Reportagen

Gert Hofmann in Stadt Wien

Am 29. Januar diesen Jahres wäre der in Limbach geborene Schriftsteller Gert Hofmann 80 Jahre alt geworden. Er gehört zu den meistübersetzten deutschen Gegenwartsschriftstellern. In seiner Geburtsstadt unternimmt man in diesem Jahr einige Anstrengungen, um den großen Sohn durch Ehrungen in den Blick der Öffentlichkeit zu bringen. Bereits am 29. Januar gab die Stadtverwaltung einen Festakt, auf dem der Nestor der regionalen Literaturgeschichte Dr. Klaus Walther ebenso zu Wort kam,  wie drei Schülerinnen des Albert-Schweitzer-Gymnasiums mit einer szenischen Lesung des Hofmannschen »Autorengespräches«. Für den 18. April hatte der Freundeskreis Gert Hofmann im Sächsischen Schriftstellerverein e.V. und die Gaststätte Stadt Wien zu einer Lesung aus der neu veröffentlichten Lenz-Novelle Gert Hofmanns eingeladen. Nur wenige Schritte von »Stadt Wien« entfernt stand einst das Geburtshaus Gert Hofmanns. Das ehemalige Cafe-Dittrich, in dessen Hinterhaus um 1908 das Apollo-Stummfilmkino entstand, ist auf der anderen Straßenseite. Gert Hofmann war schon als Kind in »Stadt Wien«, ebenso während seines Besuches in der Geburtsstadt im Jahre 1990, drei Jahre vor seinem frühen Tod.

Wolfgang E. Herbst las am 18. April in »Stadt Wien« Ausschnitte aus Gert Hofmanns Novelle »Die Rückkehr des verlorenen J. M. R. Lenz nach Riga«. Die Gaststätte war nahezu bis auf den letzten Platz besetzt.  Herbst hatte eine besondere Beziehung zum Text, war er es doch, der die sensiblen, kongenialen Illustrationen der Neuausgabe schuf. Zudem ist er, man merkt es kaum, nahezu vom gleichen Jahrgang, wie Gert Hofmann, und arbeitete, wie Gert Hofmann, sein Leben lang an verschiedenen Orten. Wolfgang Herbst gelang gerade durch seine präzise Lakonie eine ergreifende Lesung des tragi-komischen Textes. Größe kann man nur mittels Lakonie darstellen. Vervollkommet wurden die Textauszüge durch wunderbare Cello-Improvisationen der jungen Musikerin Stefanie Heinrich.

Stefanie Heinrich

Das sachkundige Publikum lauschte den beiden Akteuren sehr konzentriert und dankte mit herzlichem Applaus. Unter den Zuschauern befanden sich die Bürgermeister Lothar Hohlfeld (Limbach-Oberfrohna) und Klaus Kertzscher (Niederfrohna), die Künstlerin Else Gold und der Künstler Osmar Osten, die Leiterin der Stadtbibliothek Christine Erler und ihre Mitarbeiterinnen, die über Jahre das Andenken an Gert Hofmann pflegten; Vertreter des Heimatvereines von Limbach-Oberfrohna, der Chefredakteur des Zeitschrift »Lokpfogel« und seine Gattin; die Lehrerin Beate Richter, die einzige Lehrerin, die an diesem Abend den Weg zu Gert Hofmann fand, die mit Gymnasiastinnen die szenische Lesung vom 29. Januar einstudierte hatte, ebenso wie eine ihrer Schützlinge und erfreulich viele junge Leute.
Klaus Walther hob in seinem erhellenden Nachwort zur Neuherausgabe der Hofmannschen Lenz-Novelle hervor, dass Gert Hofmanns Arbeiten für Liebhaber und Leser besonders geeignet sind.
Hofmann konzentriert sich auf einen Tag im Leben des renommierten deutschen Schriftstellers Jakob Michael Reinhold Lenz. Der Titel spielt auf den Empfang des verlorenen Sohnes in der biblischen Geschichte an. Aber Hofmann erfindet einen anderen Verlauf. In 12 Kapitel schildert er eine mögliche Begegnung zwischen dem jungen Lenz und seinem Vater, der ihm, anders als der biblische Vater, nicht nur nicht verzeiht, sondern sogar jedes Wort verweigert. Diese Aspekt ist um so pikanter, als der Vater ein hoher Kirchenbeamter ist und gerade zum Generalsuperintendenten von Livland ernannt worden war. Hofmann schildert, wie wir es von ihm gewöhnt sind, mitleidlos alle Schwächen des jugendlich-aufbegehrenden Lenz, seine beruflichen Misserfolge, seine Geldnot und seine Schizophrenie. Aber Hofmann wäre nicht Hofmann, wenn er diese Schwächen nicht zeigte, vielleicht auch etwas zugespitzt, um die eigentlichen Stärken seines Helden um so glaubwürdiger darstellen zu können. Zunächst lässt er den jungen Lenz, a la Marquise Posa, an den Vater sagen »so unvollkommen das, was die jungen Leute dächten, auch sein möge, so sei es, was er es ihm wohl nicht absprechen würde, für die jungen Leute doch notwendig«.  Aber der Vater schweigt. Unter Anspielung auf den Prolog des Johannes-Evangeliums lässt Hofmann am Ende des 6. Kapitels den jungen Lenz ausrufen »Herr Vater geben sie mir das Wort zurück«. Dann lässt er den jungen Lenz erleben, wie der Vater im Namen Gottes auf die Gemeinde »herabpredigt« und sich dabei mit »Gott« verwechselt. Schließlich macht uns Hofmann in einer novellistisch-überraschenden Wendung, deutlich, dass der junge Lenz sein Leben lang Gott sucht, nicht glaubt, ihn gefunden zu haben, und damit ein viel höheres Maß an Religiosität lebt als der Vater. Erst vor diesem Hintergrund können wir Lenzens Größe, die in seiner Denkversessenheit und Wachheit zu suchen ist, erahnen.
Wolfgang Herbst, Stefanie Heinrich, dem Stadt-Wien-Wirtsehepaar Hoyer und dem Freundeskreis Gert Hofmann im Sächsischen Schriftstellerverein e.V. gelang ein einzigartiges Ereignis.

Bürgermeister Lothar Hohlfeld überreichte dem Wirtsehepaar Hoyer im Anschluss, als Anerkennung für Ihre kulturelle Arbeit, die Farbkopie des ältesten Stadtplanes von Limbach.

 

Zu vorgerückter Stunde übergab Bürgermeister Klaus Kertzscher dem Stadt-Wien-Ehepaar Hoyer ein großformatiges Erinnerungsfoto von der Gert-Hofmann-Gedenkveranstaltung vom 29. Januar in Stadt Wien.

In all dem Trubel wurde der ungenannt bleiben wollende Mäzen vergessen, der die Idee für diese Veranstaltung hatte. Er arbeitet in einer Branche, die man auf den ersten Blick nicht mit Literatur in Verbindung bringen würde, auf den zweiten Blick sieht man wohl, dass auch er ein großer Aufklärer ist. Ihm sei an dieser Stelle ein besonderer Dank gewidmet.
Johannes Eichenthal

Information
www.stadtwien.de

Gert Hofmann: Die Rückkehr des verlorenen J. M. R. Lenz nach Riga
Mit Illustrationen von Wolfgang E. Herbst. Engl Broschur, 64 S.
ISBN 978-3-937654-44-7

Das Werk Gert Hofmanns wird vom Hanser Verlag München/Wien betreut
www.hanser.de

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