Reportagen

DR. KONSTANZE CAYSA IN WEIMAR

Am 16. Juli 2019 hielt Konstanze Caysa, Fellow am Weimarer Friedrich Nietzsche Kolleg, einen philosophischen Abendvortrag im Nietzsche Archiv, der „Villa Silberblick“, hoch über der Stadt.

Der 16. Juli begann bewölkt. Gegen Mittag blaute der Himmel über Weimar jedoch auf. Der Wind jagte die weißen Wolken dahin. Erst am Abend wurde er müde. Da kam dann eine Ahnung von Sommer in uns auf. Wir wanderten durch den Weimarer Friedhof, vorbei am Denkmal für die Märzgefallenen des Jahres 1920 von Walter Gropius, hinauf zur Humboldtstraße 36. Da lag unser Ziel vor uns im milden Abendlicht. 

Elisabeth Förster Nietzsche, die Schwester Friedrich Nietzsches (1844-1900), hatte 1896 das Werk-Archiv ihres Bruders von Naumburg nach Weimar verlegt. Im Jahre 1902 erwarb sie die „Villa Silberblick“ und ließ diese vom renommierten Architekten Henry van der Velde umbauen. Van de Velde fügte einen Vorbau an und gestaltete die Inneneinrichtung, besonders das repräsentative Erdgeschoss. Heute ist das Haus kein Archiv mehr. Die Archivalien lagern im Goethe-Schiller-Archiv. Die Villa ist der Sitz des „Kollegs Friedrich Nietzsche“ und zugleich ein Museum.

Helmut Heit, promovierter Philosoph und Leiter des Kollegs Friedrich Nietzsche, eröffnete die Abendvortragsveranstaltung im kleinen Kreis. Einer Tradition folgend erhält jeder Fellow am Ende seines Studienaufenthalts am Kolleg die Möglichkeit eines akademischen Abendvortrages.

Konstanze Caysa, eine promovierte Philosophin, die zwei Monate in Weimar arbeitet, stellte den Ansatz ihrer Habilitations-Schrift vor und las aus zwei Kapiteln. Ihre Hauptthese bestand darin, dass man nach Nietzsche eigentlich von einer Geburt der Philosophie aus dem Geiste des Asketismus sprechen müsse. In diesem Lichte sei die Verbindung zwischen dem asketischem Ideal und der Philosophie noch viel enger und strenger, als heute angenommen werde. Sie spitzte die These noch weiter zu: die Anfänge der Philosophie seien am „Gängelband“ des asketischen Ideals erfolgt. Konstanze Caysa formulierte aus dieser Problemstellung heraus ihre Forschungsthematik: „Askese als Autoevolution“. 

In ihrem Vortrag kam die Referentin immer wieder zur Theorie des Empraktischen, einer Verbindung von Kunst und Philosophie, zurück. Der Laie hatte Mühe dem schnellen und dichten Vortrag zu folgen. Die heute üblichen terminologischer Ausdrucks-Neuschöpfungen machten es nicht einfacher. Wenn wir es richtig verstanden haben, dann sieht die Autorin Askese als einen Weg zur Selbstbeherrschung an. Diese an sich nicht neue These kombiniert sie jedoch mit der Gegenläufigkeit von Askese und Rausch. Die Instanz, die diese Gegensätze auszuhalten vermag nannte die Referentin eine Haltung, ein Ethos. Es blieb offen, wie diese Gegensätze vermittelbar sind. Die kleine Runde ermöglichte eine zwanglose Diskussion. Draußen verrann die Zeit und plötzlich wurde es dunkel.

Die Hörer dankten Konstanze Caysa mit herzlichem Applaus. Auch den Organisatoren des Vortrags an diesem besonderem Ort ist zu danken

Zum Abschied ein Blick in die Erdgeschossräume.

Die Nietzsche-Büste stammt von dem Leipziger Künstler Max Klinger.

Kommentar

Die Autobahn Richtung Chemnitz war erfreulich leer. Unsere Fahrt wurde am wolkenfreien Himmel vom aufgehenden Mond beherrscht, auf den sich ab 21.45 Uhr ein immer größerer Teil des Erdschattens schob. Diese Erscheinung hatte eine fast magische Anziehungskraft. Das Licht des Mondes erhellte unsere Diskussion. Zunächst ist es bedauerlich, dass sich die Philosophie seit Kant auf Ausdrücke versteift, bei denen es uns „kalt den Rücke herunterläuft“, wie Hegel über Kant klagte. Allerdings waren die Hegelschen Begriffe auch nicht verständlicher. 

Wehmütig denken wir an die drei Forderungen Benedikt Spinozas an den Philosophen, in denen Askese und Verständlichkeit verbunden wurde: 1. Nach der Denkart des gemeinen Mannes zu reden. 2. Das Vergnügen nur sofern zu genießen als es zur Gesundheit gehört. 3. Geld usw. nur zu suchen, als es zum Leben, zur Gesundheit und zur Sitte des Landes gehört, inwiefern dieses unseren Zwecken nicht widerstrebt.

Meister Eckhart (um 1260-1328) aus dem nahen Tambach-Dietharz, predigte in Sachen Askese gegen die Verwechslung mit äußerlicher Mönchsarmut und Leidenspraktiken. Dagegen knüpfte er wieder am Bibeltext an, in dem er „Armut“ immer im Sinne von „Armut im Geiste“ (eigentlich Askese im Geiste, weise Selbstbeschränkung), um daraus sein Konzept der Gelassenheit, des Fallenlassens aller äußerlich wichtigen Dinge, aller Konsumentenmarotten, aller narzistischen Überschätzungen, aller vordergründigen Ichbezogenheit zu entwickeln. Erst aus dem Fallenlassen, so die These Eckharts, können wir uns zu uns selbst kommen, können wir die Unbefangenheit eines Kindes zurückgewinnen. 

Doch um solche Ideen erschließen zu können, müsste man die Gewissheiten Nietzsches überschreiten. Dieser hatte ein gebrochene Verhältnis zum Erbe und zur Tradition. Der nihilistische Bruch ist zwar immer noch eine Beziehung zum Erbe, reicht aber für eine Vermittlung nicht aus. Die historische Vermittlungsfähigkeit ist Voraussetzung für die theoretische Vermittlungsfähigkeit und umgekehrt. Vielleicht könnte es bei Gelegenheit einmal zu einem Treffen zwischen Meister Eckhart und Friedrich Nietzsche kommen. Die Villa Silberblick wäre der rechte Ort. Oder?

Johannes Eichenthal

Information

https://www.klassik-stiftung.de/forschung/forschungsaktivitaeten/kolleg-friedrich-nietzsche/

Kolleg Friedrich Nietzsche, Nietzsche Archiv, Humboldtstraße 36, 99425 Weimar

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