Reportagen

SKEPSIS UND HOFFNUNG

Für den Abend des 30. März hatte die KLISschen Buchhandlung in Hohenstein-Ernstthal eine Buchpremiere angekündigt. Johannes Eichenthal sollte aus seinem neuen Buch »Skepsis und Hoffnung« lesen.

Der 30. März war ein sonniger Frühlingstag. Man konnte dem Erwachen der Natur praktisch nicht zusehen, ohne selbst zu erwachen. Die KLISsche Buchhandlung in der Weinkellerstraße vermochte die zahlreichen Besucher kaum aufzunehmen. Auch der letzte Stuhl, der herbeigeschafft werden konnte, fand Verwendung. Der Schriftsteller Rainer Klis teilte den Gästen mit, dass der Autor Johannes Eichenthal leider nicht auftreten werde. Dafür springe der Verleger des Mironde Verlages ein, in dem das Buch mit dem Titel »Skepsis und Hoffnung« zur Leipziger Buchmesse erschien. Andreas Eichler, ein promovierter Philosoph, sei durch den Herstellungsprozess und die Diskussionen mit Autor und Buch vertraut.

 

Andreas Eichler verwies zunächst auf das interessante Layout des Buches. Birgit Eichler gestaltete den Satzspiegel so, dass ein breiter Rand Quellenhinweise und Kommentare aufnehmen kann. Dazu fügte sie doppelseitige Grafiken (Materialdrucke, Bleistift, Aquarelle) von Rüdiger Mußbach ein.

Eichler las gut zwei Drittel des Buches, die erste Hälfte und den Schluss. Anfänglich war Eichler sehr konzentriert und verständlich, dann wurde er leider schneller und etwas oberflächlich. Vielleicht war ihm erst bei dieser Lesung bewusst geworden, dass der junge Johannes Eichenthal mit seinem Essay dem Anschein nach die »Welt aus den Angeln« heben wollte? In den Augen des Älteren macht jugendlicher Überschwang manchmal Angst? Aber ist unsere heutige Lebenslage nicht ernst genug? Braucht es nicht der Forderung nach dem Unmöglichen, um wenigstens die notwendigsten Dinge zu verändern?

Eichenthal beginnt mit der Feststellung, dass ein Unbehagen in der westlichen Kultur umgehe und dass die Gewissheiten der letzten Jahrzehnte vom Winde verweht wurden. Er macht die komplexe Problematik an der Frage fest, was »Weltbürgertum« sei? Er versteht das Individuum als eine Art von »Spiegel« der Welt; und nimmt die existenzielle Perspektive des Individuums ein. Mit wenigen Sätzen skizziert Eichenthal, dass man Weltbürgertum nicht an äußerlichen Attributen (Metropolenbewohner, Weltreisender, Lifestyle) festmachen kann. Wenn von Weltbürgertum die Rede sei, dann könne es nur um ein »inneres Weltbürgertum«, um ein Weltbürgertum »in unserem Kopf« gehen. Damit sei es gleichgültig, an welchem Ort ein Weltbürger lebe. Voraussetzung für ein inneres Weltbürgertum, so Eichenthal, sei allerdings die Aneignung unseres nationalen kulturellen Erbes. Mit wenigen Sätzen macht er klar, dass wir unser nationales kulturelles Erbe nur als Ganzes annehmen oder ablehnen können. Wenn wir es annehmen, erfordert das die Anstrengung der Aneignung; wir gewinnen jedoch damit den Zugang zum inter-nationalen kulturellen Erbe. Wenn wir unser Erbe ablehnen, sind wir kulturlos, und damit auch ohne Zugang zum inter-nationalen Erbe.

Beispielhaft widmet sich Eichenthal darauf in furioser Darstellung der Aneignung von Leben, Werk und Denkmethode Johann Gottfried Herders (1744–1803) als einem wesentlichen Vordenker heutigen Weltbürgertums.

Zwei wichtige Aspekte blieben mir in Erinnerung. In einem ersten Punkt hebt er hervor, dass Herder einerseits die Bedeutung der allgemeinen, tradierten Voraussetzungen für unsere Denkfähigkeit betont hat. Andererseits verweist er darauf, dass jeder Mensch die angeeigneten allgemeinen Voraussetzungen unter den besonderen Bedingungen, unter denen er lebt, auch anwenden müsse. Jeder Mensch könne daher eine individuelle Philosophie, einen individuellen Glauben haben. Ein wesentliches Merkmal dieser Denkweise sei, so Eichenthal, die Fähigkeit im Allgemeinen das Besondere und im Besonderen das Allgemeine sehen zu können. Er las an diesem Abend nicht die Abschnitte zur philosophischen Methode Herders, in denen er das Verfahren als gleichzeige Deduktion und Induktion, als Gewinnung von Näherungswerten, als philosophisches Differenzieren beschrieb. Das Verbleiben in abstrakten Vergleichen, so Eichenthal, reiche für die Wissenschaft und das innere Weltbürgertum nicht aus. Eine Wissenschaft, die das Besondere nicht erklären könne, sei keine. Ein Weltbürgertum, das das Besondere von Kulturen und Religionen nicht ertragen könne, das nur eine Kultur gelten lasse, sei keines.

Es gelte, so Eichenthal, unseren Platz in der Natur zu finden, nicht gegen die Naturprozesse sondern mit der Naturnotwendigkeit zu leben. Dies schließe ein, gemäß dem Ideal der Humanität, unseren Platz in der Welt, als Weltbürger zu finden. Dafür seien Vernunft, im Kern die Fähigkeit aus unseren Fehlern zu lernen, d.h. Skepsis, und Glaube, im Kern die Fähigkeit unserem Leben einen Sinn zu geben, d.h. Hoffnung, die notwendigen Voraussetzungen.

Eichenthal hebt hier in einem zweiten Punkt hervor, dass Herder an der traditionellen Auffassung von Weltweisheit festhielt. Die Gegensätze von Vernunft/Skepsis und Glauben/Hoffnung sind darin vereinigt. Im praktischen Leben kommen diese Gegensätze in unserem poetischen, in unserem-praktisch-geistigen Verhältnis zur Welt zur Geltung. Für den Weltweisen, den inneren Weltbürger, gehe es darum, gleichzeitig praktisch und geistig tätig zu sein, gleichzeitig Skepsis und Hoffnung zu leben.

 

Nach dem Ende der etwas anspruchsvollen Lesung servierte Frau Jakob, die Buchhändlerin, Sekt. Damit wurde auf das neue Buch angestoßen.

 

Rainer Klis dankte im Anschluss dem Referenten für seine Lesung des Eichenthal-Textes. Nach einigen Sekunden Denk-Pause entwickelte sich eine angeregte Diskussion, obwohl der Autor des Textes nicht anwesend war.

Eine Zuhörerin freute sich über die Verbindung von Glauben und Vernunft bei Herder. Die Überwindung dieser Trennung sei schon lange fällig.

Eichler antwortete, dass die Reduktion von Philosophie auf Vernunft den Charakter eines Vorurteils habe. Leider reduzieren ausgerechnet auch viele der wenigen Geisteswissenschaftler Philosophie auf Vernunft, die noch die Tradition der Aufklärung bewahren.

Eine Zuhörerin wollte wissen, für wen Eichenthal den Text geschrieben habe. Eichler antwortete, nicht für Theoretiker sondern für praktisch tätige Menschen, die angesichts der Probleme unserer Zeit auch bewusst reflektieren, nicht nur jammern, sondern hinter dem dargebotenen Schauspiel an der Oberfläche tiefere Interessenkonflikte und länger wirkende zyklische Prozesse und Naturnotwendigkeiten sehen wollen.

Der Gottesbegriff Spinozas, die Überlieferungsgeschichten persischer, indischer, chinesischer und christlicher Mythen, die Überschreitung von Konfessions- und Religionsgrenzen und viele andere Themen wurden bei Speckfettbrot und geistigen Getränken noch lange diskutiert. Die letzten Diskussionsteilnehmer sollen erst nach Mitternacht ….

Obwohl wir nicht alles verstanden haben, was Herr Eichenthal schrieb, war es eine anregende Veranstaltung. Dem Referenten, Frau Jakob und den Mitarbeiterinnen der KLISschen Buchhandlung und dem Schriftsteller Rainer Klis ist zu danken.

Clara Schwarzenwald

 

Information

Johannes Eichenthal: Skepsis und Hoffnung.

14,0 × 20,5 cm, 60 Seiten, Broschur mit Schutzumschlag

Grafik von Rüdiger Mußbach (Materialdruck, Bleistift, Aquarell) VP 12,50 €

ISBN 978-3-96063-004-3

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