Technologie

Die BuchWien 2012

Am 22. November eröffnete die 5. Buchmesse in Wien ihre Tore für das Publikum. Bereits seit dem 19. November fand eine Lesefestwoche in Buchhandlungen und Kultureinrichtungen statt. Eröffnet wurde die internationale Veranstaltung am Abend des 21. November in der Messehalle. Die Kultusministerin Claudia Schmied und der Präsident des Hauptverbandes der österreichischen Buchhändler Gerald Schantin begrüßten die Gäste.

Der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny stellte eine Verbindung zwischen Bildung, Lesen und Buch her. Das Buch sei einerseits ein Wirtschaftsgut und andererseits ein Kulturgut. Die Stadt versuche das Kulturgut zu stärken und habe deshalb ihre Unterstützung der Messe in diesem Jahr erhöht.

Bundespräsident Heinz Fischer betonte in seiner Ansprache, dass für ihn ein guter Tag mit einem Buch beginne und auch mit einem Buch ende.

Die eigentliche Festansprache hielt der erfolgreiche Chemiker und Autor Carl Djerassi. Er musste als 13-jähriger Wien verlassen, weil seine Familie und er als »Juden« eingestuft wurden. Aus Djerassis Worten wurde deutlich, dass er sein Leben lang fragte, wer die Anführungszeichen setze. Hier flocht er ein Zitat von Karl Luger ein: »Wer Jude ist, bestimme ich.« Seine Familie, so Djerassi, habe keiner jüdischen Religion mehr angehangen und sich den Traditionen Wiens angepasst. Man spreche auch von »Weihnachtsbaumjuden«. Dem Anschein konnte Djerassi bis heute nicht begreifen, warum man ihn seinerzeit vertrieb. Nach seiner Flucht in die USA habe er 15 Jahre kein Deutsch mehr gesprochen. Heute wisse er nicht, ob er nun ein amerikanischer Wiener oder ein Wiener Amerikaner sei. Abschließend bedankte er sich für die Einladung, setzte aber hinzu: »vor 15 Jahren wäre ich nicht gekommen«.

Am 22. November stellten die beiden Autoren Prof. Dr. Karin Heinrich (li.) und Dr. Steffen Heinrich (re.) ihr eben bei mironde.com erschienenes Buch »Stromgewinnung mit Klärgas. Das Stirling-Kraftwerk.« im Forum der Messe vor.

Auf die Frage des Moderators antwortete Dr. Steffen Heinrich, dass bisher kein leistungsfähiger Stirling-Motor mit einem industriell anfallenden Gas betrieben werden konnte. Der Stirling-Motor in der zentralen Kläranlage des Zweckverbandes Frohnbach in Niederfrohna laufe seit zwei Jahren im Dauerbetrieb und leiste 35 kW. Insofern sei es der weltweit erste leistungsfähige Stirling-Motor, der mit Klärgas erfolgreich im Dauerbetrieb laufe.

Auf die Frage, ob die gewonnenen Leistungswerte aus theoretischer Sicht überraschend seien, antwortete Prof. Dr. Karin Heinrich, dass die Werte den Erwartungen entsprachen, die in der Theorie formuliert wurden. Aber weder ein Hersteller noch eine Universität vermochten bisher ein leistungsfähiges Stirling-Kraftwerk mit Klärgas in den Dauerbetrieb zu führen.

Dem Buch ist ein Motto von Gustav Albert Werner vorangesetzt: »Was nicht zur Tat wird, hat keinen Wert.«

Am Nachmittag des 22. November stellte sich der syrische Erzähler Rafik Schami auf der Bühne des ORF den Fragen des Moderators. Aus seiner Feder stammt auch ein Buch, das in diesen Tagen kostenlos in der Stadt verteilt wurde. Schami erzählte, dass er zurück zu den Wurzeln der arabischen Literatur gegangen sei, um sich den Fragen unserer Zeit zu stellen. Dabei bezog er sich auf Luther, der auch zu den Wurzeln des Christentums gegangen sei, um die Reformation zu begründen. Wichtig für das Erzählen, so Schami, sei das Zuhörenkönnen.

Auch nach dem offiziellen Schluss der Messe ging es in diesen Tagen weiter um Bücher. In der Spätschicht der A-Null-Bausoftware am Mittersteig 10 stellte der gelernte Bauingenieuer und ausgewiesene Software-Experte Bernhard Binder (2. v. li.) sein neues, bei mironde.com erschienenes, Handbuch »ARCHICAD-BIM-Modelling und Dokumentation« vor. Junge Architekten aus ganz Europa waren in dieser Runde versammelt. Als Laie konnte man nur ahnen, dass sich mit diesem Werkzeug die Tätigkeit des Architekten grundlegend verändert. Eine Person kann damit Großprojekte gestalten und mit den wichtigsten Partnern gleichzeitig am konkreten Projekt zusammenarbeiten. Diese Technologie eröffnet dem Architekten wieder den Freiraum, den er für seine eigentliche Entwurfsarbeit braucht. Wahrscheinlich wird diese Softwaregeneration einen Paradigmenwechsel in der Architektur herbeiführen, ähnlich dem Übergang von Hand- auf computergestützte Zeichnung vor 25 Jahren. Zumindest fühlte es sich an diesem Abend, unter den vielen jungen Leuten so an. Oder lag es an dem guten Wein, der hier ..? Der Abend endete, das ist hier so Brauch, bei einem gemeinsamen Essen in einer der vielen guten Beissl.

Die Kinder hatten auf dieser Messe eine eigene Bühne. Nicht nur ein König trat hier auf, auch Rafik Schami, Ottfried Preußler, Hans de Beer u.a.

 

Bernhard Siller (re.) bot auf der Messe originelle Buchstützen mit den Köpfen geistiger Größen an. »Er habe«, so der Künstler, »die Geistesgrößen dieser Welt auf das Format des deutschen Wohnzimmers gebracht …«

Am 24. November stellte im Forum der Messe der katholische Dissident und ehemalige Theologie-Professor Hubertus Mynarek sein neues Buch »Luther ohne Mythos. Das Böse im Reformator.« vor. Mynarek war von 1968–1972 Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Wien. 1972 trat er aus der katholischen Kirche aus. Es wurde ihm die Lehrerlaubnis entzogen, man strengte Prozesse gegen ihn an usw. usf. In seinem Habitus ist heute noch eine gewisse Verbitterung und Enttäuschung zu lesen. In seinem neuen Buch kritisierte er dieses Mal aber nicht die katholische Kirche, sondern er versuchte den protestantischen »Mythos Luther« zu »entzaubern«. In der Folge listete er alle möglichen Schwächen im Lebenswandel Luthers auf, um zu begründen, dass es 1517 gar keine Reformation gewesen sei. Die gewählte Methode verwunderte uns etwas. Als Theologe hätte er wissen müssen, dass ein Mythos nicht durch Fakten widerlegt werden kann. Zudem muss sich die theoretische Kritik, will sie Moralisieren vermeiden, auf das Werk richten, nicht auf Lebensweise und Gesinnung des Autors. Schade. Gerade angesichts der Instrumentalisierung Luthers als »Spektakel«, die bis 2017 noch manche »taube Blüte« hervorbringen wird, wäre eine nüchterne Stimme wichtig gewesen.

Auf der Bühne des ORF nahm an diesem Nachmittag Martin Walser Platz. Sein neues Buch »Das dreizehnte Kapitel« stellt den Briefwechsel zwischen einem katholischen Schriftsteller und einer protestantischen Theologie-Professorin in den Mittelpunkt. In einer wohltuenden Sprache, mit angenehmer Melodie, plauderte Walser mit der Moderatorin. Er sei in einer katholischen Umgebung aufgewachsen. Dies sei ein tolles Trainingsgelände für die Seele gewesen. Er habe sich für die Beichte, und das für die Absolution erforderliche Bereuen, immer etwas ausdenken müssen, um sich zu rechtfertigen. Um die sprachliche Rechtfertigung gehe es ihm. Manche Leute glaubten, sie brauchten diese nicht. Aber auch Liebe sei im Wesen abhängig von Sprache. Der Rest, so Walser, sei Gymnastik.

An dieser Stelle entspann sich ein Diskurs über das Verhältnis von Verrat und Betrug. Betrug, so Walser, sei körperlich, Verrat dagegen seelisch.

Mit der Seele war er bei seinem zentralen Gegenstand angekommen. Er habe, so Walser, ein Sachbuch der Seele geschrieben. Die heutige Einteilung in Belletristik und Sachbuch sei nicht förderlich. Es habe einmal eine Zeit gegeben, in der Theologie und Literatur ein-und-dasselbe gewesen seien. Er denke hier an die Psalmen, das Weihnachtsoratorium u.a. Er finde es bedauerlich, dass die Disziplinen sich so auseinander entwickelten. Er sei es aber auch müde, in den Diskussionen Recht haben zu müssen. »Nichts«, so Walser, »ist ohne sein Gegenteil wahr«. Von der Genesis bis ins 20. Jahrhundert habe es großartige Menschen gegeben, die ohne Rechtfertigung nicht leben konnten. Heute gebe es Menschen, die glaubten, weil es ihnen persönlich gut gehe, ohne Rechtfertigung leben zu können.

Am 25. November stellte der Journalist Ari Rath auf der Bühne des ORF sein neues Buch »Ari heißt Löwe. Erinnerungen.« vor . Rath war im 9. Wiener Bezirk, in der Porzellangasse, in einer großbürgerlichen Familie aufgewachsen. Obwohl die Familie jüdischer Herkunft gewesen sei, wurde der Vater kein Zionist. Er kaufte kein Land in Palästina. Nach dem frühen Tod der Mutter und der Verhaftung des Vaters floh er mit 13 Jahren aus Wien. Am 1. November 1938 verließ er gemeinsam mit seinem Bruder den Hafen von Triest per Schiff in Richtung Palästina. Auf die Frage der Moderatorin antwortete Rath, dass er damals in Palästina eine jüdische Heimstätte schaffen wollte. Darüber, wem das Land dort gehörte, habe er sich keine Gedanken gemacht. Solche Gedanken seien erst später gekommen. So habe der ihm nahe Politiker Ben Gurion bereits 1970 den Rückzug aus den besetzten Gebieten gefordert. Das, was zur Zeit in Israel passiere, mache ihn traurig. Sein sehnlichster Wunsch sei Frieden. In Wien fühle er sich mittlerweile wieder zu Hause.

Am Nachmittag trat die österreichische Verleger-Legende Lojze Wieser (2. v. li.) aus Klagenfurt auf. Allerdings las er nicht, sondern kochte nach seinem neuen Buch »Anders Kochen«. Stefan Gmünder, der Literaturchef des Wiener »Standard« (ganz li.) assistierte ihm dabei. Wieser demonstrierte, wie man improvisiert, und aus dem was man hat, ein originelles Menü zaubern kann, auch ohne Kochbuch!? Aus Wiener Sicht war diese Veranstaltung möglicherweise der eigentliche Höhepunkt der Messe.

Gegen 17.00 Uhr schloss sich die Tore der Messe. Die Buch-Lese-Tage gingen zu Ende. Preisverleihungen, Auszeichnungen, Besucheransturm und Signierstunden, hier sagt man statt Signieren »Bemalen«, lagen hinter uns. Der Alltag verlangte seine Rechte wieder. In den Verlagen hatten sich die Bestellungen gehäuft, die ausgeliefert werden wollten. Die Besucher hatten sich mit Büchern eingedeckt, die gelesen werden wollten.

Kommentar

Am folgenden Montag, dem 26. November, wurde in Wien ein Zentrum für interreligiösen Dialog eingeweiht. Der UNO-Generalsekretär reiste an. Kirchenführer aus der ganzen Welt nahmen teil. In Wien gehören solche Ereignisse zum Alltag.

Nach 1990 hat Wien auf neue Weise wieder die Rolle in Europa eingenommen, die es bis 1914 spielte. Wien ist der eigentliche Mittelpunkt Europas und ein wichtiger Pfeiler der Brücke zum Mittelmeerraum und zum Orient.

Nach Jahrzehnten der Teilung in West- und Osteuropa fällt es der alten Generation von Entscheidungsträgern immer noch schwer, diese neue Lage zu konstatieren. Aber die in Gang gekommenen Veränderungen im Mittelmeerraum wurden durch Jugendaufstände ausgelöst, weil die alte Generation nicht abtreten will. Verantwortungsvolle Politik muss den Generationswechsel befördern. Dafür braucht es den Respekt und das Miteinander der Generationen, sollen die Veränderungen dauerhaft und stabil sein. Die junge Generation will ihren eigenen Weg auf neue Weise gehen. Dazu gehört, dass sie auch ihre eigenen Fehler machen möchte. Das ist legitim. Aber die alten Generationen können wichtige Erfahrungen beisteuern. In den Büchern findet sich das Wissen der vergangenen Generationen. Diese Tradition muss sich jede neue Generation neu aneignen, wenn ihr eigener Weg erfolgreich sein soll. Einseitiges Beharren auf Rechthaben ist hier in der Konsequenz genau so »Haschen nach Wind«, wie ein völliger »Bruch« mit der Vergangenheit.

Der Wandel ist es, der Europa und den Mittelmeerraum in den nächsten Jahrzehnten prägen wird. Bücher können Brüche in diesem Wandel verhindern helfen.

Vielleicht spielt auf der nächsten Buchmesse in Wien das Thema Zukunft, Technologie, alternative Energie und Jugend eine größere Rolle für einen intergenerationären Dialog?

Wien, eine Stadt, in der man selbst zum gigantischen Riesenrad »Radl« sagt,  wäre dafür der geeignete Ort.

Johannes Eichenthal

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert