Der Maler und Grafiker Carl-Heinz Westenburger wäre am 5. September 100 Jahre alt geworden. Die Sammlung Erzgebirgische Landschaftskunst ehrte ihren Initiator und Mitbegründer aus diesem Anlass mit einer großen Ausstellung, die vom 14. Juni bis zum 27. Oktober 2024 gezeigt wurde. Zum Ausstellungsabschluss präsentierte die Galerie im Rittersaal des Schlosses Schlettau drei Filme, in denen die Erinnerung an den Meister befördert wird.
Alexander Stoll begrüßte die Gäste und lud zu einem Film des Erzgebirgsfernsehens aus dem Jahre 1994 ein. In dem sorgfältig vorbereiteten und bearbeiteten Film kam Westenburger ausführlich zu Wort, die Kamera stellte uns in aller Ruhe das Atelier und einzelne Arbeiten vor Augen, die unsichtbare Sprecherin informierte den Zuschauer über wichtige Lebensdaten und Werke. Der zweite Film stammte vom Galeristen des Annaberger Kunstkellers, Jörg Seifert. Er begleitetet mit der Kamera im Winter und im Frühling Westenburger durch den Garten. Westenburger ließ dabei seine Freude am Leben von Pflanzen und Tieren erkennen, machte auf diese oder jene Pflanze aufmerksam, die er aus dem Wald gerettet hatte oder von einer Reise mitbrachte.
Den dritten Film stellte Prof. Eberhard Görner, der eigens dafür anreiste, vor. In dem Dokumentarfilm, der für den MDR gedreht wurde, geht es um die in Annaberg-Buchholz geborenen Brüder Heinrich (1854–1918) und Rudolf Köselitz (1861–1948). Heinrich Köselitz wurde Komponist und begeisterte sich für das Schaffen Friedrich Nietzsches (1844–1900). Zeitweise wirkte er als Nietzsches Sekretär. Er war einer der wenigen, die Nietzsches Handschrift entziffern konnten. Nietzsche, der sich als Künstler fühlte, mochte den Künstler Köselitz. Die Kunst war das verbindende Moment. Nietzsche gab Köselitz den Namen »Peter Gast«, den jener auch annahm. Nach dem geistigen Zusammenbruch Nietzsches gehörte Gast zu dem Kreis, der versuchte »Nietzsches Werke letzter Hand« herauszugeben. In der Auseinandersetzung von Köselitz mit Nietzsches Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche wurde bereits der Gegensatz von wortgetreuer, bearbeiteter und historisch-kritischer Wiedergabe des Textes deutlich. 1910 kehrte Köselitz desillusioniert nach Annaberg zurück und veröffentlichte unter dem Pseudonym »Peter Schlemihl« Lyrik und Prosa, zum Teil in Mundart. Rudolf Köselitz wurde Maler und lebte in München. Eberhard Görner ließ in seinem bekannten Interview-Stil Carl-Heinz Westenburger zu Wort kommen. Der Zuschauer hört nicht die Fragen, er sieht auch nur den Interviewpartner. Man hat den Eindruck selbst mit Westenburger zu sprechen. Und es zeigt sich, dass der Maler und Grafiker das Werk von Heinrich und Rudolf Köselitz kennt und schätzt. Man hört nahezu, wie Westenburger zu den Brüdern Köselitz, frei nach Schiller sagt: »Gewähret mir die Bitte, ich sei mit Euch im Bund der Dritte!«
Die Werkausstellung Westenburgers war auch an diesem Tag zu sehen. Beim Durchgang erinnern wir uns noch einmal an den Lebensgang. Er wurde am 5. September 1924 geboren und besuchte nach der Schule eine Meisterschule für Dekorationsmaler in Magdeburg. Er überlebte die Einberufung zur Wehrmacht und den Einsatz als Soldat im Weltkrieg. Endlich konnte er in seinem Beruf arbeiten. Von 1951–1957 studierte er an der Hochschule für angewandte Kunst in Berlin-Weißensee, u.a. bei Arno Mohr und Theo Balden. 1957 absolvierte er mit seinem Studienfreund Dieter Gantz ein Praktikum bei der Wismut AG. 1957 schloss er mit einem Diplom in Tafelmalerei und angewandter, baugebundener Kunst ab. Seit 1957 ist er freischaffend tätig.
Waldmensch (Auszug)
Seit Anfang der 1960er Jahre engagierte er sich für Natur- und Denkmalschutz. Von 1959–1963 bildete er eine Werkstattgemeinschaft mit Rudolf Manuwald. Seit 1962 war Westenburger auch in der Lehre tätig. Von 1965–1986 engagierte er sich als Sektionsleiter Malerei und Grafik im Verband Bildender Künstler.
Selbstporträt (Auszug)
1989 wurde ihm, gemeinsam mit Carlfriedrich Claus, in Zwickau der Max-Pechstein-Preis verliehen. 2002 wurde Westenburger Ehrenmitglied des Annaberger Kunstkellers.
Dieter Gantz: Porträt Carl-Heinz Westenburger (Auszug)
2003 war er Initiator und Mitbegründer der Sammlung Erzgebirgische Landschaftskunst in Schlettau.
Carl-Heinz Westenburger verstarb am 5. Mai 2008 in Obertannenberg.
Kommentar
Das von Westenburger und Steffen Meyer entwickelte Konzept der Landschaftskunst hat sich bewährt. Die Landschaft, die Natur der Erzgebirgsregion ist der gemeinsam Nenner und zugleich der entscheidende Einfluss. Im Interview mit dem Erzgbirgsfernsehen machte der Meister deutlich, dass für ihn die Landschaft ein Lebewesen ist, dass sie eine Physiologie besitzt. Andererseits ist das Konzept offen für diese oder jene Erweiterung. Letztlich wird das Konzept auch angenommen. Seit 2003 kommen immer mehr Künstlernachlässe und Dauerleihgaben nach Schlettau. Was will man mehr?
Insofern war der Filmabend vom 25. Oktober der »i-Punkt«. Carl-Heinz Westenburger und Heinrich Köselitz machen deutlich, dass Heimatverbundenheit und Weltbürgertum zusammengehören. Wer keine Heimat hat, der kann auch kein Weltbürger sein und umgekehrt.
Den Organisatoren und Aktiven gebührt Dank.
Johannes Eichenthal
Information
Die Vorstellung der Neuerwerbungen erfolgt am 15. November 2024 in der Sammlung Erzgebirgische Landschaftskunst im Schloss Schlettau, Schlossplatz 8, 09487 Schlettau.
https://www.erzgebirgische-landschaftskunst.de/de
Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.
Großartig!
Meine Ehefrau (Dr. Helga Bonitz / geb. Kutter) war sehr stolz darauf, Schülerin von Karl-Heinz Westenburger gewesen zu sein.
Ich hatte das Glück, dass ich Carl-Heinz Westenburger mehrfach fotografieren durfte. Das geschah bei seine Ausstellungen oder auch bei Veranstaltungen von Künstlerkollegen. In Erinnerung geblieben sind mir ferner die Besuche in seinem Atelier oder die Rundgänge gemeinsam mit seiner Frau im Garten des Ehepaars. Die Einblicke in sein künstlerischen Schaffen waren für mich stets beeindruckend. Gern lauschte ich auch seine Erzählungen.