Reportagen

F 9 – der sächsische Konkurrent des »Volkswagens«

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Pünktlich um 18.00 Uhr begrüßt Dirk Schmerschneider, der Direktor des Sächsischen Fahrzeugmuseums in Chemnitz, am Vorabend der Ausstellungseröffnung zur Geschichte des DKW F 9 ein hochkarätiges Fachpublikum. Autobauer, Konstrukteure, Entwicklungsingenieure, Testfahrer, Rennfahrer ebenso wie Oldtimersammler, darunter viele Leihgeber für die Ausstellung. Vor drei Jahren sei er mit Frieder Bach zu einer Veranstaltung des »Dresdner Boxenstops« gewesen. Dort wurde auch über eine alte Legende geredet. Ein zweisitziger F 9, ehemals als Messeexponat gebaut, sollte noch existieren. Auf der Heimfahrt ist Frieder Bach sehr aufgeregt gewesen. Etwa drei Monate später erhielten wir einige Fotos des F 9-Roadster, der einst von Harald Linke zum Test gefahren wurde, von seinem Fundort in einem Waldgrundstück. Es war Wirklichkeit. Von diesem Augenblick an haben wir gewusst, dass es Zeit für eine F 9-Ausstellung ist.
Der F 9 ist ein Auto, dass auch deutsche Geschichte vergegenständlicht. In den 1930er Jahren als Prototyp entwickelt, ist er nach 1945 in beiden deutschen Staaten auf unterschiedlichen Wegen weiterentwickelt worden. Diese Gesamtgeschichte des F 9 könne man noch nicht darstellen. Die Ausstellung konzentriert sich deshalb auf den sächsischen Teil dieser Entwicklung.
Die Unterstützung der Leihgeber, wie der der Archive sei für die Vorbereitung der Ausstellung unverzichtbar gewesen. Ihnen gebühre Dank. Für sachliche Kritik an der Ausstellung sind wir offen.

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Fot: Dirk Schmerschneider (1. v. li.), Frieder Bach (2. v. li.)

Frieder Bach fragte zunächst, ob es nicht wunderbar ist, dass wir uns so lange mit dem Thema F 9 beschäftigen konnten? Der ausgestellte F 9-Roadster und der ehemalige F 9-Rennwagen sind die Aufhänger für die Ausstellung gewesen. Der Legende nach seien die beiden Ende der 1940er Jahre gebauten Rennwagen nach Eisenach gebracht, und deren Motoren dort »seziert« worden. Erst vor einem halben Jahr habe er sichere Kenntnis von dem noch existierenden Wagen bekommen. Der Besitzer sei auch gleich bereit gewesen das Auto für die Ausstellung zur Verfügung zu stellen. Zudem habe er den Wagen selbst bringen wollen. Das habe für den kleinen Fahrzeugmuseumsverein, der alle Kräfte für den Aufbau der Ausstellung aufbieten musste, sehr wohltuend geklungen. Doch vor vier Tagen habe der Besitzer mitgeteilt, dass er keine Zeit für den Transport habe. Zum Glück sprang ein Oldtimerfreund, der im gleichen Ort bei Frankfurt wohnt, hilfreich bei. Ein weiterer Oldtimerfreund fuhr am gestrigen Tag um 2.30 Uhr mit Anhänger nach Frankfurt. Die Straßenverhältnisse waren nicht ideal. Doch gegen 17.00 Uhr hat der Ex-Rennwagen wohlbehalten das Museum erreicht.
Bereits bei früheren Ausstellungen hatte sich der Verein vorgenommen einen Katalog zur Ausstellung herzustellen. Doch die Mühen der Vorbereitung hätten dies stetes verhindert. Man habe immer vor der Wahl gestanden Katalog oder Ausstellung. Erstmals sei Dirk Schmerschneider und ihm nun ein Katalog zur Ausstellung gelungen. Dieser trage den Titel: F 9 – der sächsische Konkurrent des »Volkswagens«.
Bei der Recherche im Staatsarchiv Chemnitz seien Dirk Schmerschneider und er auf interessante Unterlagen gestoßen. Dieses erfordere eigentlich ein dickes Buch zum F 9, diesem interessanten Auto mit seiner noch interessanteren Geschichte. In einer Zeit, in der die Menschen keine Ofenrohre hatten, haben sächsische Ingenieure, Meister und Arbeitert ein Autos auf neuer Grundlage entwickelt. In dieser Zeit, nach dem verlorenen Krieg, unter Zerstörung und Mangel, in zu Reparationszwecken leergeräumten Werkhallen, hat die Nachkriegsgeneration mit Enthusiasmus und Liebe zur Arbeit ein formschönes, wunderbares Auto geschaffen. Die Nachfrage im Inland und aus dem Ausland sei sofort da gewesen. Aber der Ostteil Deutschland war von den einstigen Zulieferern der Automobilproduktion abgeschnitten. Es mangelte an Rohstoffen und Halbfabrikaten, vor allen an Blech. Letztlich sei es nie zu den gewünschten Produktionsstückzahlen gekommen, auch nicht, als die gesamte Produktion aus Sachsen 1953 nach Eisenach verlagert wurde.
Die Hoffnung und den Enthusiasmus der beteiligten Menschen dürfe man aber nicht vergessen. Was heute als Illusion erscheine, sei eine wirkliche Kraft in der Geschichte der Autoregion Chemnitz-Zwickau gewesen. Der ausgestellte 3-Zylinder-2-Takt-Motor von 1938 habe lange die Entwicklung bestimmt. Er sei glücklich, das einzig erhaltene Modell dieser »Urform« in der Ausstellung zeigen zu können.
Um 18.23 Uhr beendete Frieder Bach sein Statement und lud die Gäste zu individuellen Gesprächen ein. Diese Einladung wurde dankbar und ausgiebig angenommen. Erst drei Stunden später verließen die letzten Besucher das sächsische Fahrzeugmuseum.

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Foto: Der 3-Zylinder-2-Taktmotor von 1938, dahinter der F 9-Prototyp von 1939.

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Mit einem symbolischen Scherenschnitt wurde die Ausstellung von Frau Regina Reichel eröffnet. Rechts im Bild Wolf-Dieter Palm, der Leihgeber des 1938er Motors.

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Frieder Bach im Gespräch mit Ralf Friese, dem Vertreter von Audi-Tradition, der sich dafür eingesetzt hatte, dass der F 9-Prototyp von 1939 nach Chemnitz kommen konnte.

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Frieder Bach im Gespräch mit Gottfried Lohs (1. v. re.) Reinhard Hirsch (2. v. li.), beide Oldtimer-Liebhaber und Autohausgründer aus der Region.

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Frieder Bach im Gespräch mit Konrad von Freyberg (3. v. li.), einem Konstrukteur aus Eisenach.

141204Chemnitz4617Der ehemalige Rennfahrer Harald Linke erinnert sich

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Kompetente Leute werfen einen Blick unter die Motorhabe des F9-Rennwagens. Im Vordergrund links Waldemar Lange, ehemaliger Leiter des Motorradmuseums Augustusburg, der früher selbst einen F 9 aus der Nullserie besaß, rechts Wolf Friedrich, ehemaliger Mitarbeiter des WTZ Automobilbau und Sohn des MZ-Konstrukteurs Herbert Friedrich.

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Blick in den elektrisch hochgerüsteten F 9 eines Bastlers.

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Vor dem F9-Roadster von rechts: Dirk Schmerschneider, Frieder Bach, Harald Linke, Prof. Dr. Peter Kirchberg, Wolf Friedrich, Konrad von Freyberg und Jürgen Lisse.

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Prof. Dr. Peter Kirchberg (re.) schrieb ein Geleitwort für den Ausstellungskatalog, und erhält hier das erste Exemplar aus den Händen von Frieder Bach.

 

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Der rote F 9,  mit dem William Werner die sowjetische Besatzungszone verließ, wird von drei F 9-Sammlern des Deutschen DKW-Clubs unter die Lupe genommen.

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Zwei Diskussionsrunden im Hintergrund. Links Ralf Friese von Audi Tradition (rote Jacke) mit dem Ehepaar Lindner. Jörg Lindner ist Autor eines Buches über DKW-Vorkriegsautos. Das Ehepaar Kirchberg (rechts davon im Bild) hat schon die Mäntel angezogen, kommt aber von der interessanten Fachsimpelei mit Konrad von Freyberg nicht los.

Kommentar
Dem kleinen Verein des sächsischen Fahrzeugmuseums gelang mit dieser Ausstellung ein großes Ereignis. Dafür gebührt den Mitgliedern des Vereines Dank.
Die Ausstellungsmacher schlossen mit dem F 9-Projekt eine Lücke. Die Bedeutung dieser Ausstellung für die Auto-Region Chemnitz-Zwickau ist noch nicht absehbar.  Einige Techniker, die an der konstruktiven Entwicklung des F9 beteiligt waren, haben zugesagt, im Verlauf der Sonderausstellung entsprechende Fachvortäge zu halten, deren Termine noch bekannt gegeben werden.
Zugleich brachte der Verein Oldtimersammler aus ganz Deutschland nach Chemnitz. Viele Leihgeber stellten Kostbarkeiten der eigenen Sammlung zur Verfügung, und waren zum großen Teil bei der Ausstellungseröffnung zugegen.
Zudem macht die Sparte der Sammler deutlich, dass das »kulturelle Gedächtnis« eigentlich aus vielen Individualisten besteht, die intensiv zusammenarbeiten. Die Existenz eines separaten »kulturellen Gedächtnisses« ist wohl eine Fiktion der Kulturbürokratie. In der Wirklichkeit gibt es nur die »Arbeiter im Weinberg des Herrn«. Dem müsste in der Kulturfinanzierung langsam einmal Rechnung getragen werden.
Die Ausstellung macht uns aber auch deutlich, dass »Bewahren« aus Konservieren, Restaurieren und Erneuern bestehen kann. Gerade in dieser Ausstellung wird mit dem im Fundzustand belassenen F 9-Roadster angedeutet, dass eine Restaurierung die Zerstörung der Substanz des Autos sein würde.
Bemerkenswert ist auch, dass die Form des F 9, die einst unter Leitung des Auto-Union Chefentwicklers William Werner gegeben wurde, aufgrund ihrer Charakteristik noch heute beeindruckt. Man könnte an Henry van de Veldes Satz denken: es gibt nur die angewandte Kunst. Aber auch van de Velde studierte die Grundlagen von Malerei und Plastik. Darum geht es. William Werner war ein studierter Plastiker. Das merkt man der Karosserie noch heute an.
So vermag diese Ausstellung auch die Grenzen des modernen »Spezialistentums« zu überwinden. Das zeigte sich gleich zur Eröffnung. Neben den Auto-Schraubern mit Bezingeruch kamen auch der Formgestalter Prof. Carl Claus Dietel, der Vorsitzende der Chemnitzer Goethe-Gesellschaft Siegfried Arlt und der bildende Künstler Osmar Osten. Zugegeben, es waren nur wenige Damen unter den Besuchern. Doch diese fielen um so mehr auf.
Johannes Eichenthal

Information
Die Ausstellung ist noch bis Mitte 2015 für Besucher geöffnet.
www.fahrzeugmuseum-chemnitz.de

Zur Ausstellung erschien ein Katalog

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Frieder Bach / Dirk Schmerschneider: F 9 – der sächsische Konkurrent des »Volkswagens«, 23 × 23 cm, 84 Seiten, fester Broschur, 100 zum Teil farbige Fotos und Abbildungen,
VP 12,50 €, ISBN 978-3-937654-88-1

Beziehbar über jede Buchhandlung, im Sächsischen Fahrzeugmuseum Chemnitz oder versandkostenfrei direkt vom Verlag www.mironde.com

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