Reportagen

Zukunft und Buch

Der 19. Oktober 2013 ist ein sonniger Herbsttag. Unser Ziel heißt Leipzig. Die alte Buchhandelsstadt. Wir verlassen die Autobahn an der Abfahrt Südost und fahren Richtung Stadtzentrum. Am Stadtrand sehen wir Marschkolonnen von Infanterie-Soldaten, es kann ja nur die Bundeswehr sein. Oder nicht? Allerdings tragen sie völlig neuartige Uniformen. Keine Tarnflecken, sondern Schockfarben. (Diese Psychologen!) Auch die Waffen sind dem Anschein nach neuartig. Alles viel größer und länger als früher. Der Krieg drängt immer zur modernster Zerstörungsform. Ist das der Fortschritt?

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Im Haus des Buches bauen dagegen fleißige Verlegerinnen und Verleger etwas auf.
Hier findet heute das Fest sächsischer Verlage statt.

 

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Die Vertretung der Evangelischen Verlagsanstalt aus Leipzig.

 

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Hier der Verleger der Edition Hamouda aus Leipzig, einem Verlag der sich dem arabisch-europäischen Kulturdialog verschrieben hat.

 

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Im Lesecafé treten verschiedene Autoren auf. Hans Brinkmann liest Auszüge aus seinem neuen Gedichtband »Despotie«. Rechts neben ihm sein Verleger Lutz Graner.

 

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Prof. Klaus Schumann stellte das neue, im Leipziger Universitätsverlag erschienene, und von ihm herausgegebene Buch »Literaten kontra Patrioten. Das kulturelle Leipzig im Gedenkjahr 1913« vor.

 

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Utz Rachowski liest aus seinem neuen Gedichtband »Miss Suki – oder Amerika ist nicht weit.«

 

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Michael Hametner, der Literatur-Fachmann des Kulturradiosenders MDR-Figaro, begrüßt um 13.30 Uhr vier Gesprächspartner zu einer Diskussion über die Zukunft des Buches. Neben ihm Monika Osberghaus (Klett Kinderbuchverlag, Leipzig), Andreas Heidtmann (Poetenladen Verlag, Leipzig) Dr. Andreas Eichler (Mironde-Verlag, Niederfrohna) und Klaus Schöffling (Verlag Schöffling & Co, Frankfurt/Main).
Das Thema der Podiumsdiskussion lautete »Zukunft Buch. Die Verlagslandschaft zwischen Bücherflut und Novitätenbremse, E-Book und Selbstverlegen.«
Michael Hametner stellte zunächst die Teilnehmer der Diskussion vor. Frau Osberghaus war früher Literaturkritikerin und schrieb Rezensionen für die FAZ. Andreas Heidtmann ist studierter Pianist. Meinen Chef Andreas Eichler kennen ja die Leser dieser Zeitschrift.

 

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Klaus Schöffling ist eine Verlegerlegende, der die Buchbranche kennt, wie kaum ein anderer.
Zunächst verweist Hametner darauf, dass nach offiziellen Angaben 2012 etwa 91.000 Neuerscheinungen auf den deutschen Buchmarkt kamen. Das sei seit 2005 der niedrigste Wert. Dabei habe es einmal eine Selbstbeschränkung der Verlage auf maximal 60.000 Neuerscheinungen gegeben. Aber selbst die 91.000 Neuerscheinungen von 2012 seien nicht mehr zu überschauen. »Wir alle hier«, so Hametner »glauben ja an die Zukunft des Buches«. In der Tat verlegt man ja nur Bücher, wenn man an die Zukunft des Buches glaubt. Er wolle gern von den Verlegern wissen, was diese von der Zukunft des Buches hielten.
Monika Osberghaus antwortet, dass es jährlich etwa 8000 neue Kinderbücher gäbe. Ihr Verlag brächte etwa 15 heraus.
Andreas Heidtmann meint, dass es angesichts der Masse von Neuerscheinungen für kleine Verlage immer schwieriger werde ihre Bücher an das Publikum zu bringen.
Michael Hametner bittet Andreas Eichler einen Ausschnitt aus dem Dialogband »Innokonservation« zu lesen, in dem der Umgang mit der Bücherflut diskutiert wird.
Klaus Schöffling antwortet, dass es schon einmal eine Diskussion um den Niedergang des Buches gegeben habe als das Hörbuch eingeführt wurde. Aber auch die neuen elektrischen Lesegeräte könnten das Buch nicht ersetzen. Er rechne damit, dass die wichtigsten Veränderungen sich im Handel ereignen werden. Als Verleger bleibe einem nur die Bewahrung des Eigensinns als Maxime.
Auf die Frage von Hametner, was sich in den letzten 25 Jahren gravierend verändert habe, antwortet Schöffling, dass vor 25 Jahren Literatur noch als Kunstform gegolten habe. Heute dürfe man den Marketing-Leitern großer Verlage nicht mehr mit dem Wort »Kunst« kommen. Dort sei das Buch zu einem Marketing-Artikel gemacht worden.
Entgegen dem Anschein seien aber heute eher größere Verlage in Gefahr, weil bei Ihnen die Herstellung umständlicher und aufwändiger erfolge. Wir, so Schöffling, können uns ein anspruchsvolles Programm leisten, weil wir anders »ticken« als die Großen.
Michael Hametner fragt darauf, was für die Entscheidung zu einem Buch-Verkaufserfolg hineinspiele.
Monika Osberghaus antwortet, dass sie es nicht wisse. Sie habe den Eindruck gehabt, dass es viele langweilige Kinderbücher gegeben habe. Sie habe gute Kinderbücher vermisst und deshalb begonnen selbst welche zu verlegen.
Andreas Heidtmann meint, dass der Erfolg eines Buches schwer vorhersehbar sei. Kleine Verlage könnten sich keine teuren Werbekampagnen leisten. Man müsse sich auf seine Intuition verlassen.
Andreas Eichler verweist auf grundlegende, allgemeine Voraussetzungen (Verlagsname, Aufbau von Buchreihen) für den außergewöhnlichen Erfolg des einzelnen Buches. Der Mironde-Verlag stütze sich auf gut gestaltetet, sinnvoll illustrierte und auch Laien verständlich Fachbücher. Das Kleinkläranlagen-Handbuch sei solch ein gut verkauftes Buch, mit dem man die unsinnige Grenze zwischen dem schönen Buch und dem Fachbuch überschritten habe.
Michael Hametner spricht darauf Klaus Schöffling auf seinen erfolgreichen Katzenkalender an. Schöffling antwortet, dass diese Kalender bereits seit Jahren Verkaufserfolge seien. Damit könne er z.B. im nächsten Jahr vier Lyrik-Bände veröffentlichen.
Hametner will wissen, wie kleine Verlage ein Buch »auffällig« machen?
Monika Osberghaus antwortete, dass der Leser einen besonderen Eindruck gewinnen müsse, wenn er das Buch aufschlage.
Michael Hametner fragt, ob Literaturpreise eine verkaufsfördernde Wirkung hätten. Klaus Schöffling antwortet, dass das ja der ganze Sinn von solchen Preisen sei. Allein wenn ein Buch auf die Kurzliste des deutschen Buchpreises käme, könne man Verkaufszahlen im ordentlichen fünfstelligen Bereich erwarten. Der Preis selbst bringe Verkaufszahlen im sechstelligen Bereich.
Auf Hametners Frage nach den Folgen zunehmender Fusionen von Großverlagen antwortet Andreas Heidtmann, dass dies auch eine Chance für kleine Verlage sei. Bei solchen Fusionen fielen mitunter gestandene Autoren aus der Verlagsbindung heraus.
Die Konzernverlage kalkulierten jedes Buch einzeln, Lyrik rechne sich aus solcher Sicht nicht.
Michael Hametner fragt Klaus Schöffling ob er Verständnis für die Praxis aufbringen könne, dass große Verlage Autorenverträge nach zwei bis drei Büchern ohne Verkaufserfolg aus dem Vertrag entließen?
Schöffling antwortet, dass er etwa 30 Bücher pro Jahr herstellen könne. Mehr sei nicht möglich. Er erhalte aber Angebote von immer mehr Autoren. In seinem Verlag könnten die Autoren noch mitreden. Dem Anschein nach schätzten Autoren zunehmend einen überschaubaren Verlag höher als einen einst berühmten Verlagsnamen.
Schließlich will Michael Hametner die Haltung der Verlage zum E-Buch wissen.
Monika Osberghaus sagt, dass sie die Kinderbücher nicht als E-Buch anbietet.
Andreas Heidtmann antwortet, dass das E-Buch keine Alternative zum gut gemachten Buch sei. Er fügt aber später an, dass sein Verlag von allen Büchern auch E-Buch-Varianten herstellt, außer von Gedichtbänden.
Andreas Eichler antwortet, dass das E-Buch das Taschenbuch des 21. Jahrhunderts werde. Man könne sich dem Thema nicht verweigern. Im Mironde-Verlag habe das Fachbuch Priorität. Dort sei man noch in der Experimentalphase, weil das E-Buch eine völlig neue Struktur verlange.
Klaus Schöffling antwortet, dass alle Novitäten auch als E-Buch hergestellt würden. Die Liste lieferbarerer Titel sei zu 70 bis 80 Prozent als E-Buch verfügbar. Im nächsten Jahr sollen alle Titel als E-Buch lieferbar sein. Er wundere sich auch darüber, dass die E-Bücher seit etwa fünf Jahren erstaunlich gut verkauft würden. Der Umsatz von E-Büchern mache etwa 10 Prozent des Verlagsumsatzes aus. Die E-Buch-Entwicklung vollziehe sich aber zu Lasten der Taschenbücher.
An dieser Stelle thematisiert Michael Hametner die Nachteile von E-Büchern.
Hier herrscht große Einigkeit. Andreas Eichler fällt etwas aus dem Rahmen, indem er auf den Zusammenhang von Gefährdung des Buches und unserer Lebensweise verweist. Das Buch könne nicht nur Kommunikation befördern, sondern auch zur Meditation anregen. Mitunter glaubten wir in unserer modernen Welt, dass wir uns Meditation aus Gründen der Effizienz nicht leisten könnten. Das sei zu kurz gedacht. der Zisterzienser-Orden habe zum Beispiel im Erzgebirge des 12./13. Jahrhunderts wichtige Technologien auf Weltniveau eingeführt. Die einzelnen Ordensmitglieder praktizierte die Einheit von körperlicher Arbeit, geistiger Arbeit und Meditation. So habe man neben der Seelsorge auch die Literatur der Antike überliefert, Erzlagerstätten erkundet und erschlossen, Wasserkraft nutzbar gemacht usw. usf. Ein guter Text mit assoziationsreicher Sprache sei auch heute zur Meditation geeignet. Ein gutes, traditionell gemachtes Buch sei ideal. Aber auch ein Text auf einem E-Buch eigne sich, wenn es ein guter Text sei.
Abschließend will Michael Hametner wissen, wie es um das Buch im Jahre 2050 stehen werde. Monika Osberghaus und Andreas Heidtmann äußern sich optimistisch.
Andreas Eichler antwortet, dass sich die ganze Welt in einem Umbruch befinde. Im Buch konzentriere sich das Schicksal unserer Kultur. Daher sei es wenig wahrscheinlich, dass der Umbruch keine Folgen für das Buch haben werde. Auch kulturelle Verluste seien denkbar. Im einzelnen wisse er aber nicht, wie die Lage um 2050 sein werde.
Klaus Schöffling antwortete, dass er dann 96 Jahre alt sein und dann hoffentlich einen Nachfolger gefunden haben werde. Im Großen und Ganzen werde alles so sein, wie heute. Der Buchhandel werde sich dagegen verändern. In der Frankfurter Innenstadt gäbe es schon jetzt nur noch zwei(!) Buchhandlungen.
Michael Hametner bedankte sich bei den Diskutanten und beim aufmerksamen Publikum.

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Das Fest der sächsischen Verlage klang langsam aus. Manch einer lässt sich Am Stand des Buchvolk-Verlages aus Zwickau von Ralf-Alex Fichtner porträtieren. Einige Zuhörer der Zukunft-Buch-Diskussion kommen an den Stand des Mironde-Verlages und wollen gut gelaunt »das Buch« sehen. (Sie meinen das Kleinkläranlagen-Handbuch.)

Ein sonnig-goldner Herbsttag ging zu Ende. Merkwürdig war, dass an diesem Tag erstaunlich viele Rettungswagen am Haus des Buches vorbei in Richtung Leipziger Süden fuhren. An einem solch schönen Tag. Eigenartig.
Verlegerinnen und Verleger bauten ihre Stände ab und fuhren in Richtung Heimat. Am düsteren »Völkerschlachtdenkmal« durchquerten wir in der Dämmerung eine gespenstische Menschenmasse. Mir war als ob ich auf einem Hügel einen kleinen Mann mit Napoleon-Hut sah. (Wahrscheinlich eine Täuschung. Dieser Massenmörder ist ja schon seit vielen Jahren tot. Es muss an meiner Anspannung gelegen haben. Bitte streichen Sie den Satz.)
Johannes Eichenthal

Zur Information

Das von Andreas Eichler angesprochene Kleinkäranlagen-Handbuch von Karin und Steffen Heinrich. Mironde-Verlag 2008, 23,4 x 30,5 cn, fester Einband, Fadenheftung, Lesebändchen, 69 Farbfotos, 62 farbige Abbildungen, 17 Tabellen, 1 Karte, 27 Formularvordrucke, 314 Seiten, 1,7 kg.

ISBN 978-3-937654-34-8 VP 48,00 €

Eine Beispielseite

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One thought on “Zukunft und Buch

  1. Lieber Johannes Eichenthal,

    hiermit rufe ich Ihnen zu: “ … o wie schön!!!“
    Erinnerte mich doch Ihre Reportage an einige Seminare („Moderation in Rundfunk und Fernsehen“ – heute:
    Modul „Stimme und Sprache“) , die ich vor Jahren mit meinen Studenten an der TU Chemnitz (Medien-Kommunikation) und auch an der Uni Mittweida (Medienmanagement und Medientechnik zum Thema:
    „Ist die deutsche Sprache noch zu retten?“ und „Welche Zukunft hat das Buch?“ ausgestaltet habe. –
    Selten habe ich eine so lebendige und heftige Debatte erlebt wie zu diesen Themen. Die Studenten hatten sich regelrecht „entzündet“ und zu alledem höchst produktiv diskutiert.
    Unterm Strich:
    Keiner wollte auf das gedruckte Buch jemals verzichten – schon deshalb nicht, weil man´s unterm Kopf-kissen so schön „lesen“ kann … andererseits könnten elektronische Speicherelemente die Bibliotheken enorm „entlasten“ – nicht nur räumlich, sondern eben auch im Bezug auf die Statik der Gebäude … noch
    heftiger entbrannte der Streit um die deutsche Sprache – ein „Endlos-Thema“ – aber, und das freute mich
    ganz besonders, alle haben den „Wert“, die Größe und Bedeutung der deutschen Sprache gepriesen, ihre differenzierte, nahezu grenzenlose Gestaltungs- und Ausdruckskraft – Sprache als „geistiges Signum“ der großen Kultur unserer Nation.
    Sagte doch ein Dichter: „Wäre unsere Sprache nicht das Höchste, was wir haben – ich würde die Musik noch darüber stellen!“
    Recht so, denn es ist, wie Friedrich Nietzsche meinte, gar nicht die Sprache an sich, es ist ihr Klang, ihre
    Musik! Und hinter dieser Musik steht unsere Leidenschaft und hinter dieser wiederum unsere Persönlichkeit! Oder anders gesagt: „Eine Sprache vollendet sich erst, wenn die Kraft des Geistes sich mit der Schönheit ihres Erscheinungsbildes, ihres Klangs vereint.“
    Und um nun ein ganz anderes Bild zu gebrauchen, „… eben hierzu liefert das Buch ganz Entscheidendes, das Fundament (!), auf dem sich dieses großartige Gebäude der Sprache, wie ein himmelwärts strebender Turm mit vielen Fenstern erheben kann.“

    Schönste Grüße – Ihr ars.

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