Reportagen

ZUM EINFLUSS DES RÜSTUNGSKOMMANDOS CHEMNITZ AUF UNTERNEHMENSENTSCHEIDUNGEN. 1939–1945.

Am 31. Januar trat Jens Hummel mit einem Vortrag zur Tätigkeit des Rüstungskommandos Chemnitz 1939 bis 1945 im Sächsischen Fahrzeugmuseum in Chemnitz auf.

Am Abend des 31. Januar war der Parkplatz des Fahrzeugmuseums bald überfüllt. Zum Glück kann ein anschließender Parkplatz genutzt werden. Dirk Schmerschneider, der Leiter des Fahrzeugmuseums konnte dann vor mehr als 80 Zuhörern den Vortragenden Jens Hummel begrüßen.
Jens Hummel ist der Autor der beiden Grundsatzartikel in dem Tagungsband: Verlagerter Krieg. Umstellung der Industrie auf Rüstungsproduktion im Bereich des Rüstungskommandos Chemnitz während des Zweiten Weltkrieges. (Mironde Verlag 2011, ISBN 9783937654683)

Jens Hummel schilderte zunächst die »Vorgeschichte« der Rüstungsproduktion im Zweiten Weltkrieg. Geheime Rüstungsprojekte entstanden bereits in den 1920er Jahren, als Allierte Kontrollkommissionen die Wiederaufrüstung Deutschlands verhindern wollten. Bereits damals wurden Tarnbezeichnungen und Codes für solche Projekte vergeben. Ab 1938 war der Grenzregions-Status Sachsens aufgehoben worden und Sachsen wurde zum Rüstungsstandort, nach 1942 zum Hochtechnologie-Rüstungsstandort.

Jens Hummel schilderte die Entstehung der Rüstungsinspektionen und schließlich der Rüstungskommandos als lokale Verwaltungseinheiten des Rüstungsministeriums.

Der Autor schilderte anschaulich und nachvollziehbar, wie mit Kriegsbeginn Schritt für Schritt das zivile Leben eingeschränkt und der industriellen Mobilmachung untergeordnet wurde. Ein großer Fehler der »Planung« zeigte sich mit Kriegsbeginn: die Facharbeiter waren doppelt verplant worden. Von Anfang an mangelte es daher der Industrie an Facharbeitern, weil diese zum Kriegsdienst eingezogen worden waren. Das Rüstungskommando versuchte zunächst durch Stilllegung von mittelständischen Betrieben vorwiegend der Textil- und Papierindustrie, Arbeitskräfte zu gewinnen. Später wurden zunehmend Gast- und Fremdarbeiter eingesetzt, auch Häftlinge und KZ-Häftlinge. Rüstungsproduktion wurde auch in Gefängnisse verlagert. Selbst im Küchwaldkrankenhaus Chemnitz mussten Patienten Rüstungsteile montieren.

Jens Hummel schilderte das System der Planwirtschaft, wie es vom Rüstungsministerium betrieben wurde. Dabei sei es zum Teil durch sich widersprechende Anordnungen bereits ohne »Feindeinwirkung« zu verheerenden Schäden gekommen. Der sich wiederholende Zusammenbruch der Zulieferung oder die Herstellung von Investruinen, etwa beim Versuch ab 1944 Produktion unter Tage zu verlegen, machten die Grenzen der Planwirtschaft deutlich.
Wir bekommen an dieser Stelle eine Ahnung, dass industrielle Kriegführung und totale Mobilmachung zwei Seiten ein- und derselben Medaille sind. Das ganze Land wurde zwischen 1939 und 1945 als ein Konzern betrieben, dessen Zweck der Krieg war. Die einzelnen Menschen waren in diesem System nummerierte Größen.

Die einzelnen Menschen aber mussten am Ende die Folgen dieser auf Rüstung und Krieg zielenden Politik mit dem Leben, mit dem Verlust von Hab und Gut, von Heimat bezahlen.
Das Publikum dankte dem Referenten am Ende für seinen erschütternden Vortrag mit herzlichem Beifall.

Kommentar
Dem Anschein nach hat die etablierte Forschung in Sachen Rüstungskommandos eine Forschungslücke, denn der Beitrag Jens Hummels entstand auf einer Tagung des Historiker-Arbeitskreises des Heimatvereins Niederfrohna. Wir fügen einen dort abgedruckten Beitrag am Ende dieser Reportage an. Ebenso die Literaturangaben des Bandes, der noch weitere Beiträge enthält.
Gestatten Sie, liebe Leser, vielleicht einige wenige Ergänzungen.

  1. Mit der Entstehung der großen Industrie dominierte diese zunehmend die Art der Kriegführung und die Ziele der Kriegführung (z.B. Erdöl, Braunkohle-Benzin u.a.). Als im Jahre 1915 eine vom fehlenden Nachschub bewirkte Kathastrope des deutschen Reiches drohte, übernahm der Präsident der AEG, Walther Rathenau, für kurze Zeit den Aufbau einer planmäßigen Versorgung der Industrie und der der Reichswehr. Zentrale Planung und Befugnisse der Obersten Heeresleitung ersetzte für die Zeit des Krieges die bisherige Wirtschaft. Der Markt wurde durch Zuweisungen, Bezugsschein und Befehlsstrukturen ersetzt. Der Staat benutzte fiktives Geld, um die Rüstung zu finanzieren.
  2. Der erfahrene Kulturhistoriker Wolfgang Schivelbusch wies mit seiner Studie »Entfernte Verwandtschaft: Faschismus, Nationalsozialismus, New Deal. 1933–1939.« (Carl Hanser Verlag München/Wien 2005, ISBN 3446205977) darauf hin, dass sich die Reaktion der Politik auf die Weltwirtschaftskrise und weltweit hunderter Millionen Arbeitslose von 1929/32 in Italien, Deutschland und den USA ähnelte. Die Politik täuschte Aktivität in »zivilen« Projekten vor (Trockenlegung von Sümpfen, Autobahnbau, Highway-Bau) aber den »Aufschwung«, das »Wachstum« erreichte man mit der Flucht in überdurchschnittliche Steigerungsraten der Rüstungsproduktion.
  3. Der erfahrene Militärhistoriker Rolf-Dieter Müller veröffentlichte 2011 eine Studie mit dem Titel »Der Feind steht im Osten. Hitlers geheime Pläne für einen Krieg gegen die Sowjetunion.« (Christoph Links Verlag Berlin 2011, ISBN 9783861536178). Vom ersten Tag seines Amtes an ließ Reichskanzler Hitler Pläne für einen Krieg gegen die UdSSR erarbeiten. Diese scheiterten zunächst daran, dass die notwendigen militärischen und industriellen Kapazitäten nicht termingerecht aufgebaut werden konnten. Müller verweist darauf, dass die Mehrheit der Wehrmachtsführung und die Mehrheit der NSDAP-Führung gegen dieses Projekt waren. Hitler vermochte sich dennoch durchzusetzen. Gründe dafür vermag Müller nicht anzugeben.
  4. Die Rüstungskommandos dienten der Umsetzung dieser zentralen Planungen, um die militärischen und industriellen Voraussetzungen eines Krieges zu schaffen. Mit Kriegsbeginn wurden der Markt außer Kraft gesetzt und durch eine Art von Befehls- oder Planwirtschaft ersetzt. Produktionsziele, Arbeitskräfte, Materialverwendung u.a. wurden festgelegt. Selbst bei Problemen mit der Straßenbahn im Arbeiterverkehr schaltete sich das Rüstungskommando ein. Um das Verhalten von einzelnen Unternehmensführungen in dieser Situation begreifen zu können, muss man die konkrete Situation konkret analysieren. Bloße abstrakte Beurteilungen führen hier nicht weiter.
  5. Der Historikerarbeitskreis des Heimatvereins Niederfrohna und Jens Hummel haben wichtige Grundlagen erarbeitet. Eine umfassende wissenschaftliche Analyse im angedeuteten Sinne übersteigt jedoch die Möglichkeiten von Heimathistorikern. Eine solche Untersuchung steht noch aus.
  6. Die Notwendigkeit einer solchen Untersuchung wird dadurch unterstrichen, dass die Verhaltensmuster der Industrie-Gesellschafts-Politik, im Falle von existenziellen Wirtschaftskrisen in Rüstungsproduktion und Kriegsvorbereitung zu flüchten, noch nicht überwunden werden konnten.
    Johannes Eichenthal

Anhang
Jens Hummel: Das Rüstungskommando Chemnitz

Das industrialisierte Sachsen war aufgrund regionaler und wirtschaftlicher Besonderheiten von der Weltwirtschaftskrise außerordentlich stark betroffen. Die Arbeitslosenrate lag in den Folgejahren immer über dem Reichsdurchschnitt. Auch der Rückgang der Arbeitslosigkeit nach 1933 verlief in Sachsen nicht schneller als im übrigen Reichsgebiet, sodass die höhere Prozentzahl der Arbeitslosen gegenüber dem Reichsdurchschnitt lange Bestand hatte.(1)
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden große Bau- und Aufrüstungsprogramme in Angriff genommen. Einige Teile der Industrie konnten schon frühzeitig von der beginnenden Wiederaufrüstung profitieren. Dabei gab es in Sachsen keine großen Rüstungsbetriebe im eigentlichen Sinn. Doch schon im Rahmen der Wiederaufrüstung hatten sich auch sächsische Betriebe, vor allem aus dem Maschinen- und Fahrzeugbau, zusätzliche lohnende Aufträge der Militärs gesichert. Gerade die Unternehmen der Metallindustrie konnten ohne größere Umstellungen Rüstungsgüter produzieren. Doch auch die in Sachsen vorherrschende Textilindustrie profitierte bald von Rüstungsaufträgen, wenn die Unternehmen Textilprodukte für das Militär wie Uniform- und Kartuschenbeutelstoffe, Fallschirmseide o.ä. herstellten.
Dabei machte die zunehmende Rüstungsproduktion koordinierende Dienststellen notwendig, die als Bindeglied zwischen Militär und Wirtschaft angesehen werden können. Zum 01.04.1935 erfolgte eine vom Reichswehrminister angeordnete Neuorganisation der Wehrwirtschaft. Es entstanden auf Wehrkreisebene die Wehrwirtschaftsinspektionen, welchen die Wehrwirtschaftsstellen als regionale ausführende Dienststellen nachgeordnet waren.
Am 22.11.1939 wurden die Wehrwirtschaftsinspektionen in Rüstungsinspektionen und die Wehrwirtschaftsstellen in Rüstungskommandos (Rükdo) umbenannt.
Die räumliche Zuständigkeit der Wehrwirtschaftsinspektionen bzw. Rüstungsinspektionen entsprach anfangs den Wehrkreisen. Für Sachsen und das Sudetengebiet war die Rüstungsinspektion IV Dresden verantwortlich. 1942/43 wurden die Gebietseinteilungen der Rüstungsinspektionen den Gaueinteilungen der NSDAP angeglichen. Dadurch machte sich bei einigen der Rüstungsinspektionen, so auch bei der Dresdner, eine Teilung des Zuständigkeitsbereichs notwendig. Nunmehr gab es die Rüstungsinspektion IVa Dresden und die Rüstungsinspektion IVb Reichenberg.
Der Rüstungsinspektion IVa Dresden unterstanden drei Rüstungskommandos mit entsprechender regionaler Zuständigkeit. Dies waren das Rükdo Dresden, das Rükdo Leipzig und das für Westsachsen verantwortliche Rüstungskommando Chemnitz.(2) Im Folgenden soll etwas über die Tätigkeit und die vielfältigen Aufgaben des Rüstungskommando Chemnitz berichtet werden.
Das Rükdo Chemnitz war für den Raum Westsachsen die ausführende Dienststelle des Rüstungsinspekteurs in Dresden und nahm in ihrem Zuständigkeitsbereich wehrwirtschaftliche Aufgaben war. Zu diesen Aufgaben zählten z.B. die Mobilmachung der Rüstungsbetriebe, die Zuteilung von Arbeitskräften und Produktionsmitteln je nach Priorität der Rüstungsaufträge, die Betreuung der laufenden Fertigung und die Kontrolle von Luftschutz- und Werkssicherheitsmaßnahmen in den Betrieben.(3)
Das Rüstungskommando Chemnitz war in verschiedene Fachgruppen untergliedert.
Es bestand aus einer Zentralgruppe, die sich wiederum aus
Gruppe 1a für Führungsangelegenheiten des Rükdos sowie Personalbewirtschaftung der Rüstungsbetriebe,
Gruppe 1b für Transportangelegenheiten wie Kraftfahrzeuge, Kraftstoffe usw.,
Gruppe 1c für Abwehrangelegenheiten (Werkschutz, Beschäftigung von Kriegsgefangenen und Ausländern) und der
Gruppe 1 Wi für Rechtsfragen zusammensetzte.

Neben dieser Zentralgruppe bestand noch die Gruppe 2 für den inneren Dienst (Adjudantur), die Gruppe 3 für technische Angelegenheiten der Betriebe (Energie, Maschinen, Bauvorhaben usw.) sowie die Gruppen Heer und Marine für die Betreuung der Unternehmen mit entsprechender Fertigung.(4) Als letzte nahm im September 1940 noch die neu eingerichtete Gruppe Luftwaffe ihre Tätigkeit auf.(5)
Dienststellenleiter und Kommandeur des Rüstungsbereichs war seit Februar 1938 Major Paul Spangenberg, welcher ab 01.06.1940 zum Oberstleutnant und mit Wirkung vom 01.04.1942 zum Oberst befördert wurde.(6)
Das Rüstungskommando hatte seinen Sitz in Chemnitz in der Bahnhofstraße 2. Doch nach der allgemeinen Mobilmachung Ende August 1939, bei der auch der Mannschaftsbestand dieser Dienststelle durch zusätzliches Personal wie Fahrer und Schreibkräfte ergänzt wurde, reichten die Räumlichkeiten nicht mehr aus. Die Gruppen Heer und Marine bezogen als Erweiterungsunterkunft vorerst Räume im Carola-Hotel.(7)
Im September 1940 erfolgt der Umzug in eine neue Dienststelle. In den Gebäuden Am Hauptbahnhof 7 und 9 waren nun alle Gruppen des Rükdo’s wieder vereint und auch die neu eingerichtete Gruppe Luftwaffe nahm dort die Arbeit auf.(8)
Zu den Aufgaben der beschäftigten Offiziere und Angestellten gehörten auch Besuche in den Rüstungsbetrieben, deren Anzahl stetig zunahm. Um dem gerecht zu werden, auch vor dem Hintergrund der sehr stark eingeschränkten Kraftstoffzuteilung für die Heimatdienststellen, wurden zwei Außenstellen des Rüstungskommandos geschaffen. Ab Dezember 1941 bestand eine Außenstelle in Aue (9), die zweite gab es ab April 1942 in der Stadt Plauen.(10)
Im Januar 1943 ergab sich noch einmal eine Änderung im Zuständigkeitsbereich. Die Betreuung des Kreises Freiberg ging in diesem Monat vom Rükdo Chemnitz auf das Rükdo Dresden über.(11)
Die Rüstungskommandos unterstanden als kleinste ausführende Dienststelle dem Reichsminister für Bewaffnung und Munition (ab 9/1942 Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion). In den Rükdo’s waren Offiziere der Teilstreitkräfte, Fachpersonal wie Ingenieure sowie Sekretärinnen und Fahrer beschäftigt. Die Anzahl der Mitarbeiter im Rükdo Chemnitz hatte sich von ca. 50 Personen im Jahr 1939 auf über 80 Personen in den Folgejahren erhöht.(12)
Das Rüstungskommando war die koordinierende und betreuende Dienststelle für alle Unternehmen, welche Aufträge für die Teilstreitkräfte der Wehrmacht ausführten.
Nach Beginn des zweiten Weltkrieges nahm die Anzahl der Kriegsmaterial produzierenden Betriebe stetig weiter zu. Ab 1943 begann man auch in großem Umfang kriegswichtige Betriebe in das weniger luftkriegsgefährdete Sachsen zu verlagern. All dies brachte dem Rükdo Chemnitz stets weitere Aufgaben ein.
Die bedeutendsten Rüstungsbetriebe in Westsachsen waren die »Vomag«, die Vogtländische Maschinenfabrik in Plauen in welcher u.a. Kettenfahrzeuge wie Panzerkampfwagen, Panzerjäger und der Raupenschlepper Ost gefertigt wurden und die Werke der Auto-Union AG z.B. in Chemnitz und Zwickau. In den Auto-Union Werken wurden neben Kübelwagen, Motorrädern und LKW’s für die Wehrmacht auch Raupenschlepper Ost, Torpedos und Panzermotoren gefertigt. Diesen Großbetrieben galt natürlich das besondere Interesse der Offiziere und Angestellten des Rüstungskommandos.
Doch die Rüstungsindustrie war ein so komplexes Thema, dass sich unberücksichtigt gebliebene Kleinigkeiten oft über Zulieferverhältnisse im großen Rahmen negativ auswirkten. So kam es z.B. im 4.Quartal 1942 wegen des Fehlens von Normteilen wie Schrauben und Muttern zu einem Engpass in allen Fertigungen. Im Kriegstagebuch des Rükdo Chemnitz wurde dazu notiert: »… Bei der Erhöhung der eigentlichen Gerätefertigung hat eine vorher oder wenigstens gleichzeitig notwendige Steigerung der Ausbringung dieser Teile offenbar nicht ausreichende Beachtung gefunden …«(13)

Für solche Abhängigkeitsverhältnisse gibt es noch viele Beispiele aus anderen Bereichen.
Insgesamt kann die Tätigkeit des Rüstungskommandos während der Kriegsjahre in erster Linie als Versuch bezeichnet werden, die vielen Defizite zu verringern. Mangel herrschte in vielfältiger Weise. Lieferrückstände der Firmen traten auch ohne Feindeinwirkung häufig auf. Ob Rohmaterial, Betriebsstoffe, Kohle, Transportkapazität oder Werkzeugmaschinen, oft musste das Rüstungskommando eingreifen und dies alles den Herstellerfirmen nach Priorität der Rüstungsaufträge zuteilen. Das größte und konstanteste Manko war der Mangel an Arbeitskräften, und hier vor allem an Facharbeitern. Nach Kriegsbeginn standen zu keinem Zeitpunkt allen Herstellerfirmen ausreichend Arbeitskräfte zur Verfügung. Trotz vielfältiger Anstrengungen konnte dieses Problem nicht gelöst werden. Die ständige Ausweitung der Rüstungsproduktion ließ den Mangel an Arbeitskräften zum Dauerproblem werden. Alle Betriebe verloren durch die häufigen Einberufungen von männlichen Mitarbeitern wertvolle Facharbeiter die kaum ersetzt werden konnten. Anfangs wurde begonnen Frauen und Pensionäre wieder in die Betriebe zu holen. Doch dies war nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. In großem Umfang wurden in den Kriegsjahren ausländische Fremdarbeiter, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und sogar KZ-Häftlinge in den Unternehmen eingesetzt. Diese Arbeitskräfte konnten jedoch oft nur für einfach anzulernende Arbeiten verwendet werden. Doch nicht nur der Fachkräftemangel blieb akut. Oft konnten nicht einmal mehr Hilfskräfte aus den oben genannten Gruppen den Firmen in ausreichender Zahl zur Verfügung gestellt werden. Selbst der dringendste Sofortbedarf an Arbeitskräften konnte meist nur teilweise gedeckt werden. Die Eintragung im Kriegstagebuch des Rüstungskommandos vom 31.07.1943 steht beispielhaft für die gesamten Kriegsjahre. Dort heißt es u.a.: »…Rü-Bereich ist nach wie vor bei großem Mangel an Arbeitskräften mit Aufträgen überlastet. …«(14)
Die Versuche, dem Arbeits- und Fachkräftemangel beizukommen, brachten manches heute kaum noch bekanntes Ergebnis. So wurde z.B. in kleinerem Umfang Fertigung in Strafanstalten verlegt um die dort einsitzenden Facharbeiter für die Rüstung nutzbar zu machen. Schon Ende 1941 hatte z.B. das Auto-Union Werk Horch in Zwickau die Herstellung von Torpedotreibschrauben in das Strafgefängnis Zwickau verlegt. Mit der Fertigung waren 80 Strafgefangene (fast alle Facharbeiter) beschäftigt. Zu diesem Zeitpunkt war beabsichtigt dort weitere 100 Gefangene für eine andere Baugruppe der Marinefertigung einzusetzen.(15)
Bei einem anderen Versuch der Industrie nicht zur Verfügung stehende Arbeitskräfte für die Rüstungsproduktion nutzbar zu machen, leistete das Rüstungskommando Chemnitz bahnbrechende Vorarbeit. Im Juli 1942 wurde erstmals ein Auftrag des Auto-Union Werks Rösslerstrasse, Chemnitz in das Reservelazarett II, Küchwaldkrankenhaus Chemnitz verlagert.(16)
Zu dieser ersten Produktionsverlagerung in ein Krankenhaus wird ausgeführt:
»… Zweck der Maßnahme ist es
a) Förderung des Heilprozesses durch Arbeitstherapie
b) Einsatz dieser damit verbundenen Arbeitskräfte zum Nutzen der Wehrmachtsfertigung…“
Schon Ende August 1942 war eine weitere Arbeitsstätte im Reservelazarett I, Abteilung Andreschule, Chemnitz im Aufbau. Hier kamen auch Werkzeugmaschinen zum Einsatz.(17)
Im ersten Quartal 1943 wurde im Zuständigkeitsbereich des Rükdo Chemnitz schon in 23 Lazaretten gearbeitet. Dies waren Albertsberg, Bad Elster, Chemnitz I, II, III, IV und V, Frankenberg, Glauchau, Lichtenstein, Meerane, Oberschlema, Oberwiesenthal, Olbernhau, Plauen I, II und III, Reichenbach, Rodewisch, Stollberg, Waldenburg, Zwickau I und II. (18)
Natürlich wurden keine körperlich schweren Arbeiten in die Krankenhäuser verlagert. Im Reservelazarett Bad Elster wurden z.B. leichte Sattlerarbeiten erbracht. Die Fa. Walter aus Adorf i.V. hatte die Herstellung von Brotbeuteln für Uniformen in das Krankenhaus verlegt. Im Plauener Reservelazarett I, Teillazarett Stadtkrankenhaus Plauen wurde die Prüfung von Kreiselgeräten von der Fa. Th. Horn aus Plauen durchgeführt.
Ob jedoch, wie angestrebt, der Heilprozess bei den Patienten durch eine Arbeitstherapie verbessert werden konnte, darf wohl angezweifelt werden. Auf alle Fälle spielte das Rükdo Chemnitz eine Vorreiterrolle beim Arbeitseinsatz in den Lazaretten.

Die Besonderheiten der Rüstungsproduktion, welche in Westsachsen auch oft von Firmen ohne jegliche Erfahrungen in der Metallverarbeitung erbracht werden musste, führten in der Regel zu entsprechenden Schwierigkeiten. Besonders in der Anlaufphase traten oft Probleme auf. Die Umsteuerungen in der Rüstungswirtschaft, das Auslaufen verschiedener Produkte verbunden mit dem Neuanlauf anderer Waffensysteme und der wechselnde Bedarf der Teilstreitkräfte brachten vielfältige Probleme für die Unternehmen mit sich. Die Firmen konnten sich aufgrund fehlendem Fachpersonals und mangelnder Erfahrung auf diesem Gebiet oftmals nicht einfach den neuen Anforderungen anpassen. So kam es gelegentlich vor dass ein Betrieb nach erheblichen Anlaufproblemen endlich die Sollstückzahlen erreichte, nun aber die Produktion aufgrund neuer Vorgaben wieder einstellen sollte. So notierte man z.B. am 30.11.1942 im Kriegstagebuch des Rüstungskommando Chemnitz: »…Die mit großen Mühen aufgezogenen Fertigungsstätten für 2 cm Flak bei Fa. Schubert & Salzer Maschinenfabrik AG, Chemnitz und Firma Karl Lieberknecht, Oberlungwitz, müssen, nachdem die Fertigung gut in Gang gekommen ist, auf 3,7 cm Flak umgestellt werden …«(19)
Auch unterlag der Bedarf an militärischen Verbrauchsgütern wie Munition in den ersten beiden Kriegsjahren erheblichen Schwankungen. Die Kriegslage wirkte sich unmittelbar auf die Hersteller aus. Gerade bei der Fertigung von Granaten usw. waren auch viele Betriebe mit eigentlich artfremder Fertigung eingebunden. Während es im Rüstungsbereich Chemnitz zu Friedenszeiten 15 Lieferfirmen gab, erhöhte sich die Zahl bis Juli 1940 auf schon 92 Munitionsbetriebe. Darunter waren übrigens viele Papierhersteller.(20)
Für das dritte Quartal 1940 hatte man damit gerechnete, dass ca. 75 % aller Munitionshersteller zum vollen Ausstoß kommen würden. Doch durch die unerwartet günstige Kriegslage im Westen erfolgte eine Umsteuerung in der Rüstungsproduktion. Die Fertigung von Granaten sollte drastisch reduziert werden. Teilweise war im Juli und August 1940 eine völlige Einstellung der Munitionserzeugung vorgesehen. Zu den daraus resultierenden Folgen für die Unternehmen heißt es: »… Dadurch waren bei vielen Firmen unbillige Härten nicht zu vermeiden …« Schon im September 1940 begann der teilweise Wiederanlauf der Fertigung. Dieser stieß jedoch auf Probleme, da die Facharbeiter aufgrund des Arbeitskräftemangels schon in andere Firmen abgezogen worden waren.(21)
Die günstige Kriegslage im Jahr 1940 hatte die Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende geweckt. Die Produktion von Rüstungsgütern wurde für die Unternehmer unter diesen Umständen eher unattraktiv. Im Wochenbericht des Rükdo vom 03.–08.06.1940 wird dazu ausgeführt: »… Bei den Verhandlungen mit den Firmen hat es oft den Anschein, als ob es an der erforderlichen Initiative fehle. Vielfach wird auch die Ansicht laut, dass der Krieg bald zu Ende sei und dass die umfangreichen Vorarbeiten und Umstellungen dann unnötig sein würden…«(22) Die Hoffnungen auf ein Kriegsende 1940/41 blieben jedoch unerfüllt. Ab 1941 war aufgrund des weiteren Kriegsverlaufs von einer Reduzierung der Granatenproduktion sowie der gesamten militärischen Fertigung keine Rede mehr. Auch manche westsächsische Firma erreichte hohe Produktionszahlen.
Einige wenige Unternehmen hatten schon frühzeitig im Rahmen der Wiederaufrüstung eine Fertigung von Geschossen bzw. Zündern eingerichtet und entsprechende Lehraufträge abgearbeitet. Damit konnten in diesen Betrieben die Produktionszahlen nach der Mobilmachung bzw. dem Kriegsbeginn sofort enorm gesteigert werden. So hatte z.B. die Fa. Gebr. Langer, Chemnitz schon im Jahr 1934 eine Abteilung für die Zünderfertigung eingerichtet. Bis November 1941 hatte das Unternehmen dann bereits 10 Millionen Zünder und 500 Millionen Zünderfedern abgeliefert.(23)
Auch Unternehmen mit komplexerer Fertigung konnten bald beachtliche Stückzahlen vermelden. So wurde am 21.03.1941 bei der Firma Auto-Union AG, Werk Horch in Zwickau der 1.000. Torpedo fertig gestellt.(24) Die ebenfalls in die Torpedofertigung eingebundene Fa. C.G. Haubold, Chemnitz stellte Ende September 1941 den 1.000. Torpedokessel fertig.(25)
Die 5.000. Torpedoanlassvorrichtung lieferte im Juli 1943 die Fa. Bernhard Hiltmann, Aue.(26)

Ab dem Jahr 1943 wurden aufgrund des Erlasses über die Verlegung kriegswichtiger Betriebe und Betriebsteile vom 26.08.1943 zunehmend Unternehmen nach Westsachsen in den Rüstungsbereich Chemnitz verlagert. Auch die Lösung der damit verbundenen Probleme wie Bereitstellung von Transportkapazitäten, Energieversorgung usw. viel in den Zuständigkeitsbereich des Rüstungskommando Chemnitz. Schon in den entsprechenden Verlegungsbescheiden wurde den betroffenen Unternehmen mitgeteilt »…Die Rüstungsdienststellen am Verlegungs- und Ausweichort werden die notwendige Unterstützung gewähren …«(27) Die Bewältigung der Verlagerungen erforderte einen besonderen Einsatz. Selbst nach Abschluss der unter erheblichem Zeitdruck durchgeführten Verlegungen machten sich oft noch Probleme bemerkbar, denen man sich annehmen musste.
Die Aufnahmekapazität der vorgesehenen Aufnahmebetriebe war aufgrund der relativ geringen Größe vieler in Frage kommender Firmen begrenzt. So konnte oft nur die Produktion kleinerer Baugruppen in einzelne Betriebe verlegt werden oder es wurden mehrere Unternehmen von einem Rüstungsbetrieb belegt. Zu einem solchen Fall gehörten z.B. die Verlagerungen der Firma Fichtel & Sachs, Schweinfurt nach Westsachsen welche hier als Beispiel angeführt werden sollen. Nach den schweren Luftangriffen auf die zur Schlüsselindustrie zählenden Kugellagerfabriken in Schweinfurt im August 1943, hatte die Firma Fichtel & Sachs AG einen Teil ihrer Fertigung ins Vogtland in den Umkreis von Reichenbach und Mylau verlagert. Ausweichbetriebe für die Fichtel & Sachs AG waren:(28)
– Fa. Carl Werner, Reichenbach/Vogtl. / Herstellung und Montage von Panzerkupplungen
– Fa. Schreiter & Biehler, Reichenbach/Vogtl. / Nebenbetrieb für Gleiskettennadellager, Panzerkupplungsteile
– Fa. Herbert Schreiterer, Reichenbach/ Vogtl. / Werkzeugbau und Maschinenreparatur
­– Fa. Gebr. Chevalier, Mylau/Vogtl. / Panzerkupplungsteile, Hartbearbeitung von Gleiskettennadellagern
– Fa. Moritz Forbig, Mylau/Vogtl./ Weichbearbeitung von Gleiskettennadellagern
– Fa. Hugo Merkel, Mylau/Vogtl./ Panzerkupplungsteile, Hartbearbeitung von Gleiskettennadellagern
– Fa. Lindner & Co, Reuth/Vogtl./ Stanzerei, Lager für Mund- und Torpedonabenfertigung
– Fa. Text AG, Reuth/Vogtl./ Torpedonabenfertigung
– Fa. Rink & Werner, Unterheinsdorf/Vogtl. / Schmiede für Gleiskettennadellager
– Fa. L. O. Hartenstein, Lengenfeld/Vogtl. / zwei Werke, Stanzerei, Zieherei, Presserei und Stanzwerkzeugbau.

Die Betriebsverlagerungen hatten die Probleme innerhalb des Rüstungsbereichs Chemnitz noch verschärft. Die knappen Ressourcen an Energie, Gas, Kohle usw. mussten nun auch für diese Unternehmen noch zusätzlich bereitgestellt werden.
Dabei kümmerte sich das Rüstungskommando auch noch um zusätzliche Probleme, welche nicht direkt in ihren Aufgabenbereich vielen. So hatte sich z.B. schon Anfang 1942 ein Eingreifen bei der Chemnitzer Straßenbahn notwendig gemacht. Zu diesem Zeitpunkt war der Waggonausfall so hoch, dass sich das Rükdo zum Eingreifen veranlasst sah um eine reibungslose Anfahrt der Chemnitzer Rüstungsarbeiter in ihre Betriebe zu gewährleisten.(29)
Mancher Versuch, die Probleme der Rüstungsbetriebe zu verringern, mutet aus heutiger Sicht fast kurios an. Während der Kriegsjahre war z.B. auch die Transportlage für die Unternehmen äußerst angespannt. Die Reichsbahn hatte Probleme das hohe Transportaufkommen zu bewältigen, für kurze Strecken standen nur in sehr geringer Zahl LKWs sowie Kraftstoff zur Verfügung und zeitweise gab es nicht ausreichend Transportkisten. Im Juli 1943 konnte die Rüstungsinspektion IVa Dresden über 40 ausgemusterte Wehrmachtspferde verfügen, von denen 18 Stück dem Rüstungskommando Chemnitz zugeteilt wurden. Man begann darauf hin Betrieben mit besonders ungünstigen Transportverhältnissen jeweils zwei Pferde zur Verfügung zu stellen.(30)
Trotz sich stets verschlechternder Kriegslage wurden von der Rüstungswirtschaft zunehmend Höchstleistungen erbracht. 1943/44 waren die Jahre der höchsten Produktionszahlen. In einer Vielzahl von Sonderprogrammen setzte man letzte Reserven ein, oft ohne die mittelfristigen Folgen zu bedenken. Durch äußerste Konzentration der Mittel für die Kriegswirtschaft konnte der monatliche Ausstoß 1944 trotz der enormen Probleme in allen Bereichen erheblich gesteigert werden. Andere Bereiche der Industrie standen nach fünf Jahren Kriegswirtschaft äußerst schlecht da. So war die Lage für die ehemals dominierende Textilindustrie durch Entzug von Arbeitskräften und Betriebsstilllegungen dramatisch geworden. Ohne Rücksicht darauf schwächte man die Belegschaften weiter. In den vertraulichen Berichten des Arbeitsamtsbezirks Glauchau heißt es dazu im April 1944 »… Die stark angeschlagene Textilindustrie wurde im Berichtsmonat weiter zur Ader gelassen. Wie lange diese Eingriffe noch vorgenommen werden können, ohne dass der Patient sein Leben lässt, bleibt abzuwarten. Was noch herausgeholt wird, lässt jedenfalls sehr zu wünschen übrig. Trotz allem versucht die Textilindustrie die ihr gestellten Aufgaben auf alle Fälle zu erfüllen. … Zum Schluß sei erwähnt, dass die Orientierung der Textilbetriebe nach der Seite der Rüstungsverlagerung, bedingt durch reinen Selbsterhaltungstrieb, unvermindert anhält…«(31)
Im Juli 1944 führt man zur Textilindustrie aus »… Der Abbau dieser Industrie hält unvermindert an, da Ersatzkräfte gegenwärtig überhaupt nicht einmünden. Wie weiterer Kräfteabgang … in Zukunft hingenommen werden soll, bleibt ein Rätsel. Reine Textilbetriebe gibt es schon überhaupt nicht mehr, die branchenfremden, meist Metallabteilungen, nehmen an Zahl und Umfang immer mehr zu …« 32
Alle für die Rüstung relevanten Unternehmen produzierten auf Hochtouren. Fast alle noch bestehenden Betriebe waren 1944 direkt oder indirekt in die Rüstungsproduktion eingebunden. Oft mussten die Unternehmen Sonderaktionen durchführen. Die 1944 laufenden Programme wie Reims, Rheinsdorf, Gewaltaktion Stamm, Schnellaktion Kugellager, Aktion 103 usw. bedeuteten meist einen äußerst kurzfristigen Neuanlauf von militärischen Produkten oder einen große Erhöhung bereits bestehender Fertigung. So sollte z.B. die Sächsische Textilmaschinenfabrik, vorm. Richard Hartmann AG, Chemnitz im Rahmen der »Gewaltaktion Stamm« ihre Produktion von 15 cm Nb.W. 41 um ein Vielfaches steigern. Die monatliche Ausbringung von 36 Stück sollte auf 400 Stück erhöht werden.(33)
Neben den Problemen, welche die gewaltige Steigerung der Fertigung zwangsläufig nach sich ziehen musste, machten auch die Neuanläufe dem Rükdo oft erhebliche Sorgen. In den Betrieben rächte sich der Umstand, dass die Zeit für Entwicklung und Erprobung der neuen Waffen und Geräte in der Regel zu kurz bemessen war. So wird zum z.B. im März 1944 über die Marinefertigung berichtet: »… Es tritt immer klarer zu Tage, das die Termine für die U-Bootsneubauten viel zu kurz bemessen wurden und die Vorarbeiten überstürzt werden mussten, sodass nachträgliche Änderungen die an und für sich vorhandenen Schwierigkeiten noch weiter verschärfen …«(34)
Gerade die Marinefertigung war aufgrund vergleichsweise geringer Stückzahlen und spezieller Anforderungen an die Produkte (z.B. Seewasserbeständigkeit) besonders auf einzelne Zulieferer angewiesen. Hier machten sich selbst kleinere Probleme in den Betrieben durch die Abhängigkeitsverhältnisse in großem Ausmaß bemerkbar. Beim Ausfall eines Zulieferers konnte nicht einfach auf einen anderen Lieferanten zurückgegriffen werden. So vermerkt die Gruppe Marine im Rükdo Chemnitz am 15.01.1944 »… Die starke Behinderung der Marinefertigung durch mangelhafte Zulieferungen hat keine Besserung erfahren. So sind z.B. seit einiger Zeit bei Karl Lieberknecht, Oberlungwitz rd. 100 Lafetten fertig, an denen lediglich die Sockelfeder fehlt …«(35)
Die Auslieferung der 2 cm Doppellafetten wurde durch das Fehlen dieser einzelnen Feder verhindert, wofür der Stahllieferant verantwortlich gemacht wurde.
Im Jahr 1944 wurde auch den Unternehmen, welche in die V-Waffenproduktion eingebunden waren, besondere Aufmerksamkeit zu teil. Auch hier sollten die eingeforderten Produktionssteigerungen um jeden Preis erreicht werden. So musste z.B. die Kopex-Maschinenfabrik GmbH, Chemnitz für das A4 Programm seine Produktion erheblich erhöhen. Das von diesem Unternehmen gefertigte Kopexrohr, ein biegsames Isolierrohr für elektrische Leitungen, wurde dringend für die V2 Raketen benötigt.(36)
Trotz aller Versuche konnte oft keine reibungslose Produktion gewährleistet werden. Andererseits hatten auch einige westsächsische Unternehmen durch eigene Ideen zur Vereinfachung und Verbesserung von einzelnen Produkten und Fertigungsverfahren beigetragen. Mancher Betriebsführer und Angestellte bekam dafür vom Kommandeur des Rükdo Chemnitz, Paul Spangenberg, ein Kriegsverdienstkreuz verliehen, denn auch diese Ordensverleihungen gehörten zu seinen Aufgaben.
Die Spur des Rüstungskommandos Chemnitz verliert sich im letzten Quartal des Jahres 1944. Ab Oktober 1944 sind keine Unterlagen dieser Dienststelle mehr erhalten.
Hat das Rükdo Chemnitz das gleiche Schicksal wie das Rükdo Leipzig ereilt, welches von einem Bombenangriff betroffen worden war? Ob und inwieweit die Chemnitzer Dienststelle von den schweren Luftangriffen auf die Stadt Chemnitz in Mitleidenschaft gezogen wurde, konnte bisher nicht in Erfahrung gebracht werden. Für den Fall eines Luftangriffs auf Chemnitz stand dem Rükdo stets ein Ausweichquartier zur Verfügung. Dies war z.B. Ende 1943 die Luisenschule für Knaben in der Freigutstraße 23.(37) Die Ereignisse der letzten Kriegsmonate und Wochen, sowie das Ende des Rükdo Chemnitz bleiben vorerst im Dunkeln.
Bekannt ist jedoch das Schicksal des Dienststellenleiters Paul Spangenberg. Er war nach Kriegsende kurz in amerikanischer Gefangenschaft, wurde aber schnell wieder entlassen. Nachdem die Amerikaner sich zurückgezogen hatten und den Sowjets gemäß den Absprachen auch Westsachsen überließen, wurde Paul Spangenberg am 20.07.1945 erneut verhaftet und interniert. Der Vorwurf lautete ein führendes Mitglied des Hitlerregimes gewesen zu sein.
Im NKWD- Sonderlager in Mühlberg /Elbe, in welches er im Februar 1946 verbracht worden war, ist er am 19. Mai 1946 verstorben. Sein Adjutant, Hauptmann Ahnert, der ebenfalls in Mühlberg inhaftiert war und das Lager überlebte, teilte der Familie später als Todesursache Hunger und Entkräftung mit.(38)

Quellenverzeichnis
1 – siehe dazu auch ausführlich in »Sachsen in der NS-Zeit«, Autorengemeinschaft, Gustav-Kiepenheuer Verlag 2002, Kapitel von Michael C. Schneider »Die Wirtschaftsentwicklung von der Wirtschaftskrise bis zum Kriegsende«
2 – Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg i. Br., Vorbemerkung im Findbuch RW 20 (Rüstungsinspektionen)
3 – BArch.-MA. FB, Vorbemerkung im Findbuch RW 21 (Rüstungskommandos)
4 – BArch.-MA. FB, Übersicht mehrfach vorhanden z.B. RW 21/11 – 8, erste Seiten
5 – BArch.-MA. FB, RW 21/11- 4, Seite 24 rs
6 – BArch.-MA. FB, RW 21/11- 3, Seite 7/8 sowie RW21/11 – 11
7 – BArch.-MA. FB, RW 21/11-1, Eintragung vom 29.08.1939
8 – BArch.-MA. FB, RW 21/11- 4, Seite 18 rs
9 – BArch.-MA. FB, RW 21/11- 9
10 – BArch.-MA. FB, RW 21/11-11
11 – BArch.-MA. FB, RW 21/11-14, Eintrag vom 30.1.1943
12 – BArch.-MA. FB, Aufstellungen der Ist-Stärken im Rükdo Chemnitz lt. Kriegstagebuch des Rükdo
13 – BArch.-MA. FB, RW 21/11-13, Eintrag vom 31.10.1942
14 – BArch.-MA. FB, RW 21/11-16, Eintrag vom 31.07.1943
15 – BArch.-MA. FB, RW 21/11-9, Wochenbericht vom 5.-11.1941
16 – BArch.-MA. FB, RW 21/11-12, Einträge vom 31.7.1942 und vom 30.9.1942
17 – BArch.-MA. FB, RW 21/11-12, Eintrag vom 31.8.1942
18 – BArch.-MA. FB, RW 21/11-15, Eintrag vom 8.4.1943
19 – BArch.-MA. FB, RW 21/11-13, Eintrag vom 30.11.1942
20 – BArch.-MA. FB, RW 21/11- 2, Seite 18 und RW21/11-3, Seite 61
21 – BArch.-MA. FB, RW 21/11- 4, Seite 22
22 – BArch.-MA. FB, RW 21/11-3, Seite 8 rs
23 – BArch.-MA. FB, RW 21/11-9, Seite 14
24 – BArch.-MA. FB, RW 21/11-6, Seite 17
25 – BArch.-MA. FB, RW 21/11-8, Seite 26
26 – BArch.-MA. FB, RW 21/11-16, Eintragung vom 10.7.1943
27 – Musterverlegungsbescheid in der Anlage des Erlasses über die Verlegung kriegswichtiger Betriebe und Betriebsteile, RdErl. D. RMdI. v. 6.9.1943 (Erlaß ist auch im RAnz. Nr. 203 v. 1.9.1943 veröffentlicht)
28 – BArch.-MA. FB, RW 21/11-18, Seite 8
29 – BArch.-MA. FB, RW 21/11-10, Seite 29
30 – BArch.-MA. FB, RW 21/11-16, Eintragungen vom 10.7.1943 und 17.7.1943
31 – Landkreis Zwickau Kreisarchiv, Bestand Stadt Glauchau, Handakten des Oberbürgermeisters – Verwaltungsausschuss Arbeitsamt, Band IV, Seite 128 rs
32 – ebnd. Seite 136 rs
33 – BArch.-MA. FB, RW 21/11-20, Seite 50
34 – BArch.-MA. FB, RW 21/11-18, Seite 38
35 – BArch.-MA. FB, RW 21/11-18, Seite 11, Eintrag vom 15.1.1944
36 – BArch.-MA. FB, RW 21/11-18, Seite 24
37 – BArch.-MA. FB, RW 21/11-17, Eintrag vom 18.12.1943
38 – Unterlagen aus dem Besitz der Familie Spangenberg aus unterschiedlichen Quellen zusammengetragen, z.B. Deutsches Rotes Kreuz, Suchdienst München, Zentrale Auskunfts- und Dokumentationsstelle; Auszug aus dem Journal des NKWD/MWD–Speziallagers Mühlberg; Personalakten aus dem Bundesarchiv sowie Lebenslauf usw.

Information
Verlagerter Krieg: Umstellung der Industrie auf Rüstungsproduktion im Bereich des Rüstungskommandos Chemnitz während des Zweiten Weltkrieges.
A5, 114 Seiten, brosch., 9,50 Euro, ISBN 9783937654683
Zu beziehen über jede Buchhandlung oder direkt beim Verlag: www.mironde.com

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