Reportagen

Zur Erinnerung an Georgius Agricola

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Am kalten Abend des 21. November sah man in der Chemnitzer Innenstadt die Einkaufslustigen durch Straßen und Gassen schlendern.

Die ehrwürdige St. Jacobi-Kirche am Markt war noch erleuchtet. Ihre lange Geschichte geht auf eine romanische Vorgängerkirche aus dem 12. Jahrhundert zurück.

Das heutige Langhaus der dreischiffigen Hallenkirche entstand nach einem großen Stadtbrand zwischen 1350 und 1365.

Am 5. März 1945, beim Bombenangriff auf Chemnitz, brannte das Gotteshaus vollständig aus. In den Jahren 1946 bis 1949 begann die äußere Sicherung des Bauwerkes.

Der Hallenchor erhielt ein Notdach, um ihn vor dem Einsturz zu retten. 1964 konnte der äußere Wiederaufbau des Langhauses mit Dach, Dachreiter und Ver-glasung abgeschlossen werden. Zehn Jahre später mussten die Arbeiten im Inneren aus Geld- und Materialmangel eingestellt werden. Erst im Juli 2009 wurden die aufwendigen Innenarbeiten abgeschlossen. Seither zeigt sich die Stadt- und Marktkirche St. Jacobi mit der neuen Chororgel im jetzigen Glanz.

Nun ist es an der Zeit für die Restaurierung der Kunstwerke, die im Laufe der Jahr-hunderte Schaden genommen haben, Sorge zu tragen. Große Bedeutung kommt dabei dem spätgotischen Flügelaltar zu, der im Jahre 1504 entstanden war und der nach Peter Breuer und Hans Hesse benannt, als »Hesse-Breuer Hochaltar« gegenwärtig eine grund-hafte Restaurierung erfährt. 2017 soll mit seiner Weihe die Neuaufstellung erfolgen.

Seit vielen Jahren bemühen sich auch engagierte Bürger diese notwendigen Arbeiten mit Spenden zu unterstützen.

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Durch die offene Tür betraten wir den schlichten und weiten Raum. Dr. Sebastian Liebold an der Orgel, stimmte gerade festlich ein. Die Kirche füllt sich. Immer mehr Gäste erscheinen, dann verstummt die Königin der Instrumente – gespannte Stille …

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Der »Kammerchor Chemnitz« unter Leitung von Wolfgang Richter eröffnet die Gedenk-stunde mit einem achtstimmigen Chorsatz des in Chemnitz geborenen Komponisten Philipp Dulichius (1562–1631): »Also hat Gott die Welt geliebet …«

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Danach tritt die Geschäftsführerin der Goethe-Gesellschaft Chemnitz e.V., Frau Dr. med. Helga Bonitz ans Mikrofon. Sie begrüßt die zahlreichen Gäste, die zum Gedenken an den Chemnitzer Bürgermeister und großen Renaissance-Gelehrten, Dr. Georgius Agricola, anlässlich seines 460. Todestages gekommen sind. Georg Pawer (Bauer) wurde am 24. März 1494 in Glauchau als Sohn eines Webers geborenen. Seit seinem Studium in Leipzig legte er sich, einem Brauch seiner Zeit gemäß, eine latinisierte Namensformzu: Georgius Agricola. Am 21. November 1555 verstarb Agricola in Chemnitz.

Zum Lebenswerk Agricolas sagt Frau Dr. Bonitz: »Wir würdigen und ehren den großen Humanisten, der als Arzt und Apotheker, als Lehrer und Sprachwissenschaftler, als Diplomat und Historiker, als Begründer der neuzeitlichen Mineralogie, Geologie, der Bergbau- und Hüttenkunde, den so genannten Montanwissenschaften, Weltgeltung besitzt.«

Mit einem Appell wendet sie sich schließlich an die Teilnehmer der Welt-Klima-Konferenz in Paris: »An die Verantwortlichen für die Völker dieser Erde.

Hochverehrte! Die Würde der Menschheit gebietet es und wir rufen Ihnen zu: Lassen Sie keine Zeit verstreichen, tun Sie alles, was in Ihrer Verantwortung und in Ihren Kräften steht, das Leben auf unserer Erde in Frieden, Freiheit und Demokratie zu sichern und zu erhalten.«

Nach diesem unüberhörbaren Signal erklingt nun das »Ave Maria« von Nicolas Gombert (1495–1560). Der Bürgermeister der Stadt Chemnitz, Herr Mirko Runkel, findet in seinem Grußwort anerkennende Worte für das verdienstvolle Wirken der Goethe-Gesellschaft und dankt für die Initiative zur Unterstützung der Restaurierung und Wiedererrichtung des »Hesse-Breuer-Hochaltars. Der Redner erinnert aber auch an Goethes hohe Wertschätzung für seinen Landsmann, der uns mit seinen Werken ein großes Geschenk hinterlassen hat.

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Nach Johann Hermann Scheins (1586–1630) »Die Gerechten werden ewiglich leben …«, meisterhaft intoniert vom Kammerchor Chemnitz, wendet sich nun der mit Spannung erwartete Festredner, Prof. Dr. Dr. Friedrich Naumann mit einem herzlichen Glückauf an die zahlreichen Gäste: »Machen wir uns auf den Weg, seinem reichen Leben nachzuspüren, und hören wir, was er uns an bedeutenden Stationen zu sagen hat … Mag auch die Koinzidenz zufällig sein, aber an demselben Tage an dem vor 460 Jahren Dr. Georgius Agricola verstarb, wurde vor 250 Jahren die Bergakademie in Freiberg gegründet.

Durch sein umfangreiches wissenschaftliches Werk legte Agricola das Fundament für die modernen Disziplinen, die heute an der Bergakademie gelehrt werden.

Eine wissenschaftliche Pionierleistung ohnegleichen, geleistet in einer Zeit, als die Naturwissenschaften noch ganz am Anfang standen und die Gesellschaft gerade alle Anstrengungen unternahm, sich aus den Fesseln der Scholastik und des Klerus zu lösen.«

Welch scharfsinnige Prädikate für diese großartigen Begabungen, die wie auf ein Zeichen hin auf der ganzen Welt erwachten und mit denen sich der Gelehrte so trefflich beschreiben lässt, wird, wie der Festredner ausführte, mit der hohen Wertschätzung deutlich, die, der große Agricola-Forscher Hans Prescher dem Genius anlässlich seines 500. Geburtstages beimisst: »Geowissenschaftler in aller Welt nennen ihn Vater der Mineralogie, Bergmänner und Hüttenleute ehren ihn als Begründer des modernen Montanwesens, Metrologen führen ihn als philologischen Vorläufer ihrer Wissenschaft von den Maßen und Gewichten, die Volkswirte rechnen ihn zu den Wegbereitern des Merkantilismus, Numismatiker nehmen ihn als einen ersten Gelehrten in Anspruch, der Edelsteine und Münzen in einen Zusam-menhang brachte, die Mediziner verdanken ihm den Begriff ‹Lazarett›, und die Pädagogen betrachten ihn als Wegbereiter einer kindgemäßen Lehrmethode.«

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Zur großen Überraschung aller Anwesenden, in der bis auf den letzten Platz gefüllten Stadt- und Marktkirche, gestaltete sich nun ein höchst lebendiger Dialog-Vortrag des Festredners mit dem, »wiedererweckten« Agricola in Person des Vorsitzenden der Goethe-Gesellschaft Chemnitz, Siegfried Arlt. Dieser, so hört man, hat zu unterschiedlichen Anlässen seit über zehn Jahren dem Bürgermeister und Renaissance-Gelehrten lebendige Gestalt verliehen. So kam es, dass auf diese, nahezu kongeniale Weise, der Festredner Prof. Naumann seinem »Korreferenten« die authentischen Zitate Agricolas regelrecht in den Mund legte. Eine wirkungsstarke Idee, die das begeisterte Publikum mit stürmischen Beifall bedachte.

Die abschließenden Worte Professor Naumanns, konnte man in ihrer Tragweite nur als eine Aufforderung zum Handeln verstehen: »Gedenken wir auch fürderhin in Hochachtung und Respekt des großen Sohnes unserer Stadt, dessen Seele mit den Empfindungen des reinsten, vollkommensten Vergnügens bei der Betrachtung der Natur verweilte und der in dem Feuereifer, die schwarzen Nebel zu zerstreuen, welche unsere Kenntnis von den in der Erde verborgenen Dingen verhüllen, uns ein Licht darüber angezündet hat.«

Mühen wir uns, dem hervorragenden Forscher und Denker, dem großen Gelehrten und Humanisten den verspäteten Zoll dankbarer Verehrung entgegenzubringen, und behalten wir sein geistvolles, edles und nachdenklich-sinnendes Angesicht immerdar vor unsern Augen und in unserem Herzen.«

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Nach einem letzten Vortrag des Kammerchores endet die feierliche Gedenkstunde mit dem großen Stundengeläut. Der Chemnitzer Goethe-Gesellschaft und allen Mitwirkenden ist für diesen Lichtblick in der dunklen Jahreszeit zu danken.

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Auf der Heimfahrt geht uns der »Renaissance-Gelehrte Agricola« durch den Sinn. Renaissance heißt ja Wiedergeburt. Europa erneuerte sich damals, von Italien und den Niederlanden ausgehend. Agricola war, wie andere Geistesgrößen auch, damals wie heute nicht »aktuell«. Er war der Zeit immer voraus. Es kann also für uns heute nicht um einzelne Sätze oder Erkenntnisse Agricolas gehen, wenn wir ihm gedenken. Er ist für uns aufgrund seiner Bildung von Bedeutung, eignete er sich doch nicht nur das antike Wissen an. Der zentrale Punkt war dabei seine Sprachkenntnis. Zugleich vermochte er das Erbe aber zu bewahren, weil er selbst praktisch tätig war und neue Erkenntnisse gewann. Agricolas Hauptwerk »De re Metallica« enthält 292 Holzstiche, in denen die beschriebenen Verfahren des Bergbaus und der Verhüttung sorgfältig abgebildet werden. Modernste Wissenschaft wird hier literarisiert und zusammen mit künstlerische Abbildungen verstehbar gemacht. Agricola vermochte den Gegensatz zwischen seiner breiten Bildung und Spezialkenntnissen für die Beförderung der Humanität fruchtbar zu machen. Darum geht es auch bei der heute anstehenden Wiedergeburt der europäischen Humanität. Diese europäische Idee der Bildung zur Humanität (Johann Gottfried Herder) bietet die Möglichkeit eines gemeinsamen Lernprozesses aller Kulturen und Religionen auf unserer Erde. Zugleich erfordert die gemeinsame Zukunft der Menschheit aber auch das Primat der Bildung zur Humanität in der Politik. Die Chemnitzer Goethe-Gesellschaft machte diesen Zusammenhang mit dem Appell an die Weltklimakonferenz deutlich: Bildung statt Konsumwachstumsfetischismus!

Johannes Eichenthal

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