Im Lessing-Museum Kamenz stellte der Mironde-Verlag am Abend des 4. Mai die Bände 1 und 2 seiner „Literarische Wanderung durch Mitteldeutschland“ vor. Die Veranstaltung hatte im Rahmen der Lessing-Tage eine lange „Vorbereitungsphase“ hinter sich. In den vergangenen zwei Jahren wurde sie drei Mal angekündigt und aufgrund von Corona-Maßnahmen immer wieder abgesagt.
In Kamenz, dem Geburtsort Gotthold Ephraim Lessings (1729–1781), wird seit Jahrzehnten an den großen Sohn der Stadt erinnert. Die Einweihung des Lessing-Museums erfolgte 1929, anlässlich des 200. Geburtstages.
Matthias Hanke vom Lessing-Museum begrüßte die Gäste und stellte den Referenten Dr. Andreas Eichler vor, der den verhinderten Autor Johannes Eichenthal wieder einmal vertreten musste.
Eichler verwies zunächst darauf, dass das Buch für Leser geschrieben sei, die sich mit der Heimatregion verbunden fühlten und die offen für die Entdeckung neuer Zusammenhänge und Querverbindungen seien. Er begann mit einer Referenz an die Lessing-Stadt. Die Idee zum Buchprojekt gehe auf ein Fragment Lessings zur Literaturgeschichte zurück. Diesem habe Lessing ein Zitat Klopstocks vorangestellt: „Von den Minnesängern bis Luther ist es ein langer Weg … du musst ihn auf Deiner Wanderschaft gehen.“ Über die Weiterführung des Lessingschen Ansatzes durch Johanne Gottfried Herder (1744–1803) sei das Buchkonzept entstanden. Eichler stellt in seiner Wanderung mit einer Folge von Porträt- und Landschaftsfotos die Autorinnen und Autoren des Bandes 2 vor. Das Saallicht wurde gelöscht und die Bilder wirkten in großer Eindringlichkeit. Auffällig war, dass Eichler dieses Mal recht häufig den Namen seines Lieblingsautors Herder nannte, mitunter auch an nicht ganz passender Stelle.
Wirklich neu waren dagegen seine Aussagen zu dem, was er bisher „Überlieferungsprozess“ nannte. Er verwies richtig darauf, dass literarische Überlieferung durch mündliche und schriftliche Erzählung getragen werden, dass es also im Grunde um die Erzählung und das Epos geht. (Das hätte er eigentlich von Herder her wissen müssen.)
Interessant wurde es am Ende noch einmal bei der Zusammenfassung. Eichler erklärte zunächst, dass weder Vereinnahmungsversuche, noch Dominanzstreben, Kanon-, Antikanonbildung oder andere Ausgrenzungsversuche das vielstimmige und widersprüchliche Erbe angemessen erfassen könnten. Eher würde das Erbe durch solche Praktiken verzerrt oder beschädigt. Vielmehr müsse man davon ausgehen, das literarisch-erzählerische Erbe in seiner Vielstimmigkeit und Widersprüchlichkeit nur als Ganzes anzunehmen oder abzulehnen sei. Eichler verwies auf seinen Leipziger Lehrer Helmut Seidel (1929–2007). Der variierte mit Bezug auf die Erbe-Aneignung einen Satz seines Lieblingsphilosophen Benedikt Spinoza (1632–1677): „Nur das Ganze ist das Wahre.“
Nicht nur die Ablehnung, der Bruch mit dem literarisch-erzählerische Erbe führe also in die Kulturlosigkeit, sondern auch Vereinnahmungsversuche, Dominanzstreben, Kanon- und Antikanonbildung, Ausgrenzungsversuche wie auch Traditionsbildung.
Eichler brachte die Kompliziertheit der Problematik mit einem weiteren Gedanken Helmut Seidels auf den Punkt: Nur der, der sich sein Erbe anzueignen vermag, der hat auch eine Zukunft. Doch nur der, der eine Zukunft hat, vermag auch sein Erbe anzueignen.
Das Verhältnis zum literarisch-erzählerischen Erbe ist dem Anschein nach auch ein Indikator dafür, ob eine soziale Strömung oder eine Gesellschaft zukunftsfähig ist. Wer sein literarisch-erzählerisches Erbe ablehnt, beschädigt oder verzerrt, der offenbart damit auch, dass er keine Zukunft hat.
Abschließend verwies Eichler darauf, dass „Mitteldeutschland“ seit Jahrhunderten eine der innovativsten Regionen Europas ist, dass seit 1200 nahezu alle Erneuerungsbewegungen der deutschen Geschichte in dieser Region entstanden, dass alle im Vortrag genannten Orte innerhalb einer Tagesreise erreichbar seien und dass alle zitierten Bücher antiquarisch erhältlich sind. Es gibt in dieser Region viel zu entdecken.
Clara Schwarzenwald
Information
Andreas Eichler: Literarisch Wanderung durch Mitteldeutschland. Sprache und Eigensinn 1. Von den Minnesängern bis Herder. 23,0 × 23,0 cm, 320 Seiten, fester Einband, zahlreiche Abbildungen
VP 29,90 € ISBN 978-3-96063-025-8
Johannes Eichenthal: Literarische Wanderung durch Mitteldeutschland. Sprache und Eigensinn 2. Von Goethe bis Rathenau. 23,0 × 23,0 cm, 320 Seiten, fester Einband, zahlreiche farbige Fotos, Karten und Abbildungen
VP 29,90 € ISBN 978-3-96063-026-5
Die Bücher sind erhältlich im Buchhandel oder direkt beim Verlag.
Band 1:
Band 2: https://buchversand.mironde.com/epages/es919510.sf/de_DE/?ObjectPath=/Shops/es919510/Products/9783960630265
Der Band 3 soll 2023 erscheinen.
Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.