Der Schriftzug am Haus täuscht. Im Erdgeschoss des Hauses finden wir das Chemnitzer Fahrzeugmuseum. In der Abendsonne des 7. April erstrahlte die »Garage«, wie das Gebäude im Hinblick auf seine frühere Funktion als Werkstatt und Hochgarage genannt wird, im Glanze alter Zeiten.
Dirk Schmerschneider, der Leiter des Chemnitzer Fahrzeugmuseums, eröffnete den Abend, der geladenen Gästen vorbehalten war, die mehrheitlich Material für den neuen Dokumentationsband Frieder Bachs zur Verfügung gestellt hatten, in Mitten der Mitte März eröffneten Sonderausstellung von Unfallbildern. Doch auch nicht geladene, interessierte Gäste wies man an der Museumspforte nicht ab.
Frieder Bach stellte an diesem Tag den zweiten Teil seines Bandes »Fahrzeugspuren in Chemnitz« vor.
Das Buch hat selbstverständlich eine Vorgeschichte, die der Autor mit seiner angenehmen Erzählerstimme zum Besten gab. In den 1980er Jahren arbeitete er mit zwei Kollegen an einem Buch über DKW- und MZ-Motorräder, das aber erst 1991 erschien. Damals habe er zu den Vorkriegsmodellen der DKW-Motorräder gearbeitet und sich etwas weit in Sachen Restaurierung »aus dem Fenster gelehnt«.
In den 1990er Jahren, so Frieder Bach, sei sein einst abgelehnter Gewerbeantrag für Fahrzeugrestaurierung genehmigt worden. Viele Jahre widmete er sich der praktischen Restaurierung, zum Schreiben blieb deshalb wenig Zeit.
Aber nach 2012 änderte sich die Situation. Frieder Bach brachte in dichter Folge mehrere Bücher, die »Chemnitzer Fahrzeugspuren«, die »Oldtimergeschichten«, »Kenner fahren DKW« und, gemeinsam mit Dirk Schmerschneider, »F9 – der sächsische Konkurrent des ‹Volkswagens›« heraus.
Der Titel seines neuen Buches lautet »Chemnitzer Fahrzeugspuren. Teil 2. Fahrzeugschicksale«. Es beginnt mit den Fotos des Chemnitzer Abschleppdienstes Bräunig. In der Regel mussten die Fahrzeuge nach Unfällen abgeschleppt werden. Neben kraftfahrzeugtechnischen Informationen bergen diese Bilder auch Chemnitzer Alltag aus den 1920er bis 1970er Jahren. Frieder Bach betonte, dass das Schicksal eines Fahrzeuges damals nicht vorbestimmt war, wie heute. Besonders die Katastrophe des Zweite Weltkrieges habe unsere Vorfahren dazu gezwungen, Kraftfahrzeuge weit über ihr Verschleißgrenze zu erhalten. In Zeiten größten Ersatzteilmangels gehörten Phantasie und Einfallsreichtum dazu, das Auto trotz Materialermüdung oder Totalschadens weiter nutzen zu können. Das ging soweit, dass in den ersten Nachkriegsjahren PKW zu Klein-LKW umgebaut wurden. Nur für solche Fahrzeuge gab es Benzin-Bezugsscheine. Zudem, so Frieder Bach, wurden nahezu alle Transporte der wieder entstehenden regionalen Wirtschaft mit solchen Fahrzeugen getätigt.
In den 1970er Jahren hatten Bastler andere Motive. Es entstanden Modelle mit alternativer Motorisierung, mit geringeren Strömungswiderständen, sichereren Bremsen, geringerem Kraftstoffverbrauch, an die die Konstrukteure in den VEB unter Planzahlen-Diktat und Materialmangel nicht denken durften.
Das fachkundige Publikum dankte Frieder Bach für seinen angenehmen Vortrag. Die Sonderausstellung des Museums war im Anschluss zu besichtigen. Liebevoll wird die kleinste Ecke des Raumes genutzt, um den Besucher in die Welt des Autos zu versetzen.
Die Buchhändlerin Iris Müller (Mitte) stellte Frieder Bach und dem Fahrzeugmuseum ein Fotoalbum ihres Großvaters, dem Begründer des Abschleppdienstes Bräunig, zur Verfügung. Ein großer Teil der ausgestellten Bilder stammen vom Abschleppdienst Bräunig.
Frieder Bach signierte an diesem Abend seinen treuen Lesern das neue Buch noch lange nach Veranstaltungsende. Im Hintergrund sehen wir, dass selbst der ehemalige Auto-Fahrstuhl in die Ausstellung einbezogen wurde.
Kommentar
Dem Chemnitzer Fahrzeugmuseum, seinem Förderverein und Frieder Bach ist wieder einmal ein Paukenschlag gelungen. Die Ausstellung lenkt unseren Blick auf den »Auto-Körper«, der bei Unfällen beschädigt wird, wie auch auf individuelle Veränderungen und Eigenkonstruktionen dieses »Körpers«. Einerseits sehen wir, dass technologische Kreativität in der Region zwischen Freiberg und Zwickau eine Heimat hat. Andererseits begreifen wir bei der Ausstellung, dass in den Autos das Wissen vergangener Generationen vergegenständlicht wurde. Man kann sich sicher darüber streiten, aus welchen Gründen man Oldtimer sammeln kann. Einer der wichtigsten Gründe ist aber die Vergegenständlichung von Wissen. Man muss das Auto sehen, riechen, anfassen können, um die Form wirklich zu begreifen. Fotos oder digitale Darstellungen können diese Funktion des Originals nicht ersetzen. Das Museum leistet Bildungsarbeit in einem Maße, das man nicht hoch genug schätzen kann.
Man muss also dem Museum, dem Verein und Frieder Bach für ihr weitsichtiges kulturelles Engagement danken. Es gibt sicher Autoren, die ausgefeilter schreiben als Frieder Bach, wie auch »Schrauber«, die vielleicht noch mehr technische Kenntnisse besitzen. Aber in der Verbindung von literarischer Reflexion und praktischen Technikkenntnissen gehört Frieder Bach wohl heute eher zu den Ausnahmegestalten in der Szene.
Wie sagte er zum Abschluss der Vorstellung: Er wollte ein Buch schreiben, bei dem der Leser nicht erst Kraftfahrzeugtechnik studieren muss, um es zu verstehen. Das ist ihm gelungen. Vielen Dank Frieder Bach!
Johannes Eichenthal
Information
Heute, am 8. April 2016, erfolgt die Buchvorstellung Frieder Bachs für die breite Öffentlichkeit im Chemnitzer Fahrzeugmuseum, Zwickauer Straße 77, um 19.00 Uhr.
Im Shop des Fahrzeugmuseums ist das neue Buch von Frieder Bach, wie auch »Kenner fahren DKW« und »F9 – der sächsische Konkurrent des ‹Volkswagens›«
www.fahrzeugmuseum-chemnitz.de
Im Shop des Shop des August-Horch-Museums Zwickau ist das neue Buch von Frieder Bach ebenfalls erhältlich.
Frieder Bach: Fahrzeugspuren in Chemnitz. Teil 2. Fahrzeugschicksale.
23 × 23 cm, 216 Seiten, fester Einband, Fadenbindung, Lesebändchen
etwa 450 zum Teil farbige Fotos und Abbildungen, VP 24,90 Euro
ISBN 978-3-937654-96-6