Reportagen

EHRUNG EINES CHEMNITZERS

Für den Abend des 16. Februar hatte das Sächsische Fahrzeugmuseum in Chemnitz (s. Titelbild) zu einer Ehrung des gebürtigen Chemnitzers und langjährigen Vorstandsvorsitzenden des Volkswagen-Konzerns Prof. Dr. Carl Horst Hahn (1926–2023) mit einer Aufführung von Prof. Eberhard Görners Dokumentarfilm „Wolle auf Asphalt. Das Experiment Trabant“ eingeladen. 

Bereits die Zahl der Autos auf dem Parkplatz und deren Nummernschilder ließen einen großen Besucherandrang aus nah und fern ahnen. Dennoch war man von der Größe des Publikum überrascht. Die Mitarbeiter des Museums stellten auch wirklich den letzten Stuhl und die letzte Besucherbank zur Verfügung, um allen Einlassbegehrenden einen Platz zu schaffen. Man sah alle, denen die Chemnitzer Kultur am Herzen liegt, die Mehrheit natürlich bekannte Schrauber, Fahrzeug- und Kunstsammler, aber auch die Peniger Kinodirektorin Karsta Hönicke, den Vorsitzenden der Chemnitzer Goethe-Gesellschaft Siegfried Arlt, den Kenner und Sammler von Kinderfahrzeugen Eckart Holler oder den Lugauer Sammler und Kenner der Bücher des Schocken-Verlage Wolfgang Frech.

Museumsleiter Dirk Schmerschneider begrüßte voller Freude das Publikum und Frau Renate Lang, die Witwe eines der beiden Protagonisten des Filmes. 

Frau Lang verlas einen Brief des kurzfristig verhinderten Drehbuchautors und Regisseurs Prof. Eberhard Görner. (Den Wortlaut finden Sie im Anhang.)

Schon hieß es „Film ab!“ – und die Zuschauer folgten gebannt dem Geschehen auf der Leinwand. Mit wenigen Schnitten gelingt es Görner die Geschichte des Experimentes Trabant verstehbar zu machen. Er verwendet neben eigenen Filmaufnahmen Szenen aus DDR-Dokumentarfilmen und Trabant-Werbefilmen. Im Kontrast dazu interviewt er in einmaligen Aufnahmen 2012 Dr. Werner Lang, einen der Väter des Trabant, zum Teil in stillgelegten Produktionsanlagen. Der Sprecher erklärt dazu, dass die SBZ/DDR auf Druck der USA von Anfang an mit Embargen belegt wurde, auch spezielle Bleche fielen darunter. Bereits die F 9-Produktion scheiterte in den Nachkriegsjahren am fehlenden Blech. Doch die Dokumentaraufnahmen von der Duroplast-Karosserieteil-Produktion machen den Preis der Alternative deutlich: hoher Anteil von Handarbeit, große Hitze, allgegenwärtiger Faserstaub u.a. Als großen Vorzug der Trabant-Technik hoben mehrere Stimmen die Einfachheit der Konstruktion hervor. Hier werden die DKW-Gene des Trabants deutlich. Dr. Lang betont immer wieder, dass der Trabant 601 bereits nach wenigen Jahren durch eine Weiterentwicklung ersetzt werden sollte. Doch die DDR-Führung gestattete das nicht. 

Man kann Frieder Bach (5. v. li.), dem Nestor des Chemnitzer Fahrzeugmuseums, seine Freude über den großen Besucherandrang ansehen. Er durfte Prof. Dr. Carl H. Hahn mehrfach im Fahrzeugmuseum begrüßen und der gebürtige Chemnitzer Hahn verfasste sogar ein Geleitwort für Frieder Bachs Buch „Fahrzeugspuren in Chemnitz. Teil 1“. Das Sächsische Fahrzeugmuseum in Chemnitz demonstrierte mit dieser Veranstaltung, dass es der richtige Ort für die Carl-Hahn-Ehrung ist.  

Prof. Dr. Carl H. Hahn betont im Interview, dass er den Kontakt zu seiner Geburtsstadt und seiner Heimat nie verlor, dass er das handwerkliche Können und den Fleiß der Fachleute immer schätzte und dass ihm 1990 die Entscheidung für das VW-Engagement in Zwickau leicht fiel. Aber er macht in angenehmen Understatement von seiner eigenen Rolle in der Vorgeschichte des Zwickauer VW-Werkes nicht viel Aufhebens. Ohne Zweifel war der VW-Konzern unter seiner Führung am Entspannungsprozess der 1980er Jahre nicht unbeteiligt. In einer Zeit, in der die Militärdoktrin beider Seiten die Austragung eines Krieges auf deutschem Boden vorsahen, begann in Chemnitz Anfang der 1980er Jahre die VW-Motoren-Produktion als Vorstufe für die Produktion des VW-Modells Polo in der Form einer „Gestattungsproduktion“. Die Widerstände der Betonköpfe auf beiden Seiten müssen groß gewesen sein, denn die Verwirklichung des Projektes zog sich möglicherweise schon seit den 1970er Jahren hin. Doch es ging dabei eben auch um die Überwindung immer noch bestehender Embargen. 

Diese Vorgeschichte macht deutlich, warum VW unter der Führung Prof. Hahns dazu beizutragen vermochte, dass 1990 das Wissen und Können der Sachsenring-Facharbeiter und Ingenieure zu einem großen Teil bewahrt werden konnte und mit der Aufnahme der Polo-Produktion den Zwickauern den Abschied vom technisch überholten Trabant leicht gemacht wurde. Im Interview sagte Hahn: Wir haben 1990 das Wettrennen um die Fachkräfte gewonnen, doch als wir uns umschauten, war keiner hinter uns. 

Hahn war noch im strategischen Regionen-Denken seines Vaters erzogen worden. Andere Konzernführungen handelten bereits 1990 nur noch in kurzfristigen Gewinnerzielungsabsichten.

In diesem markanten Gebäude – der „Garage“ – ist das Sächsische Fahrzeugmuseum in Chemnitz zu finden.


Im letzten Teil des Filmes äußert sich Hahn über Zukunftsfragen. Dazu werden Roboterfertigungslinien gezeigt, in denen kein Mensch mehr sichtbar ist. Hier wird deutlich, dass die Filmaufnahmen inzwischen zehn Jahre alt sind. Die Firma Toyota war die erste, die Prozesssteuerung und Roboter in der Automobilfertigung einsetzte. Vor etwa vier Jahren erschienen Zeitungsberichte, wonach der Toyota-Chef künftig den Einsatz von Robotern auf ein Minimum beschränken will. Um die notwendige Qualität zu sichern, sei mit Robotern ein gigantischer Aufwand nötig. Dagegen stellten erfahrene Handwerksmeister die nicht ersetzbare Basis des Unternehmens dar. Der Toyota-Chef wollte die Rolle der Meister, die früher im Unternehmen höchste Achtung genossen, wieder herstellen.

Da sind wir wieder beim Handwerk. Jørge Skafte Rasmussen vermochte Anfang der 1920er Jahre, gemeinsam mit seinem Chefkonstrukteur Hermann Weber und seinem Vertriebschef Carl Hahn, innerhalb von sechs Jahren das wichtigste und größte Motorradwerk der Welt aufzubauen, weil er sich auf das handwerkliche Können der erzgebirgischen Belegschaft stützen konnte. In beständiger Korrektur war es Rasmussen mit dieser Belegschaft möglich, zuverlässige und preiswerte Fahrzeuge mit möglichst einfacher Konstruktion zu bauen. Die geniale Lösung ist immer einfach. Insofern ist die DKW-Erbschaft des Trabants heute noch nicht abgegolten. Die Erzgebirgsregion ist immer noch reich an handwerklichen Familienbetrieben. Eine Kombination von weiterentwickelten Zweitaktmotoren (Gegenkolben) mit emissionsarmen Kraftstoffen, wie sie zum Beispiel in Freiberg hergestellt wurden, könnte zur Zukunft der Fahrzeugtechnik beitragen.

Johannes Eichenthal

Anhang

Grußwort Prof. Eberhard Görners

Liebe Freunde des Fahrzeugmuseums, der Mensch denkt. Gott lenkt.

In meinem Fall war es das Krankenhaus in Strausberg, welches mich bis Dienstag nächster Woche in Quarantäne geschickt hat.

Gerne wäre ich nach Chemnitz gekommen, um Ihnen mündlich zu erzählen, wie tief mich das Requiem für Prof. Carl Hahn beeindruckt hat, welches am 24. Januar 2023 ihm in der Christophoruskirche in Wolfsburg durch Prälat Heinrich Günther in einem feierlichen katholischen Trauer-Gottesdienst als letzten Abschiedsgruß geschenkt wurde.

Die Kirche war bis auf den letzten Platz besetzt. Vor dem Sarg auf den Stufen zum Altar hatten die vierundzwanzig Angehörigen der Familie Hahn Platz genommen. Dahinter die Ehrengäste der Stadt Wolfsburg und der Vorstand von VW.

Hans Dieter Pötsch, Aufsichtsratsvorsitzender der Volkswagen AG und Vorstandsvorsitzender der  Porsche Automobil Holding erinnerte daran, dass es ohne Carl Hahn keine VW-Werke in Brasilien, in Spanien, keine Skoda-Werke in Tschechien, VW nicht in China präsent wäre und Zwickau ohne VW heute ganz anders aussehen würde.

Die Trauerrede von Dr. Ing. Oliver Ingo Blume, neuer Vorstandsvorsitzender der Porsche AG und der Volkswagen AG, empfand ich als sehr emotional, weil er als ehemaliger Assistent bei Carl Hahn dessen faszinierende Visionen und seine große Menschlichkeit als Vorbild sieht für die Aufgaben, welche er im Sinne von Carl Hahn heute zu bewältigen hat.

Politisch wurde es bei der Rede von Stephan-Peter Weil, welcher als Ministerpräsident davor warnte, die Wirtschaftsbeziehungen mit China, welche Carl Hahn aufgebaut und damit großes Vertrauen zwischen China und Deutschland erwerben konnte, dass so ein Kapital nicht leichtsinnig verspielt werden darf. Denn die Erfolge von VW in China, sie schlagen sich positiv nieder auch für das Land Niedersachsen wie für ganz Deutschland. Eine Umkehr dieser guten Beziehungen wäre für Deutschland katastrophal !

Ich hätte mir gewünscht, wenn auch Sachsens Ministerpräsident, Michael Kretzschmer, das Wort ergriffen hätte. Denn ohne Carl Hahn wäre Zwickau, die sie umgebende Region, wie ganz Sachsen, nicht in der Oberliga europäischen wie weltweiten Autobaus.

Aber das werden wir, wie mir Ministerpräsident Michael Kretschmer in Wolfsburg bestätigte, in unserer geplanten Talk-Runde im Lingnerschloss Dresden demnächst zum Thema machen.

Doch zu unserem Film WOLLE AUF ASPHALT – DAS EXPERIMENT TRABANT welcher heute die Ehre hat, im Fahrzeugmuseum Chemnitz aufgeführt zu werden. Wenn wir nicht das Risiko eingegangen wären, ohne Geld und ohne Auftrag von ARD oder ZDF, mit der Produktion zu beginnen, gäbe es diesen Dokumentarfilm über die Dramatik deutsch-deutscher Autogeschichte nicht. Die beiden wichtigsten Zeitzeugen im Film, Dr. Werner Lang und Prof. Carl Hahn, sichern dem Film eine dokumentarische Langzeitwirkung !

Nach der Trauerfeier hatte ich vor der Kirche ein von gegenseitiger Sympathie geprägtes Gespräch mit Oliver Ingo Blume. Er kannte unseren Film nicht und freute sich sehr, dass es ihn gibt und bat mich um Zusendung. Unseren Film habe ich am 26. Januar 2023,  zusammen mit einem Brief, auf die Reise nach Wolfsburg geschickt -und ihm geschrieben: „Die Entscheidung von Prof. Carl Hahn für den Standort Zwickau hat die ökonomische Physiognomie von Zwickau und Sachsen gerettet. Schutzengel treten ja unerkannt zwischen uns Menschen, von denen wir gar nicht wissen, dass sie, wie Prof. Carl Hahn, ein Himmelsbote sind.“

Dass  unser Film WOLLE AUF ASPHALT – DAS EXPERIMENT TRABANT ebenfalls vom Niedersächsischen Ministerpräsident gerne aufgenommen wurde, kam in seinem Brief vom 31. Januar 2023 zum Ausdruck, wo er mich wissen ließ, dass er „sich sehr über die Übersendung des Films gefreut hat.“

Also, ich denke, es öffnen sich neue Türen für unsere Film-Hommage, die wir Dr. Werner Lang und Prof. Carl Hahn in fünf Jahre währenden Dreharbeiten gewidmet haben- und ich hoffe, dass Sie im Film die Aktualität beider Zeitzeugen noch einmal mit ganz anderen Augen und Ohren reflektieren.

Herzlichen Dank für Ihr Kommen und schenken Sie bitte Renate Lang Ihren Beifall, dafür, dass sie den heutigen Abend für Sie gerettet hat !

Ihr Eberhard Görner

Information

Museum für Sächsische Fahrzeuge, Zwickauer Straße 77, 09119 Chemnitz

www.fahrzeugmuseum-chemnitz.de

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert