Der 25. September war ein kalter und nasser Herbsttag. Die Goethe-Gesellschaft Chemnitz hatte zu einem Vortrag von Prof. Dr. Christof Wingertszahn, dem langjährigen Direktor des Goethe-Museums Düsseldorf, in die Neues Sächsische Galerie Chemnitz eingeladen. Der Vortrag trug den Titel „Die Natur versteht gar keinen Spaß. Goethe und die Ökologie“. Wie, um den Titel des Vortrags zu unterstreichen, hatte die Natur sich ein sehr ungemütliches Wetter einfallen lassen. Erstaunlich viel Gäste folgten der Einladung in die Neue Sächsische Galerie. Der Vortrag fand im Ausstellungsraum statt, hier war man mitten im Ausstellungsaufbau. An den Wänden konnte man bereits die Hängung erkennen, nur die Beschriftung fehlte noch. Präsentiert wird das Werk des großen Schriftgestalters Heinz Schumann (1934–2020) unter dem Titel „In Deinen Träumen reist Dein Herz“. Die Ausstellung wird am Dienstag, dem 30. September, um 19.30 Uhr eröffnet.

Siegfried Arlt begrüßte den Referenten und die Gäste, er deutete mit einer kurzen Bemerkung an, dass Heinz Schumann einer seiner Künstlerfreunde war. Mit großer Freude stellte er darauf den Referenten des Abends vor. Prof. Dr. Wingertszahn habe die Goethe-Gesellschaft Chemnitz über viele Jahre begleitet. Bei den Forschungen zum Besuch Goethes in der Bernhardschen Spinnerei in Altchemnitz, am 27. September 1810, steuerte Wingertszahn wichtige Dokumente bei. Er sei gespannt auf den heutigen Vortrag, der auch in die Publikation der Gesellschaft, die anlässlich ihres 100jährigen Bestehens im Jahre 2026 erscheinen soll, aufgenommen wird.

Professor Wingertszahn machte darauf aufmerksam, dass Johann Wolfgang Goethe (1749–1832) den Ausdruck „Ökologie“ nicht kannte. In Goethes Naturbild sei der Mensch eingeschlossen gewesen. Erst der Goetheianer Ernst Haeckel habe 1866 den Ausdruck „Ökologie“ eingeführt. Im Grunde ging es also um das Naturbild Goethes. Wingertszahn beschrieb mit Hilfe vieler Texte und Abbildungen diese Vorstellungen Goethes. Aus dem Gespräch mit Eckermann vom 13. Februar 1829 stammt die Äußerung, die für die Titelwahl benutzt wurde: „Die Natur versteht gar keinen Spaß, immer ernst, immer strenge, sie hat immer Recht und die Fehler und Irrtümer sind immer die des Menschen.“
In diesem Kontext wird deutlich, dass „Spaß“ hier mit „fehlendem Ernst des Menschen“ unterlegt ist.
Die weiteren Ausführungen des Referenten drehten sich immer wieder um das Verständnis des Zitates.

Der Referent brachte in Erinnerung, dass Goethe ein sehr vielseitiger Mensch war. Neben der Literatur kannte er die Geschichte des Kosmos, der Mineralien, Pflanzen und Tiere. Er war Künstler, Dichter und als Minister auch Praktiker. (Christoph Cremer belegte u.a., dass die Gründung der optischen Industrie Jenas auf Goethe zurückzuführen ist.) Goethe verfügte über ein umfassendes, vielseitiges und vielschichtiges Bild vom Naturkreislauf. Bei der Suche nach den theoretischen Quellen für dieses Bild vom Naturkreislauf nannte Wingertszahn Jean Jacques Rousseau, Benedikt Spinoza und Alexander von Humboldt. Gleichzeitig merkte Wingertszahn an, dass Goethe Naturkatastrophen, wie ein Saale-Hochwaser in Jena, an dessen praktischer Eindämmung er beteiligt war, in einem Gedicht verarbeitete.
Die Gäste dankten Professor Wingertszahn mit Applaus. Siegfried Arlt fügte würdige Dankesworte an.

Auf der Heimfahrt ging uns noch einmal der Vortrag durch den Kopf. Was unterscheidet Johann Wolfgang Goethe von der Masse der Mainstreamwissenschaftler von heute? Was macht ihn noch heute für uns interessant? Vielleicht ist sein Bemühen um die Farbenlehre exemplarisch. Goethe wurde ja in seiner Auseinandersetzung mit Isaak Newton um die Natur der Farben selbst in Weimar lange das Verdikt des „Irrtums“ angeheftet. Sicher ist es verständlich, wenn manche gern auch einem Genie einmal einen „Irrtum“ „nachweisen“ möchten. Doch diese Behauptung war verfrüht. Professor Dr. Christoph Cremer aus Heidelberg demonstrierte in seinem Chemnitzer Vortrag vom 26. April 2012 die Bedeutung der Goetheschen Farben-Erkenntnisse für die Entwicklung der modernen Elektromikoskopie. Gegen Newton hatte Goethe eingeworfen, dass man nicht glauben sollte, das Wesen der Natur ausschließlich mit ein paar Zahlen erfassen zu können. There is it. Das ist der Unterschied zur überspezialisierten, bloß quantifizierenden Mainstreamwissenschaft. Es gibt Zeiten, in denen das Klassische das Modernste ist das zur Verfügung steht. Den Organisatoren, dem Referenten und den Gästen ist zu danken. Es war ein seltenes Ereignis in Chemnitz.
Johannes Eichenthal
Information
Reportage vom Vortrag Prof. Dr. Christoph Cremers
(https://www.mironde.com/litterata/1418/reportagen/goethe-in-chemnitz-2 )
Enthüllung einer Gedenktafel an der ehemaligen Bernhardschen Spinnerei
Neue Sächsische Galerie Chemnitz
https://www.neue-saechsische-galerie.de/willkommen.html
Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.