Rezension

WINCKELMANN IN NÖTHNITZ UND DRESDEN

Klaus-Werner Haupt nahm das 275. Jubiläum des Dienstantritts Johann Joachim Winckelmanns bei Reichsgraf Heinrich von Bünau auf Schloss Nöthnitz bei Dresden zum Anlass, um in einem Buch an Leben und Werk des großen Historikers und Altertumsliebhabers zu erinnern. Schwerpunkte sind dabei Winckelmanns Tätigkeit als Gelehrter und Bibliothekar in Nöthnitz und Dresden, sowie Leben, Wirken und die Bibliothek des Reichsgrafen Heinrich von Bünau. Der heutige Eigentümer des Schlosses, Jan David Horsky, dokumentiert vorbildlich nüchtern das Schicksal des Schlosse ab 1797. Die Vertreterin der „Freunde des Schlosses Nöthnitz e.V.“, Irmela Werner, berichtet über die Aktivitäten des Vereins, um die Erinnerung an den besonderen historischen Ort lebendig zu halten. Ausgewählte biographische Daten Winckelmanns und von Bünaus, ausgewählte bibliographische Angaben Winckelmanns, Literaturverzeichnis und Personenregister ergänzen die Publikation.

Haupt schildert ausführlich den Gang der Bewerbung Winckelmanns beim Reichsgrafen Heinrich von Bünau (1697–1762) im Jahre 1748. Er wurde eingestellt für Recherchen zu einer Geschichte des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Graf Bünau hatte bereits vier Bände veröffentlicht. Er verfügte auf Schloss Nöthnitz über eine der größten privaten Universalbibliotheken Deutschlands. Nach seinem Tod wurden 42.139 Bände an das Kurfürstentum Sachsen verkauft. Graf Bünau war ein praktisch tätiger Mann, der wissenschaftlich reflektierte. Vielleicht vergleichbar mit Christian von Boineburg (1622–1672), dem Förderer Gottfried Wilhelm Leibniz’ (1646–1716). Aber Winckelmann hielt es nicht lange in Nöthnitz aus.

Haupt beschreibt anschaulich, dass die Dresdner Kunst- und Skulpturensammlung Winckelmann magisch anzogen. Warum? Im Rückblick auf  sein Hallenser Ästhetik-Studium bei Alexander Gottlieb Baumgarten (1714–1762), dem jüngeren Bruder Siegmund Jakob Baumgartens (1706–1757), moniert Winckelmann, dass sie nur aus Bücher gelernt hätten und kein einziges Kunstwerk im Original sahen. Das war der Punkt. Winckelmann erkannte früh, dass die Skulptur selbst den Raum schafft, nicht nur im Raum steht. Deshalb ist der Anblick des Originals unverzichtbar.

Die Bekanntschaft mit Gelehrten, Geistlichen und Politikern in Dresden stellt Haupt ausführlich dar. Wichtige Personen werden mit einer Kurzbiographie vorgestellt.

Haupt beschreibt die Zweifel und Querelen, die Winckelmann aufgrund seiner Sehnsucht nach Griechenland erleiden musste. Aber seine Forschungsposition zwang ihn zu dieser Reise, Griechenland war jedoch durch die osmanische Besatzung unerreichbar. So blieben nur Italien und Rom als Ziel.

Winckelmann-Denkmal in Stendal. Abbildung aus dem Winckelmann-Kapitel der Literarischen Wanderungen durch Mitteldeutschland. Sprache und Eigensinn 1. Von den Minnesängern bis Herder. Mironde-Verlag 2019; ISBN 978-3-96063-025-8

Es ist heute unstrittig Winckelmann als Begründer der modernen Archäologie zu bezeichnen. Hier wäre vielleicht auf eine Verbindung zu dem in Chemnitz geborenen Christian Gottlob Heyne (1729–1812) hinzuweisen, der nicht einmal mit einer Kurzbiographie bedacht wurde. Heyne übte an der Universität Göttingen über mehrere Jahrzehnte die Funktionen des Leiters des Philologischen Seminars, des Chefs der Universitätsbibliothek, des Chefs der wissenschaftlichen Zeitschrift und des Sekretärs der Akademie aus. Heyne gilt als Begründer der universitären Archäologie-Ausbildung in Deutschland. In Heynes Erinnerungen waren die Begegnungen mit Winckelmann in der Brühlschen Bibliothek in Dresden angenehm. Aber nicht nur Heyne reichte bei der Kasseler Akademie eine Lobrede auf Johann Joachim Winkelmann ein. Die zweite eingereichte Lobrede auf Winckelmann stammte von Johann Gottfried Herder (1744–1803). Für Herder war Winkelmann gerade der Begründer der Historizität, der die Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit der griechischen Kultur darzustellen vermochte. Winckelmanns Methode richtete sich auf das Besondere. Das Schöne ist kein „Durchschnittswert“, wie es Immanuel Kant glaubte, sondern die Einheit der Mannigfaltigkeit. Das hat nichts mit „Idealisierung“ zu tun. Eine Wissenschaft, die das Besondere nicht erfassen kann, die ist keine. (Johann Gottfried Herder)

Winckelmanns Hauptwerk „Geschichte der Kunst des Altertums“ von 1764 liegt heute in zahlreichen Ausgaben vor. Auch antiquarisch ist es erhältlich. Man liest dieses Grundlagenwerk der Kunst- und Menschheitsgeschichte am besten auf Schloss Nöthnitz.

Johannes Eichenthal

Information

Klaus-Werner Haupt: Ich bin recht wohl hier aufgenommen worden. Johann Joachim Winkelmanns Wirken auf Schloss Nöthnitz und in Dresden. Bertuch-Verlag, Weimar 2023. 104 S., 15,00 Euro

ISBN 978-3-86397-170-0

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

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