Der 12. Juli ist ein Freitag. Wir fahren auf der Autobahn 72 in Richtung Erzgebirge. In Stollberg geht es von der Autobahn ab in Richtung Zwönitz, über Geyer nach Schlettau. Am Freitagabend sind dem Anschein nach mehr nervöse Autofahrer als sonst unterwegs. Man überholt an den unmöglichsten Stellen, um an der Ampel wenigstens 5 Meter vor dem anderen zum gemeinsamen Stehen zu kommen. Der Durchschnittsbürger wird dem Anschein nach in der Arbeitswelt derartig gedemütigt, dass er wenigstens im Straßenverkehr einmal die Nase vorn haben möchte. Von wirklichem Selbstbewusstsein zeugt solches Gehabe eher nicht. Naja. Endlich sind wir in Schlettau. Über verwinkelte Treppen, durch den Rittersaal kommen wir in den Bergfried. Die Wendeltreppe hinauf: und wir stehen in der Galerie der Sammlung Erzgebirgische Landschaftskunst. Ausgeglichene Menschen. Entspannte Atmosphäre. Und schon geht es los.
Jan Färber, der Leiter des Bergbaumuseum Oelsnitz, begrüßt die Gäste zur Ausstellung »Zehn Jahre Sammlung Erzgebirgische Landschaftskunst«.
Landrat Frank Vogel lässt es sich nicht nehmen die Gäste selbst zu begrüßen. Man könne die Jubiläumsausstellung auch als Hommage an die Künstler ansehen, die ihre Werke der Sammlung anvertrauten.
Nach zehn Jahren sei der Bestand auf 2000 Kunstwerke mehrerer Künstlergenerationen angewachsen. Im Mittelpunkt der heutigen Ausstellung stünden »Klassiker«, die schon mehrfach zu sehen waren. Aber es seien auch Exponate zu sehen, die noch nie ausgestellt wurden.
Im Juli 2003 sei die Sammlung von dem Tannenberger Maler Carl Heinz Westenburger initiiert worden. Der Kulturraum Erzgebirge und der Landkreis Annaberg hätten das Projekt unterstützt. Von Anfang an sei es nicht nur um einen Ausstellungsraum gegangen sondern auch darum, die Kunstwerke der Region in der Region zu bewahren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Damit sei eine Lücke, in der mit 150 Museen eigentlich reich gesegneten Museenlandschaft, geschlossen worden.
Die Werke von Rudolf Manuwald seien von dessen Sohn, der Sammlung als Schenkung überlassen worden. Damit sei der Grundstein der Sammlung gelegt gewesen. Mit Bildung des heutigen Erzgebirgskreises im Jahre 2008 wurde die Sammlung Erzgebirgische Landschaftskunst als Einrichtung des Kreises übernommen.
Er sei auch sehr froh darüber, so der Landrat, dass in der letzten Kreistagssitzung der Beschluss über die Zuordnung der Sammlung zum Bergbaumuseum in Oelsnitz gefasst wurde. Das sei einerseits ein Zeichen für das Zusammenwachsen der Erzgebirgsregion. Gleichzeitig sei man dem Ziel der Bewahrung der Kunst aus der Region in der Region näher gekommen. Die Sammlung sei in ihrer identifikationsstiftenden Wirkung gestärkt worden.
Er wünsche der Ausstellung viele interessierte Besucher, nicht nur Fachbesucher, vielleicht auch, um einmal das Erzgebirge, ihr Erzgebirge, aus einer anderen Perspektive zu sehen.
Alexander Stoll (auf dem Foto re. im Gespräch mit Dr. Klaus Walther), der Kurator der Sammlung, erinnerte an die Auftaktveranstaltung im Juli 2003. Es sei etwas wärmer gewesen. Auf Anregung von Carl-Heinz Westenburger habe man zuvor im Schlosspark einen roten Spitzahorn gepflanzt. Der Baum sollte eine Brücke bilden zwischen innen und außen. Zugleich sollte der Baum das Wachstum der Sammlung symbolisieren.
Foto: Der rote Spitzahorn vor dem Museumseingang wurde im Jahre 2003 gepflanzt.
Zur Eröffnung im Jahre 2003 wurden 100 Werke von 35 Künstlern gezeigt. Davon seien 3/4 Leihgaben gewesen. Die notwendige weitere Unterstützung sei vor allem von Steffen Meyer gekommen, dem er an dieser Stelle danken möchte. Ein Applaus für den leider nicht anwesenden Steffen Meyer, dem langjährigen Kulturraumsekretär, unterbrach die Rede. Ohne die Hilfe von Steffen Meyer, so Stoll, wäre die Idee der Sammlung wahrscheinlich nicht verwirklicht worden.
Viele Künstler hätten sich in letzten Jahren mit dem Anliegen der Sammlung identifiziert. Als sie merkten, dass hier Interesse vorhanden ist, verwandelten sie viele Leihgaben in Schenkungen. Mit Unterstützung der Sparkassenstiftung sei es auch gelungen einige wichtige Lücken in der Sammlung zu schließen.
Heute verfüge man zum Beispiel über den gesamten Nachlass von Rudolf Manuwald. In Zusammenarbeit mit dem Kunstkeller Annaberg konnte auch dessen gesamte Druckgraphik neu aufgelegt werden.
Der Nachlass des Scheibenberger Künstlers Friedrich Näser sei als Schenkung eingegangen, ebenso der Nachlas von Kurt Teubner.
Erst durch unsere Sammlung konnten viele Werke zusammengeführt und gemeinsam gezeigt werden.
Die heutige Ausstellung wolle einen breiten Überblick versuchen. Aber die räumlichen Bedingungen begrenzten diese Absicht.
Am Eingang sei ein »Klassiker« zu sehen, das Triptychon »Erzgebirge« von Westenburger und Manuwald. Seit 2003 sei es immer zum Auftakt von Ausstellungen gezeigt worden.
Aber auch Werke von Rolf Schubert, Konrad Knebel, Dieter Gantz, alles Studienfreunde von Westenburger oder sogar mit biographischen Wurzeln im Erzgebirge, seien zu sehen.
Rolf Schubert ist leider im letzten Monat in Berlin verstorben.
Dieter Gantz sei bereits Mitte der 1950er Jahre mit Westenburger in der Region unterwegs gewesen. 2004 fertigte er als Erinnerungen an den »Schacht 1 in Johanngeorgenstadt« ein Gemälde und schenkte es der Sammlung.
Alexander Stoll nannte weitere Werke der Sammlung, u.a. die »Halde« von Dagmar Ranf-Schinke und ein Blatt von Carl-Friedrich Claus. Dieser habe früh das Verhältnis Mensch-Natur auf einzigartige Weise reflektiert. An dieser Stelle zitierte Stoll aus einem Text von Carlfriedrich Claus aus dem Jahre 1965, indem dieser aus menschlichen Besitzansprüche auf die Natur die ökologische Katastrophe kommen sah.
Die Sammlung, so Stoll, wolle beitragen die Sinne zu schärfen, wieder sehen zu lernen.
Mit zunehmendem Alter verfüge die Sammlung auch über einen dokumentarischen Wert. Erinnerungen an bestimmte Orte und Stätten, die heute so nicht mehr existierten, seien nur noch hier möglich.
Heute wendeten sich Künstler eher anderen Motiven zu. Als Beispiele nannte er Axel Wunsch oder Lothar Kittelmann. Ähnlich, aber noch radikaler seien Radierungen von Max Uhlig.
Auch Werke von Künstlerinnen aus dem Zwickauer Raum, zum Beispiel von Carla Schoppe, seien hinzugekommen.
Ganz frisch sei ein Gemälde von Roland Buschmann, das erst am Mittwoch signiert wurde.
Im Ausblick nannte Alexander Stoll die traditionelle Herbstausstellung mit den Neuerwerbungen des Jahres.
Im Gästebuch, so Stoll abschließend, habe er vom Mai 2009 eine Eintragung gefunden: »Die Kunst sollte der Seele schmeicheln und nicht den Verstand strapazieren.«
Alexander Stoll fügte an, dass man es sich wahrscheinlich so einfach nicht machen könne. Beides, Verstand und Seele, seien wohl nötig.
Abschließend dankte er allen, die zum Gelingen der Ausstellung beitrugen. Mit Bachmusik der Annaberger Kammersolisten wurde die Eröffnung in die Besichtigung der Ausstellung übergeleitet.
Kommentar
Die Idee, eine Sammlung regionaler Kunst an Darstellungen der Landschaft festzumachen, war genial. Steffen Meyer, der im Bild eine Ausstellung vom Juli 2010 eröffnete, besaß die notwendige erzgebirgische Hartnäckigkeit, um die Idee zu verwirklichen.
Die Bildsprache einer Region ist ein wichtiges Moment der regionalen Kultur, der Mentalität, der Identität. Zugleich ist diese Bildsprache einer Region, ähnlich unserer Muttersprache, die Basis, um andere Sprachen verstehen zu können. Die Sammlung Erzgebirgische Landschaftskunst leistet seit zehn Jahren auf vorbildliche Weise, mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln Grundlagenarbeit.
Die Eintragung im Gästebuch, die Alexander Stoll zitierte, kann man wohl eher als Lob verstehen. In der Sammlung werden Arbeiten gezeigt, die den Seelen aller Besucher zugänglich sind, die die Erzgebirgslandschaft wahrnehmen.
Mit »Verstand« wird hier wohl eher auf die »moderne Konzeptkunst« angespielt, die lange Erklärungen braucht, um überhaupt »verstanden« werden zu können.
Über Jahrhunderte betrachtete man Verstand und Seele als Einheit. Zur Seele gehören alle Sinnesorgane. Verstand/Vernunft/Sprache stellen den inneren Zusammenhang der Sinneswahrnehmung, also der Seele her. Das Wort oder das Bild ist das Wesen unserer Seele.
Erst die Aufklärung reduzierte die Vernunft auf mathematische Rationalität, löste sie aus dem Sinneszusammenhang, wertete die Sinne ab und ordnete der Vernunft allein das Auge zu. Vernunft wurde mit der Metapher »Licht« dargestellt.
Wir leben heute im Durchschnitt ein Leben aus zweiter und dritter Hand. Das Fernsehen setzt uns ununterbrochen »Instant-Bilder«vor. Viele Menschen, können aus Sinneseindrücken kaum noch eigene, individuelle innere Bilder aufbauen. Besonders für Kinder und ältere Menschen ist es aber wichtig Sinneseindrücke und Bewegung in innere Bilder und Sprache umwandeln zu können, weil an dieses Sprach-Bild-Vermögen unser Denkvermögen gebunden ist. Die Heimatsagen funktionierten über Jahrhunderte als Gesprächsthema über die Generationen. Alle kannten die Burg, den Berg, den Wald oder den Fluss, wo die Sage handelte. Ähnlich ist es mit den Landschaftsbildern. Wir kennen alle die Berge und Täler, die Städte und Dörfer, die hier dargestellt werden. So rückt der besondere Blick in den Mittelpunkt, mit dem ein Künstler das uns Bekannte darstellt. Georg Wilhelm Friedrich Hegel meinte einmal, dass mitunter gerade das Bekannte von uns noch nicht erkannt sei. Die Sammlung Erzgebirgische Landschaftskunst kann uns in diesem Punkt helfen. Zugleich zeigt uns die Sammlung große Malerei, die in uns Assoziationen in allen unseren Sinnen zu wecken vermag. Wir sehen nicht nur, wir hören, riechen, schmecken und fühlen bei einem guten Bild, ebenso, wie bei einem guten literarischen Text. So unrecht hatte also der Besucher mit seinem Gästebucheintrag vielleicht nicht.
Johannes Eichenthal
Information
Die Ausstellung ist bis zum 3. November 2013 geöffnet.
Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 10-17 Uhr
Sonntag, Sonnabend und an Feiertagen 14-17 Uhr
Zur Information liegt eine Broschüre aus: Inspiration Landschaft. Sammlung Erzgebirgische Landschaftskunst. (2006)