Der Katalog zur Düsseldorfer Ausstellung »Taten des Lichts. Mack & Goethe«, in der die Farbenlehre Johann Wolfgang Goethes und das Schaffen des Bildenden Künstlers Prof. Heinz Mack in Bezug gebracht werden, ist bereits durch seine äußere Erscheinung beeindruckend: 26,0 × 32,4 × 3,7 Zentimeter und 3,3 Kilogramm. Das Motto des Buches lautet: »Des echten Künstlers Lehre schließt den Sinn auf, denn wo die Worte fehlen, spricht die That.«
Dr. A. Lange. Vorstandsvorsitzender der Nationalbank AG, übernimmt in seinem Geleitwort die Begründung für die Themenwahl: Goethe habe zwar 1788 die Ambitionen als bildender Künstler aufgegeben, jedoch 1810 die erste Auflage seiner Farbenlehre veröffentlicht: »Hierin stellte er sich gegen Isaac Newton und dessen Korpuskeltheorie, nach der das Licht aus kleinsten Teilchen (oder Korpuskeln) besteht. Goethe war hingegen davon überzeugt, dass Farbe aus Wechselwirkungen zwischen den nichtfarbigen Entitäten Finsternis, Trübe und Licht (‹Farben sind Taten des Lichts, Taten und Leiden›) entstehen.« (S. 11)
Führende Naturwissenschaftler seiner Zeit hätten Goethes Ansichten zunächst bestritten und zu widerlegen versucht. Dagegen sei Goethes Lichttheorie in der bildenden Kunst auf großes Interesse gestoßen. Noch ein Anderthalbjahrhundert später habe sich Heinz Mack für Goethe begeistert. Dieser Bezug von Mack auf Goethe prägte das Ausstellungsthema.
Der Direktor des Düsseldorfer Goethe-Museums und Vorstand der Anton-und Katharina-Kippenberg-Stiftung, Prof. Dr. Christof Wingertszahn, verweist in seinem Vorwort darauf, dass sich die Thematik, die Theorie des Lichts, in einer Ausstellung nur schwer vermitteln lasse. (S. 25) Es sei wesentlich der Kuratorin zu verdanken, dass die ambitionierten Ideen auch realisiert werden konnten.
Die Kuratorin Barbara Steingießer stellt im Anschluss die Ausstellungskonzeption vor. Von Anfang an ergänzen großzügige Abbildungen der Exponate, zum Teil ganzseitig, die Ausführungen. Frau Steingießer bringt schließlich einen weitern Grund für die Wahl der Ausstellungsthematik ins Spiel: in jüngster Zeit gewinne Goethes Farbenlehre, über die bildende Kunst hinaus, auch in der Naturwissenschaft an Aufmerksamkeit.
Gernot Böhme, Hartmut Böhme; Anke Bosse und Stefan Geiger fügen Aspekt zum Verhältnis von Goethes Farbenlehre und Heinz Macks künstlerischem Werk an. Zwei Originaltexte Macks (S. 337 ff. und S. 345) ergänzen die Darstellung. Abschließend finden wir ein Gespräch zwischen Veit Loers mit Heinz Mack (S. 437 ff.) und biographische Tabellen zu Goethe und Mack.
Eine zweite Darstellungslinie der Ausstellung, wie sie bereits Frau Steingießer angedeutet hatte, wird im Katalog zur Anerkennung der wissenschaftlichen Bedeutung der Goetheschen Farbenlehre gezogen.
Eckhard Bendin hat das Thema »Goethes Farbenlehre – Anspruch und Diskurs« (S. 101 ff.) gewählt. Er geht davon aus, dass Goethe mit Wissenschaftlern wie Wilhelm Ritter (1776–1810) in engem Austausch stand und führt dann Elemente der Rezeption von Goethes Farbenlehre im 20. Jahrhundert an, ehe er auf das Schaffen Goethes selbst eingeht. Die physiologischen Farben habe Goethe an die Spitze gestellt, weil sie das Fundament der ganzen Lehre ausmachten. Dabei beruft sich der Autor auf Johann Wolfgang Goethe: Zur Farbenlehre, Tübingen 1810, Bd. 1, S. 1.
Johannes Greblin-Elis und Oliver Passon überschreiben ihren Beitrag mit »Goethes Farbenlehre aus Sicht der heutigen Physik«. (S. 125 ff) Sie gehen davon aus, dass das wachsende Verständnis der Naturwissenschaft für Goethes Naturauffassung im 20. Jahrhundert zunächst nichts daran änderte, dass die Farbenlehre aus physikalischer Sicht für erledigt galt. Die Autoren präsentieren dann ihren Ausgangspunkt: die Frage, wer Recht hatte, Newton oder Goethe, ist falsch gestellt. Sie zitieren den Wissenschaftshistoriker Olaf Müller, der konstatiert, dass in Folge dieser falschen Fragestellung Goethes Entdeckung der Symmetrie spektraler Phänomene unbeachtet blieb. (S. 127) Es folgt die Aufgabenstellung: Die Frage, zu welchen Ergebnissen man kommt, wenn man versucht Goethes Symmetrieargument physikalisch zu präzisieren und experimentell zu untersuchen.
Die Autoren verweisen darauf, dass der Wissenschaftshistoriker Friedrich Steinle formuliert hatte, dass Goethes Farbenlehre kein exotisches Unternehmen war, sondern dass Goethe versucht habe das technische und künstlerische Praxiswissen sowie die weitverzweigten naturwissenschaftlichen Farbforschungen seiner Zeit zusammenzufassen und unter einem gemeinsamen Prinzip zu vereinigen. Steinle habe auch auf Goethes Anknüpfen an dem Konzept der »Erfahrungen höherer Art« aus dem Kreis der französischen Enzyklopädisten verwiesen. (S. 129)
Der Physiker Matthias Rang habe mit Mitteln der technischen Optik untersucht, wie sich die von Goethe entdeckten, aber in der Optik bisher vernachlässigten Eigenschaften der Zusammengehörigkeit komplementärer Spektralphänomene in eine physikalische Problemstellung übersetzen und als fundamentale Bedingung solcher Phänomene nachweisen lässt. Im Ergebnis lasse sich zusammenfassen: Goethe entdeckte die Komplementarität als Symmetrieeigenschaft spektraler Phänomene. (S. 131) Goethe habe gezeigt, dass Farben stets an optischen Kontrasten, das heißt an Hell-Dunkel-Grenzen entstehen: »Durch die systematische Variation und Umkehr dieser Kontrastbedingungen gelangte Goethe zu der Feststellung, dass die Abbildung zueinander inverser optischer Kontraste durch ein Prisma stets zu isomorphen und komplementären Spektren führt.«
Newtons Beschränkung auf das Spaltspektrum habe bei Goethe den Eindruck eines willkürlichen Eingriffs in die Untersuchung, der Unterdrückung einer ganzen Klasse von Erscheinungen gemacht, die von allgemeiner Bedeutung sind.
Den experimentellen Nachweis seiner Entdeckung konnte Goethe aber nur im Ansatz liefern. Der Norweger André Bjerke habe erst in den 1950er Jahren die Experimente Newtons nachvollzogen und dabei Hell/Dunkel vertauscht.
Den experimentellen Durchbruch habe aber Matthias Rang in Anknüpfung an Torger Holtsmark erzielt. Durch Einführung verspiegelter Spaltblenden und das Konzept des optischen Hellraums habe Rang in den letzten Jahren gezeigt, dass im Prinzip alle Experimente Newtons im Sinne der Polaritätsidee Goethes invertiert werden können.
Im weitern fügen die Autoren an, dass sich die Symmetrie komplementärer Spektralphänomene nicht auf den im optischen Sinne engeren Kreis des elektromagnetischen Spektrums beschränkt, sondern allgemein als Eigenschaft der Strahlungsenergie auch für angrenzende Spektralbereiche des Ultravioletten (UV) und Infrarot (IR) nachgewiesen werden kann. (S. 135)
Johannes Greblin-Elis und Oliver Passon zeigen in ihrem Beitrag die Rehabilitierung und Weiterführung des Goetheschen Ansatzes. Über die Anwendung dieser neuen Erkenntnisse in der modernen Forschung berichtet Christoph Cremer. Er überschreibt seinen Artikel mit »Goethes Farbenlehre und die moderne Optik«.(S. 253 ff.) Er verweist noch einmal darauf, dass, entgegen allen Vorurteilen, Goethe in seinem Leben viel mehr optische Versuche durchgeführt habe als Newton. Deshalb sei die Farbenlehre auch ein gewichtiges Werk, dessen Ausmaß etwa 200 Fachpublikationen eines heutigen Wissenschaftlers entspreche.
Anstoß habe man seinerzeit an Goethes Weigerung gegenüber der damals modischen mechanistischen und seiner Skepsis gegenüber einer rein mathematischen Sichtweise genommen.
Ausgangspunkt von Goethes Überlegungen sei Newtons Behauptung gewesen, dass die Herstellung von abbildenden optischen Systemen ohne Farbfehler physikalisch unmöglich sei.
Goethe habe Newton auf dem Gebiet der Anwendung die Stirn bieten wollen und förderte die Herstellung achromatischer optischer Systeme. (S. 255)
Cremer ergänzt an dieser Stelle, dass Goethe eine Teilnehmerin seines Farbenseminars, die Großherzogin Maria Pawlowna (1786–1859), zur Unterstützung des Projektes gewinnen konnte, da die offiziellen Forschungsmittel nicht ausreichten. Zudem habe Goethe der Glashütte Fraunhofers das Produktionsgeheimnis abgelauscht, mit Friedrich Körner (1778–1847) einen Farbassistenten eingestellt, ihn promoviert und zum Dozenten in Jena gemacht. Körner habe einen Patensohn des Großherzogs Carl Friedrich als Studenten beschäftigt. Der Name des Studenten sei Carl Zeiss gewesen. Zeiss habe nach vierjährigem Studium 1847 eine Werkstatt zum Bau von Hochleistungsmikroskopen in Jena gegründet und 1866 den Jenaer Physiker, und späteren Direktor der Jenaer Sternwarte, Ernst Abbé (1840–1905) engagiert. Um 1880 waren die von Zeiss in Jena gebauten Mikroskope die besten der Welt. (S. 257)
Die Leistungsfähigkeit der Mikroskope habe große Fortschritte gemacht. Doch Ernst Abbé erkannte 1873, dass bei 0,2 Mikrometer (0,0002 mm) eine Grenze bestehe, ab der weitere Vergrößerungsleistung nur noch zu verschwommenen Abbildungen führen. Diese Erkenntnis, sei so gravierend gewesen, dass sie in keiner Physik-Grundlagenvorlesung fehlte.
Der Physiker Ernst Betzig habe erst 2006 mit der Integration von Goethes Gedanken des Zusammenhanges von Hell-Dunkel-Farbe diese Grenzen überwunden, die superauflösende Lichtmikroskopie entwickelt und dafür 2014 den Nobelpreis für Chemie erhalten.
Christoph Cremer formuliert zusammenfassend: »Die Entwicklung der superauflösenden Lichtmikroskopie ist ein aktuelles Beispiel für die Feststellung Goethes im Märchen: ‹Welches ist das wichtigste [Geheimnis]? – Das offenbare […].›«
Anders als Newton oder Huygens habe Goethe das Licht nicht auf kleine materielle Teilchen zurückgeführt. Goethes Grundpostulat lautete: »Das Licht ist das einfachste, unzerlegteste, homogenste Wesen, das wir kennen. Es ist nicht zusammengesetzt.« (Johann Wolfgang Goethe: Lager bei Marienborn, den 15. Juli 1793)
Christoph Cremer fügt an: »Diese Auffassung des Lichts als eines elementaren, nichtreduzierbaren Naturphänomens kommt der modernen Theorie des Lichts sehr viel näher als eine naive Teilchentheorie oder als mechanische Ätherschwingungen.«
Damit schlägt Cremer einen wunderbaren Bogen zum Thema: »Die Farben sind die Taten des Lichts, Taten und Leiden!«
Kommentar
Den Aktiven dieses Projektes ist zu danken. Es wurde ein wunderbare Ausstellung konzipiert und realisiert. Es klingt paradox: das Düsseldorfer Goethe-Museum zeigt keine Spur von Musealität. (Man sollte über eine Umbenennung nachdenken. Ist »Museum« noch das richtige Wort für diesen Ort?) Durch das Zusammenwirken von Wissenschaftlern und Künstlern erreichte man eine für interessierte Laien fassbare, allgemeinverständliche Darstellung des aktuellen Forschungsstandes. Das ist im Interesse von Öffentlichkeit, Kunst und Wissenschaft gleichermaßen. In einer auf Formeln beschränkten Wissenschaftswelt verstehen sich mitunter nichteinmal mehr die Nachbardisziplinen. Selbst die wichtigsten Ergebnisse von Wissenschaft werden erst kommunizierbar, wenn sie in eine literarische Form gebracht werden.
Das Ausstellungsthema »Die Farben sind die Taten des Lichts, Taten und Leiden« erwies sich als tragfähig. Der Beitrag von Christoph Cremer macht am Ende sogar deutlich, dass die Thematik mit dieser Ausstellung noch lange nicht erschöpft ist.
Wir erlauben uns auf seine Äußerung zu verweisen, dass das Offenbare oft das größte Geheimnis darstellt. Es ist allgemein bekannt, dass Goethe in Weimar mit vielen großen Geistern zusammenlebte. In einigen Beiträgen werden Personen genannt. Einer wurde nicht erwähnt: Johann Gottfried Herder. Dabei standen Herder und Goethe seit ihrer Begegnung in Straßburg in engem Austausch. Mit seiner Ankunft in Weimar arbeitete Herder an einer Konzeptionsschrift mit dem Titel »Gott – einige Gespräche«. Diese Schrift erschien 1787. Drei Jahre zuvor hatte Herder bereits den ersten Teil des Buches veröffentlicht, das auf der Konzeptionsschrift beruhte: »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit.« Bis 1791 erschienen drei weitere Teile. Goethe nahm an diesem Projekt großen Anteil und ermunterte Herder, das Wissen seiner Zeit ohne eine »fachchinesische Terminologie« zusammenzufassen. Die erste Überschrift lautete: »Unsere Erde ist ein Stern unter Sternen«. Herder nannte unsere Erde bereits im Jahre 1784 ein »Lebewesen«, ein organisches System, das durch kosmische Kräfte entstand. Das Wesen des Universums fasste Herder, in Weiterführung der philosophischen Tradition von Aristoteles, Maimonides, Spinoza, Leibniz u.a. als die organische Kraft der organischen Kräfte, die beständig vernünftige, berechenbare Strukturen hervorbringt. Anders als im antiken Pantheismus sah Herder Gott nicht als das Wesen das in allen Erscheinungen enthalten ist. Die organische Kraft »Gott« bringt Strukturen hervor, indem sie beständig Abdrücke ihres Wesens erzeugt. Der Ausdruck »Abdruck« geht auf Plato zurück und wurde von Spinoza weitergeführt. Herder stellt klar, dass die Wissenschaft seiner Zeit noch nicht sagen kann, wie in der scheinbar unbelebten Materie Leben entstehen kann. In seinen Darlegungen stützt er sich auf die Ergebnisse solch bedeutender Wissenschaftler, wie Caspar Friedrich Wolff und dessen »Theorie der Generation« (Halle 1759/64). Herder stellt die Frage, durch welches Medium der »Abdruck« erzeugt wird und organische Systeme entstehen. Durch Äther, Magnetismus, Elektrizität oder Licht? Eine Antwort kann er noch nicht geben.
Es sollte aber doch einleuchten, dass Goethe auf den Grundlagenforschungen Herders aufbaute und keinen Anlass sah, diese zu wiederholen. Herders »Ideen« waren, nach Goethes Worten aus »Dichtung und Wahrheit«, auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts allgegenwärtig.
Wäre die Frage nach der Natur des Lichts möglicherweise ein neues Ausstellungsthema?
Johannes Eichenthal
Information
Katalog zur Ausstellung im Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung 4. März bis 30. September 2018; Barbara Steingießer (Hrsg.): Taten des Lichts. Mack und Goethe. Hatje Cantz Verlag, Berlin 2018
ISBN 978-3-7757-4407-2
Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.