Glashütten
Reportagen

GLASHÜTTEN IM ERZGEBIRGE

Der 5. November war ein schöner Herbsttag. Zunächst löste die Sonne morgendliche Nebel auf, um ihre derzeitige Kraft voll zur Geltung zu bringen. Nach ihrem Untergang stiegen langsam Nebel wieder aus den Wiesen und Wäldern hervor. Am Annaberger Markt ging die Geschäftigkeit langsam zu Ende. Die Mehrheit der Menschen hatte ihr Tagwerk vollbracht. In der Stadtbibliothek herrschte dagegen reges Treiben. Viele junge Mütter wählten mit ihren Kindern Bücher zum Ausleihen. Im Saal der Stadtbibliothek versammelte sich derweil ein ungewöhnlich interessiertes Publikum. Wie aus dem Nichts tauchten hier Tourismusfachleute, Diplomingenieure aus dem Technik- und Montanbereich, Museumsfachleute und Allgemeininteressierte auf. Eingeladen hatte der studierte Nichteisenmetallurge Michael Schuster zu einem Vortrag mit dem Titel »Glas, Holz und blaue Farbe«.

Glashütten

Michael Schuster begrüßte die Gäste und begründete seine Themenwahl damit, dass in der Zeit vom 13. Jahrhundert bis zum 19. Jahrhundert im Erzgebirgsraum etwa 100 Glashütten nachweisbar seien. Begründet wurde die Glasproduktion vor allem durch den Orden der Zisterzienser. Die Gründung der Klöster Altzella (1170) bei Nossen, Grünhain (1233) bei Schwarzenberg und Osek (1193) auf böhmischer Seite schuf Voraussetzungen für die Glasproduktion. Man hätte vielleicht auch das Kloster Waldsassen (1133) einbeziehen können, von dem aus Osek gegründet wurde. Für das Kloster Osek ist eine Glashütte in Frauenbachtal bei Neuhausen nachweisbar. Schuster verwies darauf, dass durch Funde die die älteste Glasproduktion im Orient nachgewiesen wurde und im Römischen Reich ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte. Die Zisterzienser bewahrten im Untergang der römischen Welt das technologische Wissen und wendeten es unter den Bedingungen des Erzgebirges an. Das betraf neben der Glasherstellung auch Tierzucht, Obst- und Gartenbau, Kräuterkunde, Medizin, Bodenschatzlagerstättenerkundung, Technik u.a. Die Ordensmitglieder betrieben gleichzeitig körperliche Arbeit, geistige Arbeit und Seelsorge. Im Kloster befand sich in der Regel eine Bibliothek, in der per Hand die antiken »Klassiker« abgeschrieben und Erfahrungen in neuen Büchern weitergegeben wurden. Die Klöster verfügten über wirtschaftliche Autonomie und waren gleichzeitig in einem Netzwerk verbunden. Diese Struktur ermöglichte es Wissen zu bewahren und anzuwenden.

Glashütten

Michael Schuster beschrieb anschaulich den Prozess der Glasherstellung, der sich vor 4500 Jahren ursprünglich aus der Glasurherstellung für Keramikerzeugnisse entwickelt haben soll. (Gerhard Nölle, 1994) Man benötigte Temperaturen von mindestens 1200 Grad Celsius, um Quarz zur Schmelze zu bringen. Wie konnte man das messen? (Das Thermometer wurde erst einige hundert Jahre später erfunden; also war viel Erfahrungswissen notwendig.) Wie viel Holz musste zu Brennholz und Holzkohle verarbeitet werden, um die Temperatur zu erreichen? Dem Anschein nach benötige man hunderttausende Festmeter Holz jährlich um Brennholz, Pottasche und Holzkohle herzustellen, Häuser zu errichten und Bergwerke auszubauen. Michael Schuster verwies darauf, dass das Erzgebirge im 16. Jahrhundert größtenteils »entwaldet« gewesen sei. 

Glashütten

Im letzten Teil des Vortrages stellte Michael Schuster die Blauglasproduktion in den Mittelpunkt, die sich im 17. Jahrhundert im Erzgebirge entwickelte.

Glashütten

Die Zuschauer dankten Michael Schuster am Ende mit herzlichem Applaus für die Anregungen. Es schloss sich eine Diskussion über einzelne Fragen an, ehe das illustre Publikum wieder verschwand, wie es gekommen war.

Glashütten

Vor dem historischen Portal der Stadtbibliothek Annaberg-Buchholz

Kommentar

Auf dem Heimweg ließen wir den Abend nocheinmal an uns vorüberziehen. Mit den Zisterziensern traten wirtschaftliche Akteure auf, die einen schier unendlichen Urwald kultivierten. Sie verfügten auch über Voraussetzungen zur Einschätzung der langfristigen Folgen ihres Handelns. Dennoch leiteten sie letztlich einen Prozess der Entwaldung des Erzgebirges ein. Der Bergbau war dann zu Beginn mit dem Wirken von privaten Investoren und deren kurzfristigen Interessen verbunden, bis der Kurfürst die strategischen Interessen des Landes definierte. Die Landesherren verfügten über Detailkenntnissen und Weitblick. August der Starke (1670–1733) konnte deshalb seinen Oberforstmeister anweisen, nur noch so viel Holz einzuschlagen, wie nachwächst, und ein gigantisches Aufforstungsprogramm zu starten. Aber solche langfristige Aufgaben der Menschheit »rechnen« sich in der Regel nicht kurzfristig.

Wenn man dagegen nur noch kurzfristige Rentabilität kennt und langfristige Aufgaben vom Börsenkurs abhängig macht, dann bleiben wichtige Dinge auf der Strecke. So werden in Deutschland täglich immer noch etwa 100 ha Fläche versiegelt. Die Flächenversiegelung ist ein wesentlicher Faktor der Erderwärmung. Wer kann heute den Stopp der Versiegelung und die notwendige Aufforstung anweisen?

Clara Schwarzenwald

Information

Michael Schuster: Der Zwerg aus dem Berg. Bildergeschichte einer Zeitreise in die Montanregion Erzgebirge/ Krušnohoří. Für Kinder ab 3 Jahre. Klammerheftung, 14,8 × 14,8 cm, 16 Seiten, Illustration von Birgit Eichler VP 5,95 Euro; ISBN 978-3-96063-058-6

Bestellbar in jeder Buchhandlung oder direkt beim Verlag: https://buchversand.mironde.com/p/der-zwerg-aus-dem-berg-bildergeschichte-einer-zeitreise-in-die-montanregion-erzgebirge-krusnohori

Michael Schuster: Der Zwerg aus dem Berg. Eine Zeitreise in die Montanregion Erzgebirge/ Krušnohoří.

Fester Einband, runder Rücken, 23,0 × 3,0 cm, 96 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen und Fotos

VP 17,95 Euro; ISBN 978-3-96063-048-7

Bestellbar in jeder Buchhandlung oder direkt beim Verlag: https://buchversand.mironde.com/p/michael-schuster-der-zwerg-aus-dem-berg

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Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

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