Reportagen

Die Zukunft der europäischen Stadt

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Das Institut für Europäische Urbanistik an der Bauhausuniversität Weimar hatte für den 29. und 30. Oktober zu einer Tagung mit dem Titel »Die Zukunft der Innenstädte« in das Auditorium Maximum in der Universitätsbibliothek eingeladen. Das Besondere dieser Tagung war, dass Stadtplaner, Bauamtsleiter, Bürgermeister und Vertreter der Öffentlichkeit gemeinsam die praktischen Erfahrungen im Rahmen jeweils eines Stadtprojektes vortrugen. Am 29. Oktober traten Antwerpen, Kopenhagen und Hannover unter dem Motto »Vernetzen« auf. Am Vormittag des 30. Oktober folgten Rotterdam, Köln und Dresden unter dem Motto »Erneuern«. Der Nachmittag war unter das Motto »Erweitern« gestellt worden.

Moderator Dr. Hanno Rauterberg von der Wochenzeitschrift »Die Zeit«, leitete den letzten Themenblock ein. Die Frage sei, ob es noch stimme, dass der Städtebau auch Gesellschaft »baue«. Die Städte hätten in den letzten Jahrzehnten Strukturveränderungen zu verzeichnen. Schwerindustrie, Schlachthöfe, Bahnhöfe, Häfen, Kasernen, Krankenhäuser, Flugplätze u.a. wanderten aus den Kernbereichen der Städte ab. An deren Stelle träten Erweiterungen der Innenstädte mit Wohnbebauung, Luxuswohnungen, Einzelhandel, Großmärkte u.a.

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Prof. Dr. Iris Reuther, Senatsbaudirektorin beim Senat für Umwelt, Bau und Verkehr, der Freien Hansestadt Bremen (li.), unterstützt von Tom Huber (ASTOC Architecs and Planers Köln, Mitte), referierte zum Masterplan »Überseestadt«. (Auf dem Foto re. Dr. Rauterberg.) Die Senatsbaudirektorin benannte die Ausgangsbedingungen für die Errichtung eines neuen Stadtviertels im ehemaligen Hafenbereich, beschrieb das Vorgehen über Ideenskizzen und Raumkonzepte, hob hervor, dass in so genannter »informeller Planung« versucht wird, die verschiedenen Fachplanungen zu vereinen, und fasste zusammen, dass der Rahmenplan so flexibel sein muss, dass er in Veränderung fortgeschrieben werden könne.

Auf Fragen nach besonderen Problemen antwortet sie, dass ein Hauptanliegen des Senats darin bestehe, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Dieses Ziel sei sehr schwierig zu realisieren gewesen. Eine andere Frage richtete sich nach den Nahverkehrsanbindung der Überseestadt. Die Bausenatorin antwortet, dass hier noch keine volle Anbindung realisiert sei. Es gäbe jedoch von Anfang an einen Radweg, am Wasser entlang, bis in die Innenstadt.

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Diplom-Ingenieurin Brigitte Jilka, Baudirektorin der Stadt Wien, unterstützt von Architekt Albert Wimmer (Atelier Wimmer), referierte zum Thema »Neues Stadtviertel um den Hauptbahnhof«. Die Baudirektorin begann mit einem Kartenbild, das auf die zentrale Lage Wiens im König- und Kaiserreich verwies. Wien sei immer das Reiseziel gewesen, nie bloß Durchgangsstation. Aus diesem Grunde gäbe es in Wien mehrere Kopfbahnhöfe, deren Gelände heute zum Teil für Wohnbebauung umgenutzt würden. Nach dem Ende des Kalten Kriegs begann die Einwohnerzahl Wiens wieder zu wachsen. Für 2025 sind 2 Mio Einwohner prognostiziert. Deshalb müssten jährlich 10.000 Wohnungen gebaut werden. Zwei Drittel der Wohnungen würden auf vorgesehenen Flächen neu errichtet. Ein Drittel werde durch innovative Überarbeitung des Bestandes geschaffen: Wir »repassieren« die Stadt, d.h. wir »stricken« das feinmaschige Netz weiter, ähnlich der vormaligen Reparaturtechnik für Seidenstrümpfe. Ebenso führe man auch bei Neuerrichtungen die bisherigen Strukturen der Stadt weiter, an die die Menschen in ihren Bewegungsmustern gewohnt seien. So werde die Annahme von Neuerungen erleichtert. Man betreibe eine »sanfte« Stadtplanung und erneuere »grätzlweise« (»Grätzl« ist ein Wiener Wohnquartier, das nach einem markanten Platz o.ä. benannt wird).

Albert Wimmer fügte an, dass man auch in Wien immer wieder nach Grundlagen für den Bau von bezahlbarem Wohnraum suchen müsse. Ein Kostentreiber seien ausgeuferte Normen für Wärme- und Schallschutz, die sich gegenseitig behinderten.

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Oberbürgermeisterin a.D. Dr. h.c. Petra Roth (auf dem Foto li.), unterstützt von Brigitte Holz (Büro Freischlad und Holz, Darmstadt, 2. v. li.) und Michael Heller (Projektkoordinator Albert Speer & Partner Frankfurt/Main, 2. v. re.), referierte zu den Planungsstufen von »Europaviertel und Kulturcampus«.

Hier ging es ebenfalls um die Bebauung eines ehemaligen Bahngeländes. Das Bild der europäischen Stadt, so die Oberbürgermeisterin, werde von der »Agora« bestimmt, dem einstigen öffentlichen Versammlungsraum. In unserer heutigen Zeit nehme Kommunikation und Bildung diese Agrora-Funktion ein. Die Oberbürgermeisterin schilderte in einem fulminanten Beitrag, ohne Power-Point-Präsentation, wie die Stadt in den 1990er Jahren, als es »Bürgerbeteiligung« noch nicht gab, das Projekt unter dem Druck eines bereits präsentierten Großinvestor-Projektes eines US-Architekten, sehr schnell in die eigenen Hände nehmen, das Büro Albert Speer & Partner einbeziehen, und einen Gegenentwurf präsentieren musste, um dem Entwurf des Großinvestors alternative Bilder entgegen stellen zu können. Der schnelle Entwurf brachte massenhafte Verrisse in der Presse und Bürgerproteste hervor. Die Stadt suchte Hilfe beim Darmstädter Büro Freischlad und Holz. Frau Holz entwickelte ein bürgerschaftliches-dialogorientiertes Planungskonzept, in dessen mehrjährigem Verlauf zahlreiche Gedanken einstiger Projektgegner aufgenommen und an dessen Ende das Projekt an Akzeptanz gewonnen und bereichert, und die Weichen für das Projekt neu gestellt wurden. Stadtplanung und Bebauungsplan seien die »Königsdisziplinen« der kommunalen Selbstverwaltung. Dies dürfe man nicht Großinvestoren überlassen.

Auf die Frage, ob nicht erst der Widerstand der Bürger manche Planungsverbesserung hervorgebracht habe, stimmte die Oberbürgermeisterin zu, ergänzte aber, dass die Vorschläge in ein geordnetes, verbindliches Verfahren aufgenommen werden mussten.

Michael Heller fügte an, dass eine Qualitätskontrolle dieses Planungsprozesses gezeigt habe, dass man sich grundsätzlich mehr Zeit hätte lassen müssen. In diesem Punkt sei für ihn die Schweiz ein Vorbild. Dort würde länger und gründlicher geplant. Auf die Frage des Moderators, ob es nicht der Idee der europäischen Stadt widerspreche, wenn ein Großinvestor einen ganzen Stadtteil beanspruche, antwortet Heller, dass die europäische Idee der Stadt auf Vielfalt baue.

Mit dieser Diskussion ging die Tagung am Freitagabend in Weimar zu Ende.

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Kommentar

Die Veranstaltung beeindruckte in ihrem Umfang, wie in ihrer Qualität. Ebenso erfreulich ist die Teilnahme vieler junger Menschen, die auch für die Organisation und Durchführung im Hintergrund wirkten. Der Weimarer Bauhausuniversität und den Referenten ist zu danken.

Die Diskussionen zeigten, dass es beim Thema »Zukunft der Innenstädte« in nicht geringem Maße auch um die Zukunft von Planungstechniken und Verfahren geht, die breite Interessen einbeziehen, nachvollziehbare Ansätze liefern und erfahrungsgestützte Korrekturen ermöglichen müssen.

Es fiel auf, dass in den drei Beiträgen kein einziges Mal auf die modernen technologischen Voraussetzungen solcher Verfahren eingegangen wurde. Die Einbeziehung digitaler Werkzeuge in der Bauplanung führt einerseits zur Überschreitung der tradierten Grenzen zwischen Konzept und Planung. Die notwendige Neustrukturierung des Zusammenwirkens von Konzept und Planung erfordert andererseits klare Regeln und neue Zuordnungen von Aufgabenbereichen. Aber das wäre wohl ein neues Tagungsthema?

Johannes Eichenthal

 

Information

www.uni-weimar/zukunftsstadt2015

www.wissenschaftsjahr-zukunftsstadt.de

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