Die Bauen- und Energiemesse 2019 fand in Wien vom 14. bis zum 17. Februar statt.
Mag. Gernot Krausz, der Reed Exhibitions Managing Director B2C, begrüßte am 14. Februar an der Bauen- und Energie-Bühne die Gäste. Er verwies darauf, dass man 40.000 Besucher erwarte. (www.bauen-energie.at)
Mit einem »Branchentalk« wurde der Veranstaltungsreigen auf der Bauen- und Energie-Bühne eingeleitet. Das Thema war: »Dörfer in der Stadt – Wiens neue Grätzelkultur!?«. Die Bezirksvorsteherin von Leopoldstadt Uschi Lichtenegger, die Journalistin Mag. Barbara Nothegger, die Architektin vom Büro einszueins DI Annegret Haider, und die Geschäftsführerin der WW Wohnwagon MA Theresa Steininger wurden von der Moderatorin befragt.
Die Bezirksvorsteherin von Leopoldstadt hob hervor, dass es der Wiener Bezirk mit den größten Zuzugsraten sei. Gleichzeitig blühe hier die kleinste Stadt-Kommunikationseinheit, das Grätzel. Frau Nothegger schrieb ein Buch zu diesem städtischen Diversifikationsprozess. Als Ursachen für diesen Trend weg von virtuellen sozialen Netzwerken hin zu wirklichen sozialen Kontakten, benannte sie Veränderungen in unserem Leben, wie Digitalisierung und Vereinsamung.
Auf die Frage, warum sie nicht in ein echtes Dorf ziehe antwortete sie, dass die wirklichen Dorfstrukturen im ländlichen Raum beschädigt seien. In Leopoldstadt sei die Atmosphäre dörflicher als in einem wirklichen Dorf.
Die Architektin Annegret Haider hob hervor, dass das Büro einszueins soziale Gruppen unterstütze, die gemeinsam Wohnbauprojekte verwirklichen wollten. Die Hauptmotivation hierfür sei soziales Engagement.
Theresa Steininger von der Werkstatt Wohnwagon, verwies u.a. darauf, dass ihr Verein einen alten Dorfgasthof als Betriebsstätte erworben habe. Die Beziehungen zwischen kleinen Betrieben funktionierten auf dem Lande noch, aber anders als vor 150 Jahren.
Dr. Matthias Boeckl, der Chefredakteur der Zeitschrift Architektur Aktuell, eröffnete im Anschluss den Architektur-Diskurs auf der Bauen- und Energie-Bühne. (www.architektur-aktuell.at)
Auf dieser Bühne trat auch Karl Albert Fischer vom Österreichischen Institut für Licht & Farbe auf. Er begann mit einem Goethe-Zitat und endete mit einem solchen. Interessante Aspekte zur Wirkung von Farben und die Warnung vor künstlichen Lichtquellen mit hohem Blauanteil (Bildschirme, normale LED-Leuchten u.a.) machten seinen Vortrag für ein breites Publikum interessant. (www.lichtundfarbe.at)
Auf der Wohnwagon-Bühne wurden die Vorzüge des »autarken Wohnens« in einem Wohnwagon hervorgehoben. Die Elektro-Energie wird hier mit Solarzellen gewonnen und gespeichert. Das Abwasser über eine Pflanzenkläranlage gereinigt und wieder verwendet usw. Eigentlich geht es weniger um »Autarkie« als um die Einsicht, dass wir vom Naturkreislauf abhängig sind. (www.wohnwagon.at)
Als Gast trat am Abend des 16. Februar auf der Wohnwagon-Bühne Zeyad Abul-Ella, der geschäftsführende Gesellschafter der Berliner Firma Home Power Solution und studierter Diplom-Bauingenieur, auf. Mit wenigen konzentrierten Sätzen vermochte er das HPS-System Picea vorzustellen. Hier handelt es sich um einen Energiespeicher, Heizungsunterstützung und Wohnraumbelüftung in einem kompakten Gerät. Sonnenenergie wird für ein Einfamilienhaus im Sommer in Wasserstoff umgewandelt und mit einer Brennstoffzelle im Winter in Elektroenergie umgewandelt.
Der Vortrag stieß bei dem relativ kleinen Kreis an Zuhörern auf großes Interesse. Manch einer vermutete mit dieser Technologie ein Ende der zentralen Energieversorgung. Zeyad Abul-Ella hob dagegen hervor, dass dezentrale Systeme die zentrale Energieversorgung nicht ersetzen, jedoch ergänzen sollten. (www.homepowersolutions.de)
Der sächsische Mironde Verlag, der auch die Archicad-Handbücher der Wiener A-Null-Bausoftware GmbH, der österreichischen Graphisoft-Niederlassung, in seinem Programm hat, war auf der Bau- und Energiemesse mit einem eigenen Stand vertreten. Das junge Fachpublikum interessierte sich besonders für den BIM-Leitfaden von Christoph Eichler (re.) und das Buch zur Phosphor-Rückgewinnung im Klärwerk Niederfrohna von Karin und Steffen Heinrich (erscheint am 15.10.2019). www.mironde.com
Kommentar
Über die Perspektiven von Messen im 21. Jahrhundert wird viel diskutiert. Ähnlich wie bei Buchmessen nutzte das Publikum die Bau- und Energiemesse auf pragmatische Weise, um sich von Techniken, Technologien, Werkstoffen und Konstruktionen, die im Internet nur virtuell gezeigt werden, selbst ein Bild zu machen. Aber auch Ideen wurden auf dieser Messe präsentiert. Neben der Bauen- und Energiebühne spielte die Wohnwagon-Bühne eine wichtige Rolle als Diskussionsplattform. Der Wohnwagon selbst fand als eine Art von Aussteiger-Projekt großes Interesse beim jungen Publikum. Jedermanns Sache ist solch ein Wohnwagen vielleicht nicht. Dennoch erfrischt das Denken der jungen Leute, suchen Sie doch einen Ausweg aus der von wirtschaftlichen Marken-Monopolen mit Sektenstrukturen dominierten Konsumwelt.
Vielleicht hätte man am Ende der Messe den Bogen zur Eröffnungsdiskussion noch einmal spannen können? Dort wurde gefragt, warum viele Menschen heute nach dem Dorf in der Stadt, in Wien nennt man das »Grätzel«, suchen. Warum wird nicht mehr nach dem echten Dorf gefragt? Die Antwort, dass die echten Dörfer beschädigt seien, muss beunruhigen. In Europa wurden vor Jahrhunderten und Jahrtausenden Dörfer von vielseitigen Bauern gegründet, die, an heutigen Maßstäben gemessen, gleich mehrere Berufe beherrschen mussten. Dennoch siedelten sie in der Gemeinschaft und nicht als Einsiedler. Denn sie wussten, dass selbst sie in Situationen kommen können, in denen man auf die Hilfe des Nachbarn angewiesen ist.
Die Krise des Dorfes ist heute dem Anschein nach ein Indiz für die Krise des sozialen Zusammenhaltes in den westlichen Industrieländern. Dabei ist zu bedenken, dass mehr als zwei Drittel der Menschen in Europa in Kleinstädten und Dörfern leben.
Wer glaubt, dass die Lösung der Probleme darin bestehen könnte, dass alle Menschen in Metropolen ziehen, der soll es glauben.
Aber es gibt auch verantwortungsbewusste Menschen. Vor zwei oder drei Jahren veröffentlichte die Österreichische Akademie der Wissenschaften eine Studie, in der darauf verwiesen wurde, dass Klein- und Mittelstädte im derzeitigen Strukturwandel eine Chance hätten, wenn sie sich mit den umliegenden Dörfern zusammenschlössen, um gemeinsam auf alternative Weise Energie zu erzeugen. Die gemeinsame alternative Energieerzeugung, die technische Innovation, könnte der Grund für die Erneuerung des menschlichen Zusammenlebens in Europa werden.
Die Bauen- und Energiemesse gab wichtige Anregungen für solche Zukunftsfragen. Allen Beteiligten gebührt deshalb Dank.
Clara Schwarzenwald