Reportagen

Gotthilf Heinrich Schubert im Kügelgen-Haus

Gerhard von Kügelgen wurde am 6. Februar 1772 in Bacherach am Rhein geboren. Er studierte in Italien bei Asmus Jacob Carstens Malerei und wurde ein bekannter Porträt-Maler. München, Riga, Reval und St. Petersburg waren die nächsten Stationen. 1805 kam Kügelgem mit seiner Familie nach Dresden, um als Professor an der Akademie zu lehren. Als Gotthilf Heinrich Schubert im Herbst 1806 in Dresden eintraf, zog er in das Haus, in dem auch die Familie Kügelgen wohnte. Zwischen Gerhard von Kügelgen und Gotthilf Heinrich Schubert entwickelte sich eine enge Freundschaft. Hier entstand auch ein Porträt des jungen Schubert. Der Maler und der Naturphilosoph waren Teil der Jugendbewegung, die wir heute »Romantik« nennen. Als die Familie Schubert in den ersten Januartagen des Jahres 1809 Dresden in Richtung Nürnberg verließ, blieben die beiden Freunde mit Briefen in Verbindung.

Die Familie Kügelgen war im Spätsommer des Jahres 1808 in das Haus an der Dresden-Neustädter Hauptstraße 13 gezogen. Auch hier pflegten die Familie das gesellschaftliche Leben. Hier trafen sich Künstler und Literaten aus ganz Europa. Die Liste der berühmten Besucher ist unendlich. Im Laufe der Jahre bildete sich der Name »Kügelgen-Haus« heraus. Heute wird hier an die Romantiker erinnert.

Am Abend des 14. September, einem sonnigem Spätsommertag, begrüßte Frau Michaela Hausding im ehemaligen Salon der Familie Kügelgen Dr. Andreas Eichler zu einem Vortrag über Gotthilf Heinrich Schubert.

Eichler schilderte darauf die wichtigsten Lebensstationen Schuberts, der am 26. April 1780 im Pfarrhaus der St. Christopherus-Kirche von Hohenstein, dem heutigen Hohenstein-Ernstthal geboren wurde. Es folgten die Gymnasienbesuche in Lichtenstein und Greiz, dann der Wechsel nach Weimar. Eichler machte die Begeisterung Schuberts für die klassische Bildung in Weimar und seine enormen Anstrengungen deutlich. Natürlich durfte die Begegnung mit Johann Gottfried Herder nicht fehlen. Es folgte die Studienjahre in Leipzig, wo Schubert zunächst in der Familientradition Theologie studierte, dann aber mit Unterstützung seiner Schwestern zur Medizin wechselte. Ebenfalls die Schwestern waren es, die beim Vater die Erlaubnis errangen, dass ihr kleiner Bruder zum Studium nach Jena wechseln durfte. Hier wurde Schubert als Mediziner 1803 promoviert und ließ sich als Arzt in Altenburg nieder. Nach einem erneuten Studium der Geognosie bei Abraham Werner in Freiberg kam Schubert im Herbst 1806 nach Dresden. Eichler beschrieb hier die Aufnahme Schuberts in der Dresdner Romantikerszene. Er schilderte Schuberts Vorträge über die »Nachtseiten der Naturwissenschaften« im Palais Carlowitz. Vom Titel »Nachtseiten« könne nicht darauf geschlossen werden, dass Schubert eine »Verdunklung« des Denkens vornehmen wollte. Im Gegenteil. Schubert wollte Licht. Er ging davon aus, dass man die Natur nur verstehen könne, wenn man sie als ein organisches System auffasse. Er wollte zeigen, dass eine Reduktion von Philosophie und Naturwissenschaften auf mathematisches Denken nicht geeignet ist, anstehende Probleme zu lösen. Neben einigen modischen Themen verwies er besonders auf die Notwendigkeit eines sorgsamen Umgangs mit der Natur, die Anerkennung außereuropäischer Kulturen und die Ablehnung imperialer Kriege.

Trotz aller Probleme sah Schubert die »Morgenröte« einer neuen Zeit. Hier wird eine Metapher Jakob Böhmes deutlich. Schubert hatte über Schelling und Ritter die Neuentdeckung Jakob Böhmes durch den französischen Denker Louis-Claude de St. Martin erfahren.

Schubert war sich aber darüber klar, dass es vor dem Anbruch des Morgens noch einmal sehr kalt werde. Er verwies darauf, dass man eine »Nachtwache« durchhalten müsse.

Bei der Einschätzung der Romantik folgte Eichler Ricarda Huch, die diese Strömung als eine Art Jugend- und Generationsrevolte begriff. Die jungen Leute, so Ricarda Huch, wollten den »Geisterhimmel« stürmen. Dieser Ausdruck stammt von Schubert.

Eichler hob nocheinmal hervor, wir hatte es befürchtet, dass Schubert eine Art von Lieblingsschüler Herders gewesen sei. Herder habe, anders als Goethe, die jungen Leute dazu ermuntert nicht die alte Generation nachzuahmen, sondern ihren eigenen Weg zu gehen.

Die junge Generation müsse, so Eichler, auch ihre Fehler selbst machen dürfen. Einen kürzeren Weg zur Weitergabe von Erfahrung gäbe es wahrscheinlich nicht.

Abschließend zitierte er einen Brief Schuberts an Emil Herder aus dem Jahre 1810: »Ritters Tod hat mich ungemein erschüttert. Seit Deines und später meines Vaters Tod, weiß ich keinen Moment der so entschieden auf mich gewirkt hätte. Der Zeitgeist geht strenge mit uns um. Die anscheinend so vielsprechende, rüstige Jugend, die noch vor etwa 6 Jahren den Geisterhimmel stürmen wollte, die tüchtigen Kämpfer der neuen Schule die Deutschland ein neues goldenes Zeitalter, glänzender als das erste, eine neue Blütezeit der Poesie und Wissenschaft bringen wollte, wo sind sie hin? Sieh einmal um dich her! Was ist aus Tieck, den beiden Schlegels, Steffens, Görres, und wie sie sonst heißen, geworden? Glaube mir, Ritter hat unter allen noch die honetteste Auskunft gefunden!

Ja die Zeit geht ein wenig ernst mit uns um. Es war nicht bloße Vermutung, es wird Gewissheit, dass der bisherigen europäischen Geisteskultur der Herbst naht, und schon gekommen ist. Wir aber hielten einige milde Tage des Spätsommers schon für den neuen Frühling. Der Frühling wird wohl kommen, aber erst dann wenn der Winter, ein kurzer Winter, vorüber ging, und nun stehen wir am Herbst. Und lass uns froh sein, dass er da ist. Das jetzige europäische Streben in seiner ganzen, vielartigen Verwirrung hat lange genug des Tages Last und Hitze getragen, möge denn die Zeit der Ernte kommen, die Zeit kommen, wo sie zusammengekeltert werden. Der Lorbeer ist für dieses Zeitalter von dem Felde der deutschen Literatur hinweggenommen (die Nächte werden etwas kalt) so lass denn den Gärtner für ihn sorgen, er wird ihn wiederbringen, und wenn auch vielleicht erst dann, wenn keine Bücher mehr geschrieben werden.«

Schubert, so Eichler, habe hier deutlicher als andere Romantiker konstatiert, dass ihre Generation gescheitert sei.

Die Museumsleiterin Michaela Hausding dankte dem Referenten am Ende mit einem Blumenstrauß.

 

Kommentar

Wir haben uns ja schon daran gewöhnt, dass Eichler die ganze Welt an den großen Schuhen des Weimarer Generalsuperintendenten Johann Gottfried Herder misst. Das ist als eine Art Kompensation zu verstehen. Herders Texte sind heute selbst bei Fachleuten weitgehend unbekannt. Da ist wohl nur noch Günter Arnold, der im Herder-Weinberg arbeitet.

Aber wenn man sich für Herder stark macht, dann muss man es auch konsequent tun. Hat Herder nun dafür plädiert, dass die Jugend ihren eigenen Weg finden soll oder nicht?

Eichler scheint wichtige Dinge übersehen zu haben. Als die studentische Jugend in eine Fichte-Begeisterung verfiel, weil dieser Johann Gottlieb Fichte, wie Immanuel Kant vor ihm und viele deutsche Professoren nach ihm, neue Erkenntnisse durch die Erfindung eines neuen Vokabulars ersetzte, und damit die Jenaer Theologie-Studenten vom Studium der Sprache und der Erfahrung abhielt (auch Herders ältester Sohn neigte zu dieser Mode), da mokierte sich Herder nicht über »die Jugend«, sondern schrieb eine minutiöse Kritik der Illusion seines alten Lehrers Immanuel Kant, wonach es eine »reine Vernunft«, ein »reines Denken« geben könne. Denken, Vernunft ist nach Herder immer an Sprache und Erfahrungen gebunden. Herder machte auch darauf aufmerksam, dass die abtretende Generation ihren Nachfolgern die bestmögliche Bildung und die Möglichkeit einer Perspektive zu hinterlassen verpflichtet ist. Deshalb intervenierte er gegen Kant und im Anhang dazu gegen die deutschen Universitäten mit ihrer »fabrikmäßigen Ausbildung«.

Eichler sollte also einmal Herder richtig lesen.

Zudem ist es fraglich, ob man die Buchstaben von Schuberts Brief aus dem Jahre 1810 unkritisch zur Kenntnis nehmen kann. Ist nicht eher wahrscheinlich, dass Schubert hier nach der Seite der Enttäuschung hin übertreibt, wie vorher bei ihm die Hoffnung überwog?

Und überhaupt, was heißt hier, dass diese Generation gescheitert sei? Eichler hört sich hier an, wie ein alternder Establisment-Vertreter der über »die« »68er« redet.

Ist es nicht vielmehr so, dass dies jungen Leute um 1800 sehr vieles erreichten, was unmöglich erschien? Wurde nicht Freundschaft ein hoher Wert unter dieser Jugend? Erschloss man nicht die Poesie als Kraft für die Zukunftsgestaltung? Überwand man nicht die Borniertheit der »Sekte der Mathematiker« und der »Sekte der Theologen« (beide sind, wie Herder meinte, die größten Feinde der Poesie) Konnten nicht Frauen in dieser Jugendbewegung erstmals offen als Autorinnen und Künstlerinnen hervortreten?

Also »gescheitert« ist diese romantische Generation, deren Denken an die Erfahrungen der Wanderungen durch die Landschaft zwischen Weimar und Dresden gebunden ist, nicht. Es gibt heute Menschen, wenn auch nicht viele, die sich des gewaltigen Werkes, das diese Generationen binnen weniger Jahre schuf, noch erinnern. Und wie im Jahre 1968 wird sich wohl jede Jugendrevolte von Format an die Romantik wieder neu erinnern.

Johannes Eichenthal

 

Information

www.museen-dresden.de

Andreas Eichler: G.H. Schubert – ein anderer Humboldt.

Einführung in Leben und Werk, Auswahl eine Briefwechsels zwischen Schubert und der Familie Herder, kommentierter Text der Hodegtischen Abendvorträge

Fester Einband, 96 Seiten, Lesebändchen, zahlreiche Abbildungen, z.T. farbig, 22,5 × 22,5 cm, 14,90 €

ISBN 978-3-937654-35-5

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