

Prof. Dr. Matthias Theodor Vogt, der Gründungsdirektor des Instituts für kulturelle Infrastruktur Sachsen in Görlitz, begann mit der Beschreibung einer Münchner Ausstellung des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald. Sie wurde am 24. November 1918 wenige Tage nach der Kapitulation Deutschlands gegenüber den Westalliierten eröffnet und zog in den folgenden Monaten 100.000 Besucher an. Hier suchten die Menschen Trost. Der Journalist und Schriftsteller Wilhelm Hausenstein berichtete: »Nie können Menschen so zu einem Bild gewallfahrt[tet] sein. Die Straßen waren trüb. Ein Volk ist arm geworden. Aber inmitten der schäbigen Stumpfheit der Dinge und Gesichter blieb eine Zuflucht. Nicht eine Kirche. Nur das vom geklärten Genius Klenzes erbaute Museum. Wir wussten, eine Stadt wusste: Dort brennt der rote Mantel des Jüngers Johannes.«

Der Referent begründete in der Folge, dass es dieser Isenheimer Altar war, in dem die Schaffenslinien der beiden Arbeitersöhne, des Malers Otto Dix (1891–1969) und des Komponisten Paul Hindemith (1895–1963), zusammenliefen. Weit mehr noch als die Zeitgenossenschaft der beiden. Als die Skandalträchtigkeit ihrer Werke zu Beginn der 1920er Jahre. Als ihre führende Position in der deutschen Kunst- bzw. Musikszene bis zum Jahr 1933. Als der beiden fehlende Entfaltungsraum nach 1933. Dix ging in die innere Emigration an den Bodensee, er war einer der ersten Kunstprofessoren, die von den Nationalsozialisten entlassen wurden und figurierte prominent in der Schandausstellung »Entartete Kunst. Spiegelbilder des Verfalls in der Kunst« vom September 1933, die von Dresden aus durch 12 Städte reiste. Hindemiths »kulturbolschewistische« Werke erhielten ab 1934 Sendeverbot im deutschen Rundfunk und 1936 Aufführungsverbot. Zwischen 1934 und 1935 lebte auch er in einer Art innerer Emigration im südbadischen Lenzkirch, nur wenige Kilometer von Dix entfernt. Hier vollendete er seine Grünewaldoper »Mathis der Maler«. 1935 baute er das Konservatorium in Ankara auf und hinterließ jahrzehntelang wirksame Strukturen. 1938 ging er ins Exil, nachdem er analog zu Dix in der Ausstellung »Entartete Musik« prominent figuriert hatte. »Den Isenheimer Altar sah ich zweimal, ein gewaltiges Werk von unerhörter Kühnheit und Freiheit abseits aller Komposition oder Konstruktion und unerklärlich geheimnisvoll in seinen Zusammenhängen«, schrieb Otto Dix an seine Frau Martha am 9. September 1945.

Otto Dix, Der Schützengraben, um 1917, Gouache und Deckweiß auf Papier 29 × 29 cm, Kunstsammlungen Chemnitz – Museum Gunzenhauser, Eigentum der Stiftung Gunzenhauser, Chemnitz, Foto: Kunstsammlungen Chemnitz/Archiv Museum Gunzenhauser © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

 

Den Ersten Weltkrieg hatten beide intensiv miterlebt. Der in Gera geborene Otto Dix, der dann in Dresden studierte, hatte den ganzen Ersten Weltkrieg als Soldat gedient. Dix’ »Schützengraben« von 1923 wurde zur Sensation. Auch sein Dresdner Triptychon »Der Krieg« von 1929–1932 nimmt den Colmarer Altar direkt auf. Mit diesen Werken und mit dem 50 Blätter umfassenden Radierzyklus »Der Krieg« von 1924 steht der Name Otto Dix bis heute stellvertretend für die künstlerische Auseinandersetzung mit der »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts«(Georg F. Kennan). Seinen Werken, einer visuellen Radikalanalyse des Kriegsgeschehen in Anverwandlung altmeisterlicher Stiltechniken, fehlt in jenen Jahren die Dimension des Trostes. Jener Trost der sichtbar gewordenen Alchemie, der dem Isenheimer Altar neben der christlichen Ikonographie seine positive Transzendenzerfahrung gegeben hatte. Zu dieser fand er erst viel später, in den letzten Jahren seiner inneren Emigration, in Madonnenbildnissen oder Darstellungen des heiligen Christophorus.

Otto Dix, Der Heilige Christophorus VI, 1944, Mischtechnik auf Leinwand auf Holz, 118,3 × 92 cm, Kunstsammlungen Chemnitz – Museum Gunzenhauser, Eigentum der Stiftung Gunzenhauser, Chemnitz, Foto: Kunstsammlungen Chemnitz/Archiv Museum Gunzenhauser © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

 

Anders der in Hanau geborene Komponist Paul Hindemith, ein vorzüglicher Bratschenspieler. Er wurde von Januar bis Dezember 1918 in den Krieg eingezogen. Sein Vater fiel 1915 an der Front. Dix und Hindemith verbindet in den Nachkriegsjahren viel. Insbesondere die unbürgerliche Weltanschauung, ein unbändiger Witz, die Lust an Parodie und Provokation. Auch Hindemith erschafft ein Triptychon, deutlich früher als Dix, allerdings handelt es sich hierbei um drei Operneinakter mit zusammen genau kalkulierten 3.200 Takten. Sie setzen sich in gezielter Provokation mit Formen der Sexualität auseinander. Gegen die Uraufführung der »Sancta Susanna« in Frankfurt am Main 1922 hielt der Katholische Frauenbund eine dreitägige Sühneandacht ab, gegen die Ausstellung von Dix »Schützengraben« gingen Soldatenverbände vor.

In eben diesen Jahren veranlasste eine der Tafeln des Isenheimer Altares Hindemith zu jener entscheidenden Weichenstellung, die ihn kulturgeschichtlich unmittelbar an die Seite von Otto Dix stellt. Die beiden sind ja keineswegs nur im zeitlichen Sinne Zeitgenossen, vielmehr steht der eine wie der andere für die »Neue Sachlichkeit«. Hindemith entdeckte 1922/23 in »Das Marienleben«  bei der Vertonung der gleichnamigen Gedichte von Rainer Maria Rilke aus Duino (1912) jene mystische Hoffnung, die 1918 so sehr gefehlt hatte: den Trost der sichtbar gewordenen Alchemie in Gründewalds Mariendarstellung.

Beide Künstler sind in den 1920er Jahren der »Neuen Sachlichkeit« zuzuordnen. Dieser Begriff, der 1923 von Gustav Friedrich Hartlaub für Tendenzen in der Bildenden Kunst geprägt und von den Zeitgenossen sogleich auf die Musik übertragen wurde, umschreibt eine gelungene Demokratisierung von Bild bzw. Musik, die gegen den Selbstausdruck der Expressionisten ausgespielt wird. »Die Neue Sachlichkeit, das habe ich erfunden«, reklamierte Otto Dix für sich selbstbewusst im Rückblick.

Otto Dix, Rothaarige Frau (Damenporträt), 1931, Mischtechnik auf Leinwand auf Tischlerplatte, 60,8 × 36,6 cm, Kunstsammlungen Chemnitz – Museum Gunzenhauser, Eigentum der Stiftung Gunzenhauser, Chemnitz, Foto: Kunstsammlungen Chemnitz/PUNCTUM/Bertram Kober © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

 

Im Mittelpunkt des Gesprächskonzertes stand der spannende Dialog zwischen Hindemiths Musik und den Bildern von Dix. Die einen waren ringsum an den Wänden des Konzertraums zu sehen, die anderen wurden von Tilman Trüdinger am Violoncello bzw. von Hartmut Schill an der Violine gespielt; beide herausragende Mitglieder der Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz. Zu Beginn und dann wieder am Schluss erklang die Sonate für Cello Solo, Op. 25 no. 3 aus dem Jahre 1922, gespielt von Trüdinger. In der Mitte des Gesprächskonzertes spielte Schill, erster Konzertmeister der Robert-Schumann-Philharmonie, die Sonate für Violine Solo, Op. 31 No. 1. von 1924.

Auf dem Photo demonstriert der Referent die Partitur der Cellosonate, gemeinsam erläutert mit Tilman Trüdinger. Was heißt Neue Sachlichkeit konkret? Gilt für die Sonate, dass sie unsentimental ist? Dass Sie nüchtern ist? Dass sie formal festgefügt ist? Dass Sie überschaubar und prägnant ist? Dass sie das »Ausdrucksvolle« verschmäht, ohne deshalb ausdruckslos zu sein? Dass sie sich stilistisch an die Musik längst vergangener Epochen anlehnen kann, ohne ihre Originalität aufzugeben? Der Referent stellte diesen Fragenkatalog aus der Musikgeschichtsschreibung nicht abstrakt in den Raum, sondern bat den Cellisten jeweils um entsprechende Tonbeispiele aus der Sonate, so dass sich das Publikum aus dem Erklingenden heraus eine eigene Antwort erschließen konnte.

Über die intellektuellen Annäherungen im Vortrag hinaus wirkte das Zusammenwirken der Musik und der Bilder von Otto Dix bei den Besuchern vielleicht am stärksten im Bereich des Unbewussten. Man konnte dieses Ereignis sinnlich aufnehmen und einen Eindruck bewahren. Am Ende dankte das Publikum dem Referenten Prof. Vogt und den beiden Musikern Tilman Trüdinger (Mitte) und Hartmut Schill (re.) mit herzlichem Beifall.

Der Referent Prof. Dr. Matthias Th. Vogt (2. v. li) beim Verlassen des Museums Gunzenhauser, gemeinsam mit Kurator Dr. Stephan Dahme (1.v. re.), wieder in der Sommerabendwärme.

Das Museum Gunzenhauser ist im ehemaligen Gebäude der Stadtsparkasse Chemnitz untergebracht. Stadtbaumeister Dipl.-Ing. Fred Otto (1883–1944), ein studierter Tiefbauer, erbaute das Haus 1928–30 als eines der ersten Hochhäuser der Stadt im Stil des Neuen Bauens (analog zur Neuen Sachlichkeit in Malerei und Musik). Der betont einfache, nüchterne Kubus des Gebäudes verbindet sich mit der feinen Oberfläche der Travertinfassade und der modern gewölbten Fensterfront des Haupteingangs in vornehmer Schlichtheit. (Neben seiner Tätigkeit als strategischer Stadtplaner erbaute Fred Otto etwa zur gleichen Zeit auch das Chemnitzer Hallenbad, seinerzeit eines der modernsten Bäder Europas.)

Kommentar

Das gewählte Veranstaltungsformat ist ein interessanter Ansatz. Die sinnliche Wirkung korrespondierte mit der geistigen Annäherung. Das Zusammenwirken von Wort-Musik-Bild eröffnete eine Vielzahl neuer Assoziationen. Das Stichwort »Neue Sachlichkeit« kann man bei Dix wohl am ehesten mit den Werken der 1920er/30er Jahre verbinden. Dabei handelt es sich um schonungslose, extreme Darstellungen der Absurdität von Krieg und Nachkriegsgesellschaft. Dix wird in diesem Zusammenhang oft mit dem Satz zitiert: »Ich war Nihilist, ich war gegen alles.« Man darf diese Aussage aber nicht wörtlich nehmen. Der französische Philosoph Michel Foucault hat die für Künstler und Wissenschaftler notwendige Vernunft, Nüchternheit und Kälte mit dem Ausdruck »der ärztliche Blick« umschrieben. Bereits Lessing wird nachgesagt, dass er große Gefühle durch einen kalten, nüchternen Blick erfasste. Brecht meinte, man müsse die Prozesse »auskälten« um sie im Theater darstellbar zu machen. Gert Hofmann formulierte: »Kein Mitleid an der Oberfläche!« Das ist der Unterschied von Kunst und Kitsch. Man muss aber anfügen, dass unser Leben und auch die Kunst mit dem »ärztlichen Blick«, der Vernunft, allein nicht auskommt. Es bedarf der Ergänzung durch die existenzielle Hoffnung, den Glauben. In der Poesie kommen beide Extreme, Vernunft und Glauben, praktisch zusammen (Johann Gottfried Herder). Darauf machte uns das Gesprächskonzert, eine hervorragende Idee zur Vergegenwärtigung transdisziplinärer Sichten, wieder einmal aufmerksam. Dafür sind wir dem Referenten, den beiden Musikern und dem Museum Gunzenhauser dankbar.

Johannes Eichenthal

 

Information

Die Sonderausstellung »300 × DIX« mit Werken aus allen Schaffensphasen von Otto Dix ist im Museum Gunzenhauser, Stollberger Straße 2, 09119 Chemnitz, noch bis zum 9. September 2018 zu sehen. Für die Ausstellung wurde ein informativer Katalog erarbeitet:

Ingrid Mössinger/ Stephan Dahme: Otto Dix – Hauptwerke aus der Sammlung Gunzenhauser. Chemnitz 2018. ISBN 9783930116423

http://www.kunstsammlungen-chemnitz.de/index.php?loc=ghm&content=exposition_detail&xid=43&id=428

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