Reportagen

VORTRAG IM GLEIMHAUS

Im Halberstädter Gleimhaus wurde am 7. Juli 2018 eine Sonderausstellung »Visionen in der deutschen Aufklärung« eröffnet. Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719–1803) korrespondierte mit mehr als 500 Briefpartnern. In Gleims Lebenszeit nahm das Haus eine wichtige Rolle im geistigen Leben des deutschsprachigen Raumes ein. Im Ausstellungs-Prospekt wird »Aufklärung« als Epoche verstanden, gemäß Immanuel Kants Zeitgeistbestimmung in dem Artikel »Was ist Aufklärung?«, und wird letztlich mit dem »Ausgang aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit« (des Menschen) bestimmt.

 

Im Rahmen der Ausstellung begrüßte Frau Dr. Ute Pott, die Direktorin des Gleimhaus, am Abend des 11. Juli Pfarrer Dr. Frank Stückemann vor einem erfreulich großen Zuhörer-Kreis im Gleimhaus zu einem Vortrag unter dem Titel: »Geist und Muse bei Gleim. Volksaufklärung im 18. Jahrhundert«

 

Dr. Stückemann hatte einen Platz vor der historischen Bibliothek Gleims eingenommen. Er bestimmte den Ausdruck »Volksaufklärung« nicht näher. Vielmehr trug er dem Publikum die Ergebniss seiner empirischen Forschungen zu sogenannten »Intelligenzblättern« vor. Sinn und Bedeutung des Wortes »Intelligenzblatt« sei eher mit dem englischen Wort »intelligence« erfassbar, was soviel wie Einsicht, Nachricht, neue Nachricht bedeute.

 

Der Referent hob Justus Möser (1720–1794), Johann Moritz Schwager (1738–1804) und Johann Lorenz Benzler (1747–1817) in ihrer Herausgeber- und Autorentätigkeit für Intelligenzblätter besonders heraus. Eine Besonderheit dieser »Intelligenzblätter« war dem Anschein nach der ökumenischer Charakter. Hier arbeiteten Autoren aller Konfessionen ganz selbstverständlich im Sinne der Aufklärung zusammen. Im Laufe seines Vortrages machte der Referent deutlich, dass »Volksaufklärung« für ihn bei Martin Luther beginne. Dieser habe die Grundlagen für die »Volksaufklärung« gelegt: dass neben der Kirche eine Schule stünde, das sei Luther zu verdanken. Mit Fragen an den Autor aus der Runde der Zuhörer ging der materialreiche Vortrag zu Ende.

 

Frau Dr. Pott dankte dem Referenten am Ende und überreichte ein kleines Gleim-Porträt.

 

Das Gleimhaus (re. vorn) neben dem Halberstädter Dom

 

Kommentar

Mit seiner Verbindung von Luther und dem Ausdruck »Volksaufklärung« sprach der Referent einen interessanten Aspekt an. Er widersprach damit der heute gängigen Bestimmung von »Aufklärung« in mindestens zwei Punkten.

1. Mit der Einbeziehung Luthers dehnte Dr. Stückemann die Aufklärung auf das 15./16. Jahrhundert aus.

2. Mit der Einbeziehung der Religion in die Aufklärung dehnte er sie auf den Zusammenhang von Vernunft und Glauben aus.

Man hätte sich eine Diskussion zu diesen beiden Punkten gewünscht, der Vortrag von Dr. Stückemann hatte ein großes Potenzial, allein das Publikum fragte nach Details.

Wir schließen die Augen, um uns zu erinnern. Wie war das gleich? Die Besonderheit der heutigen Diskussion besteht darin, dass die Mehrheit der Geisteswissenschaftler, die überhaupt noch unser nationales kulturelles Erbe textsicher kennen, zur Kantischen Bestimmung von Aufklärung als einer besonderen Epoche im 18. Jahrhundert neigen. Diese Wissenschaftler folgen Kant auch in der Reduktion von Philosophie auf Vernunft und von Vernunft auf Logik. Religiöse Aufklärung ist aus dieser »Reinen-Vernunft-Sicht« unmöglich.

Aber wer wenigstens einmal in den Werken des besten Luther-Kenners des 18. Jahrhunderts, Johann Gottfried Herder (1744–1803), geblättert hat, der weiß, dass Herder »Aufklärung« von Anfang an als einen die ganze Menschheitsgeschichte umfassenden Emanzipationsprozess und der Weisheits-Tradition gemäß Vernunft und Glauben als sich bedingenden Gegensätze bestimmte. Die Religion, nicht die Kirche, war für Herder über Jahrtausende die Hüterin der Tradition und der Wissenschaft. Humanität, Aufklärung und Religion gehören zusammen.

Bei Luther schätzte Herder die Stärkung der Volkssprache besonders. Damit sah er eine Kommunikationsmöglichkeit zur Herausbildung einer gemeinsamen Nationalsprache gegeben. Verständlichkeit hatte für ihn höchste Priorität. In seinen »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit« fasste Herder den gesamten Forschungsstand zu Natur und Gesellschaft zusammen, ohne ein professorales Fachchinesisch zu entwickeln. Goethe schätzte Herders Arbeit gerade wegen dieser Allgemeinverständlichkeit.

Dagegen kritisierte Herder heftig die neuscholastische Terminologie von Kants »Kritik der reinen Vernunft«, die den Diskurs verhinderte. Herder prangerte ebenso die Anmaßung eines neuen »Satzungspapstums« an: Kant wolle den Menschen vorschreiben, wie sie zu denken hätten. Herder meinte dagegen, dass nach der Aneignung unseres Erbes jeder Mensch dieses unter besonderen Bedingungen anwenden müsse. Insofern habe jeder verständige Mensch seine eigene Philosophie und seinen eigenen Glauben. Eben das sei Protestantismus.

Herder und sein väterlicher Freund Johann Georg Hamann (1730–1788) bestimmten auch den Inhalt des Aufklärungsprozesses anders als Kant. Beide waren der Meinung, dass jeder Mensch eine Pflicht zur Bildung zur Humanität habe. Aber »Unmündigkeit« sei keine Schuld. Vielmehr gehe es darum, dass die Menschen sich von falschen Vormündern befreiten und ihren eigenen Weg gängen.

Wenn wir also einmal zusammenfassen, dann regten uns der Vortrag und das Gleimhaus dazu an, endlich einmal wieder unsere Erinnerung an Johann Gottfried Herder, einem guten Freund und Briefpartner von Johann Wilhelm Ludwig Gleim, auszugraben: Aufklärung ist ein Prozess der Vernunft und Glauben umfasst und der sich über die ganze Menschheitsgeschichte erstreckt. Erst mit dieser Voraussetzung sind wir wieder zum sinnvollen Austausch mit anderen Kulturen und Religionen in der Lage. Für diese Einsicht sind wir dem Referenten, den Zuhörern und den Organisatoren, die auch die Sonderausstellung liebevoll gestalteten, sehr dankbar.

Johannes Eichenthal

Information

Gleimhaus. Museum der deutschen Aufklärung.

Domplatz 31 38820 Halberstadt

Die Sonderausstellung ist noch bis zum 21. Oktober 2018 zu sehen

www.gleimhaus.de

Stückemann, Frank (Hrsg.): Lesebuch. Johann Moritz Schwager. Köln 2012, ISBN 978-3-895-28-904-0

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