Reportagen

MIT HEINZ SCHUMANN IM GESPRÄCH

Ein Wetterumschlag, verbunden mit Regenfällen, hatte die Hochsommertemperaturen am 26. August in Chemnitz drastisch abgesenkt. Der Sonntag begann gemächlich. Langsam blaute der Himmel auf und wir machten uns auf den Weg. In der neuen Sächsischen Galerie wird gerade eine Ausstellung unter dem Titel »zee.3.7.1 – Schrift und Typografie in Chemnitz seit 1466« gezeigt. Für 11 Uhr war am diesem 26. August ein Gespräch des Ausstellungskurators Mathias Lindner mit dem Typografen und Kalligraphen Heinz Schumann in der Ausstellung angekündigt. Die Stuhlreihen füllten sich alle.

Mathias Lindner begrüßte Heinz Schumann (Jg. 1934) sowie das Publikum und fragte Schumann, warum er einer der wenigen Chemnitzer Grafiker gewesen sei, die sich intensiv mit Typografie beschäftigten?

Heinz Schumann »überhörte« die Frage nach seiner Besonderheit und dankte zunächst sehr gerührt dem zahlreich erschienenen Publikum für das Interesse. Er fügte an, dass er an verschiedenen Dingen im städtischen öffentlichen Raum (Projekte visueller Kommunikation) mitgewirkt habe und fühle sich dafür verantwortlich. An manchen Dingen gehe er heute noch mit erhobenem Haupt vorbei. Andere umgehe er möglichst. Es sei sehr dankenswert, dass sich die Galerie mit der aktuellen Ausstellung der Typografie widme, obwohl das Interesse für Schrift heute nicht mehr so üblich sei.

Mathias Lindner fragte, was der Unterschied zwischen Schrift und Schreiben sei.

Heinz Schumann antwortete, dass sich unsere Vorstellungen vom Schreiben gewandelt habe. Als er 1940 in die Schule kam, habe er die Sütterlin-Schrift erlernen müssen. Nach den ersten Sommerferien sei diese Schrift nicht mehr gelehrt worden. Die Klasse hätte noch einmal mit dem Erlernen der deutschen Schreibschrift beginnen müssen. Ein Unterrichtsfach hieß »Schönschreiben«. Sein Urgroßvater habe noch eine sehr schöne Schreibschrift beherrscht, die Seiten hätten auf ihn Eindruck gemacht, doch mit der Zeit wurde die Schönschrift nicht mehr geschätzt. Er selbst könne jedoch nur mit der Feder schreiben, nicht mit einem Pinsel. Matthias Lindner fragte, wie er als junger Mensch dazu gekommen sei, Gebrauchsgrafiker und Schriftgestalter zu werden? Heinz Schumann antwortete, dass seine Klasse während des Zweiten Weltkrieges fast keinen Schulunterricht hatte. Am Kriegsende fühlte seine Generation einen großen Wissensdurst. Die ersten Kurse der Volkshochschule, die angeboten wurden, waren Malen und Zeichnen. Das habe er gelernt. Im Jahre 1948 begann er als Gebrauchsgrafiker zu arbeiten, später nahm er in Leipzig ein Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst auf. Währen der ersten drei Jahre Grundstudium habe man dort nur gemalt und gezeichnet. Erst in der Fachklasse habe er seine Liebe zur Schrift entdeckt und das Fachstudium bei Professor Albert Kapr (20.7.1918 Stuttgart – 31.3.1995 Leipzig) aufgenommen. Dieser hatte an der Stuttgarter Akademie bei Professor F. H. Ernst Schneidler (14.2.1882 Berlin – 7.1.1956 Gundelfingen) studiert. Schneidler sei für Kapr eine Legende gewesen. In den Lehrveranstaltungen habe Kapr keine Theorie verkündet, sondern viel über Schneidler erzählt und sie Schreibübungen machen lassen. Vorwiegend hätten sie Schriften der Reformationszeit, also gebrochene Schrifttypen (Fraktur) abschreiben müssen. Kapr habe in den Ferien stets seine Familie in Stuttgart besucht und von dort auch Informationen zu Neuentwicklung in der Schriftgestaltung mitgebracht. Z. B. hätten sie früh gewusst, dass Adrian Frutiger die Schrifttype Univers entwickelt habe. Sie hätten als junge Studenten die Hoffnung gehabt, auch solche neuen Schrifttypen entwickeln zu können. Albert Kapr habe mit seinem Wirken viel für die internationalen Verbindungen der DDR getan. Er war 1948 nach Weimar berufen worden und 1951 nach Leipzig. Er habe in Leipzig Typografie und Buchgestaltung betrieben und 1957 die Weltausstellung der Typografie wieder nach Leipzig geholt. Daraus habe sich die Weltausstellung des schönsten Buches in Leipzig entwickelt. Kapr habe sich großes Ansehen erworben. Im Jahre 1953 sei Kapr nach China gereist. Danach sei ein chinesischer Student nach Leipzig gekommen, der die chinesische Antiqua entwickeln sollte. Er wurde ein Meisterschüler Kaprs. Der Professor habe seine Schüler auch für Ausstellungen im Westen empfohlen. Er selbst habe seinerzeit durch solche Vermittlung eine Ausstellung in Austin/Texas zugesprochen bekommen.

Mathias Lindner fragte, ob nicht in den 1930er/40er Jahren gebrochene Schriften, wie sie sie Kapr lehrte, verboten gewesen waren.

Heinz Schumann antwortete, dass für ihn als Fraktur die »Schwabacher« Schrift maßgeblich sei. Vom Schreiben her sei sie von den Reformationsschriften gekommen. Die geschriebene Form sei zur Type hin entwickelt worden. Aber in den Regionen habe es auch in der Type viele Varianten gegeben, selbst in der Gutenbergzeit. Mit dem Aufkommen der Stahlfedern sei die geschriebene Schwabacher sehr eckig geworden und habe dadurch eine gewisse Kälte ausgestrahlt. Aber er habe als Student keine Stahlfeder besessen, sondern Schilf, Rohr und Schwanenkiel. Mit diesen Werkzeugen habe man maximal 20 Minuten schreiben können, dann wurden sie weich und man musste eine Pause einlegen.

Kalligraphie von Heinz Schumann

 

Mathias Lindner fragte, warum Heinz Schumann selbst bei der freien Kalligraphie immer wieder auf Schriftübungen in älterer Schrift zurückgehe. Er kenne keinen Maler, der heute auf die Gotik zurückgehen würde.

Heinz Schumann antwortete, dass er gerade an der Neujahrskarte für 2019 schreibe. Man müsse schreiben, schreiben, schreiben. Albert Kapr habe seine Schüler auf bestimmte Schriften hin eingeteilt. Er sollte die »Rustica« (Handschriftart, in Anlehnung an römische Majuskelschrift) übernehmen. Aber er habe damals dazu eigentlich keine Lust gehabt. Doch in den letzten Jahren habe er immer mehr in der Rustica geschrieben. Man müsse Anregungen aufnehmen können. Als Werner Tübke nach seiner Italienreise neue Bilder vorstellte, wurde nur darüber geredet, dass er einen Großgrundbesitzer gemalt habe. Aber er hatte aus Italien ein ganz besonderes Rot mitgebracht. Das war es eigentlich. Man muss Anregungen aufnehmen und immer wieder lernen, darum geht es eigentlich. Wenn man z. B. aus der Literatur eine Anregung aufnimmt, dann schreibt man den Text einfach herunter. Das macht Spaß.

Mathias Lindner gab zu bedenken, dass Schrift ja in ein System von Regeln eingebunden sei. Wann werde Schreiben zur Kunst? Wenn man die Regeln frei interpretiere, freie Blätter gestalte, bei denen einfach alles stimme?

Heinz Schumann antwortet, im Prinzip sei das so. Er bewerte aber die Regeln hoch. Wer zu frei arbeite, der dekonstruiere die Schrift.

Mathias Lindner wechselt nun die Thematik und fragte, warum Heinz Schumann aus Leipzig nach Chemnitz zurückgekehrt sei, obwohl er dort gute Kontakte gehabt habe.

Heinz Schumann antwortete, dass er nach fünf Jahren Studium, zwei Jahren Tätigkeit für das Fernsehen und einem Jahr Aspirantur endlich praktisch wirksam werden wollte. Hier ging es um die Entwicklung der Schrifttype Stentor. Er habe an der Hochschule in der Setzerei gearbeitet und das Handwerk gelernt. Schließlich musste ich mich entscheiden: bei Kapr an der Hochschule bleiben oder in die Praxis gehen. Ich entschied mich für die zweite Möglichkeit. Kapr war mir danach fast etwas böse. Es war zwar schwierig, eine Zuzugsgenehmigung für Chemnitz zu bekommen … Aber bei der Chemnitzer Freien Presse hatte man gerade neue Satztechnik angeschafft, das reizte mich. Ich entwickelte eine neue Typografie. Die Überschriften wurden damals von einem Grafiker noch gezeichnet.

Mathias Lindner fragte nach: Sie haben gezeichnet, weil die Maschine manches nicht konnte?

Heinz Schumann antwortete: Ja. Frutiger hatte zwar inzwischen die Type »Univers« mit 42 Varianten entwickelt. Das Zeichnen von Überschriften war damit überflüssig. Doch wir hatten die Univers noch nicht.

Mathias Lindner fragte, ob damit nicht die Arbeit des Typografen überflüssig wurde?

Heinz Schumann antwortet, dass der technische Trend schon in diese Richtung ging. Es habe trotzdem großem Bedarf an Schriftentwicklung gegeben. Die Dresdner Firma Typoart habe Typen entwickelt, Drucksätze gegossen und diese in viele Länder verkauft. Gerade die Garamond von Typoart sei eine der besten und meistverkauften Typen gewesen.

Kalligraphie von Heinz Schumann

 

Mathias Lindner warf ein, dass das die Type des Leipziger Reclamverlages gewesen sei.

Heinz Schumann erzählte weiter, das Kriterium für eine Schrift sei, ob sie schnell und gut lesbar wäre. Die Grauwerte, die sich aus den Abstände zwischen Buchstaben und Flächen ergeben, seien dafür entscheidend. Man müsse ein Wort sehen und sofort als Ganzes wahrnehmen können. Die Schriften, die heute geschrieben würden, seien dagegen ausgesprochen chaotisch.

Mathias Lindner fragte, ob das am Computer liege?

Heinz Schumann antwortet, dass das dazukäme. Aber in gestalteten Schriften würden alle Abstände zwischen zwei Buchstaben zwischen zwei kleinen »n« eingepasst. Entweder es »perlt« oder man bleibt hängen. Das Ideal des Schriftentwicklers sei das »Perlen«.

Mathias Lindner fragte, warum er in bestimmten Fällen auch vom Prinzip der Handschrift abgewichen sei.

Heinz Schumann antwortete, dass er bei Edelstahlbeschriftungen für eine Gedenksäule aus technologischen Gründen davon abweichen musste. In einem Falle habe er die Type »Futura«, eigentlich eine kalte Schrift, ausgewählt jedoch etwas verändert: das »T« nach oben gezogen und das »S« etwas nach unten. Damit habe er den Besonderen Charakter der Schrift betonen wollen.

Kalligraphie von Heinz Schumann

 

Mathias Linder fragte nun nach der Schrifttafel hinter dem Marx-Denkmal von Lew Kerbel. Was wurde hier vorgegeben?

Heinz Schumann antwortete, dass eigentlich nichts vorgegeben wurde außer dem früh festgelegten Standort vor dem gefalteten Gebäudekomplex. Er wurde zu einem frühen Treffen mit Lew Kerbel eingeladen. Kerbel machte klar, dass es ihm mit der Reduktion des Denkmals auf den Kopf um den Philosophen Marx gehe. Für ihn sei interessant gewesen, dass er einen kurzen Blick auf Kerbels eigene Vorstellungen vom Hintergrund werfen konnte. Kerbel machte seinen Koffer auf und dort sah ich eine Zeichnung im Stil der Proletkultleute aus den 1920er Jahren, mit zerbrochenen Ketten u. ä. Er machte den Koffer aber sofort wieder zu. Aber von da an war es mir klar, dass der Hintergrund mit Schrift gestaltet werden muss, es ging mir nur noch um die Frage wie. Ich bekam Fläche zugeteilt und bat um die Beteiligung eines Bildhauers. In zwei Jahren Entwicklungszeit habe er etwa 200 Entwürfe geliefert. Immer wieder habe er neue Ideen gehabt. Nach zwei Jahren habe man sich auf 70 × 80 cm Zeichen geeinigt. 1969 wurde der Entwurf bei der Bezirksausstellung des Verbandes bildender Künstler gezeigt. Den Denkmalskopf habe er bis dahin nicht gesehen gehabt. Später habe er auch noch andere Entwürfen Kerbels gesehen. Das Denkmal hätte auch anders werden können.

Mathias Lindner fragte, warum die Aluminium Schrift von Anfang an so dunkel gewesen sei, wie der Hintergrund.

Heinz Schumann antwortet, dass die erhöhten Buchstaben eigentlich hell sein sollten. Aber der Oxydationsprozess sei sehr schnell gegangen. Bereits nach vier Wochen sei die Schrift nachgedunkelt.

Mathias Lindner machte darauf aufmerksam, dass das Denkmal schnell von einigen Firmen zu Werbezwecken verwendet wurde. Wie habe Kerbel darauf reagiert?

Heinz Schumann antwortete, dass Kerbel nichts gegen solche Verwendungen hatte. Er meinte, dass dies für die Bekanntheit sorgen würde. An dieser Stelle wurden Fragen zugelassen.

Eine Zuschauerin fragte, ob man in Chemnitz noch andere Arbeiten von Heinz Schumann sehen könne.

Heinz Schumann antwortete, dass er die Schrift im Verwaltungsgebäude einer Siedlungsgemeinschaft gestaltet habe, die Schriftsäulen im Ehrenhain/Wartburgstraße, in den frühen 1980er Jahren die visuelle Kommunikation im Chemnitzer Rathaus, ebenso im Chemnitzer Opernhaus.

Eine Zuschauerin wollte wissen, welche Schriften aus unserer Gegenwart auch in 500 Jahren noch Bestand haben würden?

Heinz Schumann antwortete, dass alle Schriften überliefert werden. Die Bedeutung, die eine Schrift genieße, hänge von vielen Einflüssen ab.

Mathias Lindner fügte an, dass viele Schriften zwischenzeitlich vergessen waren, bis sie wiederentdeckt wurden.

Die Fragestellerin ergänzte zustimmend, dass die Jugend gerade die Fraktur wiederentdecke.

Heinz Schumann fügte an, dass ja auch viele neue Varianten von Fraktur entwickelt wurden seien, obwohl diese Type noch immer einen unangenehmen Ruf habe. Für bestimmte Verwendungen von Schriften gäbe es aber auch technologische Grenzen der Gestaltung. Zum Beispiel für die Beschriftung von Edelstahl. Ein in Zusammenarbeit mit Professor von Ardenne in Freiberg entwickeltes Verfahren und dessen Anwendung bei den Firmen Germania und Ermafa hätten das technische Verfahren geschaffen aber die Zahl der verwendbaren Schrifttypen eingeschränkt.

Nach etwa zwei Stunden dankte Kurator Mathias Lindner dem Typografen und Kalligraphen Heinz Schumann und dem Publikum. Das Publikum dankte mit begeistertem Applaus. Heinz Schumann musste noch lange Fragen im kleinen Kreis beantworten.

Johannes Eichenthal

 

Information

Neue Sächsische Galerie zee.3.7.1 – Schrift und Typografie in Chemnitz seit 1466 ist ein gemeinsames Ausstellungsprojekt der Stadtbibliothek Chemnitz und der Neuen Sächsischen Galerie. Die Ausstellung ist noch bis zum 16. September 2018 zu sehen.

www.nsg-chemnitz.de

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