Am 9. November 2024 wurde im Hof-Theater zum ersten Mal der Hans-Keilson-Preis der Stadt Bad Freienwalde an Jos Versteegen, den Verfasser einer Hans-Keilson-Biographie, verliehen. Keilson wurde 1909 in Bad Freienwalde als Sohn eines jüdischen Textilwarenhändlers geboren. 1928 legte er am Reformrealgymnasium der Stadt das Abitur ab. Auf Anraten und mit Unterstützung eines Onkels studierte er von 1928 bis 1934 in Berlin Medizin. 1933 veröffentlichte er einen autobiographischen Text unter dem Titel »Das Leben geht weiter« und erhielt darauf Publikationsverbot. Nach dem Staatsexamen erhielt er zudem Praxisverbot. 1936 emigrierte er in die Niederlande. Nach der Besetzung des Landes durch die Wehrmacht lebte er im Untergrund und nahm am Widerstand teil. Dabei betreute er u.a. jüdische Kinder, die von ihren Eltern vor der Deportation in Sicherheit gebracht worden waren. Keilson selbst hatte seine Eltern in die Niederlande geholt, diese konnten jedoch aus gesundheitlichen Gründen nicht in den Untergrund gehen. Sie wurden deportiert und in Auschwitz ermordet. Im Widerstand bewältigte Keilson sein Leben auch mit Lyrik und Prosatexten, musste diese aber verstecken, zum Teil sogar vergraben. Erst 1959 erschien sein den Widerstand reflektierendes Buch »Der Tod des Widersachers«. Da sein Abschluss in den Niederlanden nicht anerkannt wurde, nahm er mit 50 Jahren ein Facharztstudium für Psychatrie auf und schloss es in den 1960er Jahren ab. 1979 wurde er mit einer Dissertationsschrift zur Arbeit mit traumatisierten Kindern promoviert. Von 1985 bis 1988 war er Präsident des PEN-Zentrums deutschsprachiger Schriftsteller im Ausland. Ende der 1990er/Anfang der 2000er Jahre erhielt er einige deutsche Literaturpreise. Erst als die New York Times ihn 2010 zu den besten zehn Schriftstellern des Jahres rechnete, erhielt er in den Niederlanden die Anerkennung als großer Literat. Hans Keilson starb 2011 in Hilversum.
Professor Eberhard Görner begrüßte an diesem kalten Novemberabend voller Freude die Gäste in der angenehmen Atmosphäre des Hof-Theaters.
Im Gespräch mit dem Preisträger Jos Versteegen, der Deutsch mit niederländischem Akzent sprach, erfuhren die Gäste nicht nur einige Hintergründe der Biographie, der Autor vermittelte mit seinem kurzen Auftritt auch die Atmosphäre, in der das Buch entstehen konnte. Der Dozent, Literat und Übersetzer Jos Versteegen ist vom Jahrgang 1956. Auf Bitte Eberhard Görners fügte er eine kurze Fotopräsentation zum Leben Hans Keilsons an.
Auf Einladung Eberhard Görners las der bekannte Schauspieler, Musiker und Sprecher Christian Steyer Auszüge aus der Autobiographie Hans Keilsons.
Unterstützt wurde er dabei von dem Akkordeonvirtuosen Tobias Morgenstern, der mitunter seinem Instrument den Klang einer Orgel oder eines halben Orchesters entlockte.
Im nächsten Akt enthüllte Eberhard Görner ein Hans-Keilson-Porträt, das der bekannte Schauspieler, Musiker und Maler Armin-Mueller-Stahl angefertigt hatte. Der Künstler übergibt der Stadt Bad Freienwalde das Porträt als Dauerleihgabe.
Hans-Keilson-Porträt (Ausschnitt)
Zur Preisverleihung versammelte sich eine illustre Runde auf der Bühne. Von li.: Verleger Michael Faber, Prof. Eberhard Görner, Bürgermeister Ralf Lehmann, Schriftstellerlegende Christoph Hein, der Vorstandsvorsitzende der Sparkasse Märkisches Oderland Thomas Beutler, Preisträger Jos Versteegen und der Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung Dr. Reinhard Schmook. Christoph Hein antwortete auf die Frage, warum er die Bitte Eberhard Görners als Jury-Mitglied mitzuarbeiten, angenommen habe, dass man auf Eberhard Görners Anfragen nicht »nein« sagen könne. Ebenso hatte bereits der Verleger Michael Faber geantwortet. Von Volker Braun, der sich wegen der Verleihung eines italienischen Literaturpreises in Rom entschuldigen ließ, hätten wir sicher eine ähnliche Antwort gehört. Eberhard Görner gelang es eine respektable Jury zu formieren.
Der Preisträger Jos Versteegen dankte für die Preisverleihung. Er fügte an, dass hunderte Menschen an dem Buch mitarbeiteten. Er habe unzählige Gespräche geführt, Briefe und Texte anderer Menschen zitiert. Das Zusammenwirken dieser vielen Menschen im Buch gehöre zum Werk Hans Keilsons. Dieser sei ein »Menschenmensch« gewesen. Auf die Frage Heinrich Deterings, ob er nach all dem Deutschland hassen würde, habe Keilson geantwortet, dass er seine Muttersprache, die Landschaft und die Orte seiner Kindheit nicht hassen könne. Versteegen fasste zusammen: Hans Keilson war ein Brückenbauer.
Allen Aktiven ist zu danken. Die ansässige Buchhändlerin präsentierte auf einem Büchertisch ein liebevoll ausgewähltes Sortiment, darunter selbstverständlich die Keilson-Biographie des Preisträgers. Die Mannschaft des Hof-Theaters verrichtete ihre Arbeit geräuschlos und professionell. Licht, Bilder, Ton – alles war perfekt. Auch die gastronomische Betreuung in der Lounge unterstützte die angenehme Atmosphäre.
Erst kurz vor Mitternacht ging die Veranstaltung im Hoftheater zu Ende. Eberhard Görner verabschiedet den Autor und Preisträger Jos Versteegen (re.) und dessen Lektor vom S. Fischer-Verlag.
Die Stadt Bad Freienwalde ehrte an diesem Abend ihren großen Sohn Hans Keilson nicht zum ersten Mal. 1990 wurde Hans Keilson Ehrenbürger, 2004 erhielt die Stadtbibliothek seinen Namen, 2009 wurden an einem seiner früheren Wanderwege ein Findling und eine Bank aufgestellt. Für die Verwirklichung der Preisvergabe wirkten 2024 verschiedene Akteure zusammen. Wer brachte sie zusammen? Die »Stadt« ist zwar eine Körperschaft öffentlichen Rechts aber kein wirkliches Subjekt. Es sind immer Menschen, die etwas bewegen. Eberhard Görner war es, der seit vielen Jahren Hans-Keilsons Leben und Werk thematisiert. Selbst in das Filminterview mit Gottfried-Bermann-Fischer blendete Görner eine Interview-Sequenz mit dem Fischer-Verlags-Autor Hans Keilson ein. Die Arbeit vieler Jahre kulminierte jetzt in der Zusammenführung von Stadt, Sparkasse Märkisches Oderland, S.-Fischer-Verlag, Christian Steyer, Tobias Morgenstern, Christoph Hein, Michael Faber und Volker Braun. Die Moderation des Abends durch Eberhard Görner war zudem ein herausragendes Ereignis. Da gab es, wie in seinen Interviews, kein Wort zu viel: die Gäste standen im Mittelpunkt.
Johannes Eichenthal
Information
Jos Versteegen: Immer wieder ein neues Lebens. Eine Hans-Keilson-Biographie. Geb., 716 Seiten. S.-Fischer-Verlag Frankfurt/Main. ISBN 97831093975550
Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.