Rezension

SALMAN SCHOCKEN

Noch in den 1980er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde das Karl-Marx-Städter Centrum Warenhaus von vielen als das „Kaufhaus Schocken“ bezeichnet, die Erinnerung an ein Kaufhaus, in dem alles zu bester Qualität und mit einem ausgezeichneten Service zu erhalten war, blieb auch dann noch wach, als dieses Haus, dem ursprünglichen Besitzer gar nicht mehr gehörte. Das 1930 eröffnete Kaufhaus war eins der drei, die nach den Plänen des bekannten Architekten Erich Mendelsohn für die Brüder Simon und Salman Schocken erbaut worden waren. Mit dem Sitz im sächsischen Zwickau gehörte die Schocken KG zu den vier erfolgreichsten Kaufhausketten Deutschlands. Für seine ca. 6000 Mitarbeiter ließ Schocken Personalbibliotheken und im vogtländischen Rautenkranz ein Erholungsheim errichten. Während der Reichspogromnacht 1938 wurde das Kaufhaus wie andere jüdische auch geplündert und anschließend enteignet. Das Kaufhaus blieb unter Nazi-Regie erhalten und wurde nach 1945 zunächst in ein HO-Warenhaus, dann in das schon erwähnte Centrum-Warenhaus umgewandelt.

Salman Schocken (1877–1959) war aber nicht nur ein erfolgreicher Kaufmann, sondern auch Verleger, dessen Verlag, der Schocken-Verlag, bis 1938 in Deutschland existieren konnte. Die etwa 250 Bücher des Verlags, vornehmlich Judaica, sind auch Ausdruck der zionistischen Bestrebungen Schockens, der helfen wollte, die Vorstellungen Theodor Herzls zu verwirklichen, den in alle Welt verstreuten Jüdinnen und Juden eine nationale Heimstätte zu schaffen. Das geschah getreu seinem Credo: „Jahrtausende von Tinte, nicht Blut und Boden, haben die Juden zu einer Nation geschmiedet.“ So war es nur folgerichtig, dass er, als er 1934 aus Deutschland emigrieren musste, sich in Palästina niederließ, sich dort um die Schaffung einer jüdischen Universität verdient machte, wiederum von Erich Mendelsohn eine noch heute existierende Bibliothek in Jerusalem bauen ließ und die noch immer von seinen Nachfahren geleitete, inzwischen einflussreiche Zeitung „Ha´aretz“ kaufte. 

1940, als die Gefahr drohte, dass das deutsche Afrikakorps auch Palästina angreift, emigrierte Salman Schocken weiter in die USA. 1945 gründete er Schocken-Books, den größten verlegerischen Erfolg konnte er wohl damit verbuchen, dass er sich die Weltrechte an dem Werk von Franz Kafka sicherte. Eine seine Lektorinnen war zu dieser Zeit Hannah Arendt, die sich bei seinem Autor Gershom Scholem über Schockens Unentschlossenheit beschwerte. Der Grund dafür war wohl, dass er erst zögerte und es dann ablehnte, die von Arendt als Kopie geretteten berühmten „Thesen über den Begriff der Geschichte“ von Walter Benjamin zu verlegen. 

Stefanie Mahrer, die hier ihre Habilitationsschrift vorlegt, die sie an der Universität Basel verteidigte, macht Salman Schocken nicht zur Ikone, sondern sie konzentriert seine Person auf die Orte, an denen er wirksam und in der Regel auch erfolgreich war. Dieser topographische Ansatz zwingt zu einer größeren Informationsdichte, die für die Leserinnen und Leser überaus gewinnbringend ist. Der Name „Schocken“ wird für viele, die in den Orten leben, wo seine Kaufhäuser standen, noch ein Begriff sein, die wenigsten von ihnen aber werden seine Vielschichtigkeit als „Kaufhauskönig“, liberaler Politiker, Mäzen, Büchersammler und Verleger kennen. Er war sicher eine der bedeutendsten Persönlichkeiten Deutschlands im 20. Jahrhundert und wurde von einer verblendeten Ideologie aus seinem Wirkungsgebiet  vertrieben. Diese Ideologie aber, der Antisemitismus, ist geblieben. Auch aus diesem Grund erscheint das Buch von Stefanie Mahrer zur rechten Zeit.

Werner Abel

Information

Stefanie Mahrer: Salman Schocken. Topographien eines Lebens, Neofelis-Verlag, Berlin 2021, 496 Seiten, 24 Euro

Grundlegende Publikationen zu Leben und Werk Salman Schockens

Ein Link zur Reportage von der Vorstellung Eberhard Görners Schocken-Film „Von Zwickau nach Jerusalem“ aus dem Jahr 2014: https://www.mironde.com/litterata/4105/reportagen/der-brueckenbauer-salman-schocken

Saskia Schreuder/Claude Weber (Hrsg.): Der Schocken-Verlag/Berlin. Essayband zur Ausstellung „Dem suchenden Leser unserer Tage“ der Nationalbibliothek Luxemburg; Akademie-Verlag, Berlin 1994

ISBN 3-05-002678-2

Volker Dahm: Das jüdische Buch im Dritten Reich. Erster Teil: Die Ausschaltung der jüdischen Autoren, Verleger und Buchhändler. Frankfurt am Main 1979 (Separatdruck aus: Archiv für Geschichte des Buchwesens; Bd. 20, 1979). Zweiter Teil. Salman Schocken und sein Verlag. Frankfurt am Main 1982 (Separatdruck aus: Archiv für Geschichte des Buchwesens, Bd. 22, 1981)

Volker Dahm: Das jüdische Buch im Dritten Reich. 2. überarbeitete Auflage, C.H. Beck-Verlag, München 1993

Vorankündigung

Das Buch wird ein Kapitel über Salman Schocken als Kaufhausunternehmer und Verleger im Überlieferungszusammenhang enthalten

Johannes Eichenthal: Literarische Wanderung durch Mitteldeutschland. Von Landauer bis Gundermann. Sprache und Eigensinn 3. Mironde-Verlag 2024: https://buchversand.mironde.com/p/literarische-wanderung-durch-mitteldeutschland-von-landauer-bis-gundermann-sprache-u-eigensinn-3

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

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