Sehr geehrter Dr.-Ing. Steffen Heinrich, im März dieses Jahres veröffentlichten Sie gemeinsam mit Prof. Dr.-Ing. Karin Heinrich das Buch „Vom Abfall zum Gartengold. Klärschlammveredlung mit Pyrolyse“. Welche Resonanz erfährt das Buch?
Dr.-Ing. Steffen Heinrich: Den Lesern gefällt, dass das Buch so breit angelegt ist. Schließlich hängt ja Alles mit Allem zusammen, wie schon Alexander von Humboldt wußte. So wird auf 400 Seiten nicht ständig durch die Lupe geschaut und über Einzelheiten gefachsimpelt, wie das auf Detailwissen bedachte Spezialisten tun würden, denen längst der Überblick abhandengekommen ist. Stattdessen kommen z.B. die üblichen Sorgen eines Abwasserzweckverbandes mit den ständig steigenden Energiekosten und den unmöglichen Verhältnissen beim Klärschlamm genauso zur Sprache wie die existenzielle Bedeutung des Nährstoffes Phosphor, die Folgen der jahrzehntelangen Abkehr vom Prinzip der örtlichen Kreislaufwirtschaft, der dramatische Humusverlust auf den industriell und mit reichlich Chemikalien beackerten Feldern, Verwüstungserscheinungen durch sich anschließende Erosion, der enorme Rückgang der Artenvielfalt bei Pflanzen und Tieren, die bislang weitgehend unbeachtet gebliebene Rolle eines intakten Bodenlebens, die vielfältigen ökologischen und volkswirtschaftlichen Nachteile der massenhaften Verbrennung von Klärschlamm usw. usf. Aufgrund der thematischen Vielfalt bringen die Leser auch die Neugier und Geduld auf, sich anschließend mit den verfahrenstechnischen Grundlagen der alternativen und nahezu abfallfreien thermischen Wandlung von Klärschlamm zu „Humasat“ vertraut zu machen, wie sie beim Zweckverband Frohnbach seit mittlerweile zweieinhalb Jahren als sogenannte „Zero Waste Technology“ praktiziert wird.
Vor allem jene Leser, die diese umwelt-, klima- und ressourcenschonende Verfahrensweise nachmachen wollen, empfinden die Beschreibungen der unterschiedlichen Vorversuche und auch der erlebten Misserfolge sowie die Offenlegung der im laufenden Betrieb gesammelten Erfahrungen als sehr wertvoll.
Ingenieurskollegen freuen sich zumeist über die in „alter Schule“ verfaßten verfahrenstechnischen Erläuterungen vor allem zum klassischen Thema der „feuchten Luft“ (siehe S. 154 ff. im Buch).
Durchweg positiv fällt das Echo bezüglich der üppigen Bebilderung aus. Vor allem die Fotos von den mit „Humasat“ erzeugten Gartenfrüchten und die Bilder mit den fröhlich im schwarzen „Humasat“-Kompost scharrenden Hühnern machen den Lesern große Freude.
Wie sich nun ebenfalls herausgestellt hat, ist es für die Leser als ein glücklicher Umstand zu werten, dass die Ministerialbürokratie im Freistaat Sachsen der Bitte des Herausgebers um ein kurzes Vorwort zum Buch nicht entsprechen wollte. Denn stattdessen kamen nun ein Dorf-Bürgermeister, in einem Umweltschutzverein engagierte Bürger, ein Wirtschaftsingenieur, eine Chemikerin, ein Bodenkundler, eine Biologin und ein Gärtner, ein Vorsitzender einer großen Agrargenossenschaft, zwei Biobauern, eine weltbekannte Philosophin und der Papst Franziskus zu Wort. Diese bunte und interessante Mischung unterschiedlicher Perspektiven und zum Teil auch widerstreitender Meinungen bildet nämlich den Vorspann mit der Überschrift „Einblicke“ (siehe S. 11 ff. im Buch). Dieses 53 Seiten umspannende und von zehn verschiedenen Personen verfaßte „Vorwort“ wird von den Lesern überraschend gründlich studiert – wer liest sonst schon Vorworte – und anschließend in Gesprächen lebhaft kommentiert. Daran haben sie besondere Freude. Manche schließen sich der Meinung von Christina an, andere hingegen haben großes Verständnis für die Haltung von Enrico und die meisten sind verwundert über die modernen und lebensbejahenden Thesen aus „Rom“. Fast immer gibt es anerkennende Äußerungen für die berufliche Leidenschaft von Kai und Christine sowie für den mutigen und „coolen“ Bürgermeister aus dem streitbaren Sachsen.
Ja, das Buch wurde von der Leserschaft freudig aufgenommen. Es regt zum Denken an über den Zustand unserer Welt und zu Diskussionen darüber. Das hatten sich sowohl der Verlag als auch der Herausgeber und die Autoren gewünscht. Was will man mehr?
Ein lebhaftes Echo auf das Buch kommt übrigens auch aus der Forschung. Beispielsweise zitiert die Rechtswissenschaftlerin Frau Prof. Dr. Kerstin Kreul in ihrem Aufsatz „Die Untiefen der Düngemittelverordnung“ zahlreiche Passagen aus dem Buch. Er ist im Juniheft der Fachzeitschrift für die Anwalts- und Gerichtspraxis „Neue Justiz“ abgedruckt. Herr Prof. Dr. mult. Klaus Kayser schrieb im März 2022: „Das Lesen dieses Buches lohnt sich in jedem Fall. Es erweitert naturwissenschaftliches Verständnis, führt in neue Denkkategorien und erleichtert dem Zögernden aktives umweltbezogenes Handeln.“
Ich gehe davon aus, dass das Buch im Laufe der Jahre weiterhin reichlich Zuspruch finden wird.
Da stellt sich die Frage, warum es noch nicht viele Klärwerksbetreiber gibt, die dem Beispiel aus Niederfrohna folgen?
Dr.-Ing. Steffen Heinrich: So eine Entwicklung, also die Abkehr von einem langjährigen Verhaltensmuster, braucht eigentlich immer geraume Zeit. Außerdem ist der Wandel nicht sofort wahrnehmbar. Der bekannte Bodenkundler und leidenschaftliche Terra-Preta-Forscher Dr. agr. Haiko Pieplow sprach in diesem Zusammenhang gern von einer „Graswurzelbewegung“. Dieses Bild soll folgendes sagen. Der trockene und verdorrte Rasen liegt lange gelb und vermeintlich tot da. Erst wenn die Zeit des Regens kommt, sprießt er plötzlich und unverhofft, und flächendeckend verwandelt sich alles rings umher in sattes Grün.
Überdies ist bei den Geschäftsleitern, Bürgermeistern und Landräten anfänglich zweifellos eine gewisse Kühnheit nötig, sich gegen die etablierte und in Konzernstrukturen organisierte Abfallwirtschaft mit ihrer starken Interessenvertretung zu wenden und sich für eine an der Natur und am Gemeinwohl orientierte Kreislaufwirtschaft zu entscheiden. Da will ich gleich noch einmal den Gelehrten Alexander von Humboldt mit den Worten zitieren „Kühner, als das Unbekannte zu erforschen, kann es sein, das Bekannte zu bezweifeln.” Das war also schon immer so.
Mittlerweile schimmert bereits erstes Grün in ein paar bayerischen Gemeinden (z.B. in Bissingen), die Stadt Heide im Norden des Landes (Dithmarschen in Schleswig-Holstein) hat sich mit ihrem Abwasserzweckverband auf den Weg gemacht, dem Beispiel zu folgen, und wie man hört auch die Große Kreisstadt Riesa (in Sachsen).
Das Heft 4/2022 der Zeitschrift „Schrot & Korn“ widmete sich ebenfalls dem wichtigen Thema Humusaufbau. In einem Interview beschreibt die Wissenschaftlerin Frau Dr. Andrea Beste Pyrolyse als „Vergasung“ ohne Sauerstoff und unter hohem Druck. Sie behauptet, die dabei entstehende Kohle sei mit Schadstoffen belastet und es sei fraglich, inwieweit dieser „tote Kohlenstoff“ das Bodenleben bereichert.
Dr.-Ing. Steffen Heinrich: Dazu ist folgendes zu sagen. Erstens verwechselt Frau Dr. Beste offenbar die trockene, drucklos betriebene thermische Zerlegung (Lysis) von organischem Material ohne Luftzufuhr (= Pyrolyse) sowohl mit der thermischen Zerlegung bei unterstöchiometrischer Beigabe von Luft (= Vergasung) als auch mit der hydrothermalen Carbonisierung (= HTC). Während bei der Pyrolyse und bei der Vergasung ein Kohlenstoffgerüst übrigbleibt, wird bei der HTC im feuchten Milieu unter hohem Druck Schwarzkohle gebildet (Synthese). Im Gegensatz zu Pyrolysekoks ist sie stark mit Schadstoffen belastet. Deshalb sieht man dafür eine thermische Verwertung vor (Verbrennung) und keine bodenbezogene Nutzung (siehe S. 185 ff. im Buch).
Zweitens ist es längst allgemein bekannt, dass Pyrolysekohle vielfältige positive Wirkungen auf den Boden hat, vor allem, wenn sie zuvor „biologisch aufgeladen“ wurde. Das bedeutet, dass man das Erzeugnis zuerst einem Aufbereitungsprozess beigibt, bevor es mitsamt dem Substrat auf das Feld kommt. Dabei kann es sich beispielsweise um die Kompostierung von Pflanzenresten handeln, um die Zersetzung eines Misthaufens oder um die Fermentierung von Gülle. Auf diese Weise kommt Leben in die tote Kohle (siehe S. 26 ff. „Wie kommt das Leben in die Kohle?“). Das wußte bereits die indianische Urbevölkerung in Südamerika, welche die berühmte Terra Preta do Indio herstellte, und auch den Wikingern war dies geläufig als sie mittels Pyrolysekohle und Fermentation im Ostseeraum für die noch heute besonders fruchtbaren Schwarzerdestreifen sorgten. Abgesehen davon beruht der für reiche Erträge berühmte Schwarzerdegürtel in der Ukraine (Tschernosem) genauso auf den zu Kohle gewordenen ehedem dichten Waldbeständen wie das fruchtbare Gebiet der „Magdeburger Börde“. Die Wirkung wird auf die mikroskopisch kleinen Poren und Gänge sowie auf die immense innere Oberfläche der Kohlepartikeln zurückgeführt. Denn sie bilden ideale höhlenartige Lebensräume für Boden-Mikroben, die organische Stoffe aufnehmen und zu fruchtbarem Humus vererden (siehe S. 113 ff. im Buch). Abgesehen davon gehen von Pyrolysekohle in jedem Fall bereits deshalb positive Wirkungen auf den Boden aus, weil aufgrund der porösen Struktur Wasser und Nährstoffe aufgenommen, gespeichert und somit für den Bedarf zurückgehalten werden. Das gilt insbesondere für die üblichen Ausdünstungen von Ammoniak und besonders klimaschädlichem Lachgas. Den Acker mit Schwarzkohle zu versehen, um dadurch einen schlagartig erhöhten Humusgehalt des Bodens vorzugaukeln, wofür es finanzielle Prämien geben soll, ist absurd. Die Applikation von Kohle ersetzt doch nicht, die fünf Prinzipien der Bodengesundheit zu befolgen! (siehe dazu S. 47 im Buch) Das müßte die studierte Bodenkundlerin eigentlich wissen. Lassen wir an dieser Stelle einfach den Künstler (Wolfgang E. HerbstSilesius) sprechen (siehe S. 399 im Buch): „Verstehbares gibt es genug, aber Verstehbare und Verständige?“, und hoffen wir, dass unsere Worte verstehbar sind und bleiben.
Sehr geehrter Herr Doktor Heinrich, vielen Dank für das Gespräch!
Clara Schwarzenwald
Information
Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf das im Mironde-Verlag erschienene Buch von Karin Heinrich/Steffen Heinrich: Vom Abfall zum Gartengold. Klärschlammveredlung mit Pyrolyse.
23,4 × 30,5 cm, 400 Seiten, fester Einband, Fadenheftung, Lesebändchen, digitaler Anhang.
ISBN 978-3-96063-017-3
Erhältlich in allen Buchhandlungen oder direkt beim Verlag: https://buchversand.mironde.com/epages/es919510.sf/de_DE/?ObjectPath=/Shops/es919510/Products/9783960630173
Stimmen zum Buch
Der Verfasser dieser Zeilen hat das von den Autoren vorgelegte Werk mit Interesse gelesen. Es handelt sich um ein Buch, das in sachlich anschaulicher Art und Weise die Problemstellung, Entstehung, Konzeption und Realisierung der Klärschlammveredelung über Pyrolyse im Zweckverband der Stadt Limbach-Oberfrohna und der Gemeinde Niederfrohna behandelt. Ursprünglich war der Autor nicht begeistert, ein mit fast 400 Seiten, über 240 Fotos und mehr als 90 Schaubildern, Diagrammen, technischen Zeichnungen, Grafiken, Schemata, Skizzen und Karten scheinbar überfrachtetes, dennoch populäres und verständliches Werk zu lesen. Trotzdem begann er die Lektüre und wurde zunehmend vom verständlichen Inhalt, der sachlichen Argumentation und lesbaren Darstellung gefangen genommen.
Eigentlich ist der Autor ein Laie auf diesem Gebiet. Sein Sachwissen, über die behandelten technisch-ökologischen, ökonomischen und landwirtschaftlich-gartenbaulichen Probleme resultiert aus seiner Arbeit in Syrien, Moldawien und Kenia als Senior- und Honorarprofessor. Er unterrichtete auf den Gebieten, der landwirtschaftlichen Qualitätssicherung und der Garantie von Ernährungssicherheit sowie der allgemeinen Umweltstudien und dem Umweltmanagement an dortigen Universitäten. Seine Kenntnis der Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften lässt ihn die als Einleitung dem Buch vorangestellten „Einblicke“ verstehen. Diese kritisieren nicht zu Unrecht, dass in gesellschafts- und sozialwissenschaftlichen Untersuchungen häufig die Zuwendung zu diesen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Problemen ausgeblendet wird. Die „Einblicke“ vertieften für den Autor das notwendige Verständnis der geschilderten Problemstellungen, Analysen, konzeptionellen Vorstellungen, der Planungen und erreichten Ergebnisse. Die Kenntnis des üblichen behördlichen und baurechtlichen sowie betrieblichen „Genehmigungsdschungels“ fand ebenfalls die durch seine eigene Erfahrung gestützte Zustimmung.
Noch etwas zur eigenen Vorgeschichte, die das Interesse des Autors an der umfänglichen Publikation steigerte. 2007 erhielt er erstmalig den Auftrag, in Kooperation mit einer deutschen Hochschule an einer syrischen Universität ein Umweltstudienzentrum aufzubauen. Dieses neue Zentrum war an einer landwirtschaftlichen Fakultät angesiedelt. Etliche der syrischen Professoren hatten in der ehemaligen DDR ihre Promotions-Ausbildung in den verschiedenen Zweigen der Landwirtschaft, des Maschinenbaus, der Chemie und des Bauwesens erhalten. Die Kommunikation mit den syrischen Wissenschaftlern gestaltete sich, zusammenhängend mit diesem weit gefächerten Fachgebiet der Umweltstudien, einfach, unkompliziert und kollegial. Allerdings wurde die neue Arbeit vom schwelenden israelisch-arabischen Dauerkonflikt negativ beeinflusst. Die inneren ökologischen Probleme Syriens, die sich in ariden und semi-ariden Gebieten auftaten sowie die zusätzlichen unterschwelligen Kontroversen zwischen den Religionen, die trotz eines formal laizistischen syrischen Staatsmodells, auftraten, waren weitere Hemmnisse. Diplom- und Masterarbeiten deutscher ingenieurtechnisch ausgebildeter Austauschstudenten brachten auch soziale Zusammenhänge und Widersprüche für ökologisch anscheinend einfach zu lösende Probleme zu tage. Es zeigte sich auch, dass ökologisch anscheinend völlig unpolitische Probleme zutiefst politische und im Profitstreben einzelner Personen, die sich in politischen Machtpositionen befanden, liegende Ursachen hatten. Durch die profitorientierte Ausbeutung der sich ständig verringernden Naturressourcen in diesen Machtgefügen brachen wiederum politische Widersprüche auf. Die sozialen und politischen Dilemmata fanden letzten Endes ihren Fokus im nunmehr fast zehn Jahre währenden Bürgerkrieg. Alte Gewohnheitsrechte der Beduinen als angestammter Viehzüchter wurden nicht beachtet und lösten weitere Konflikte aus. Die soziale Subordination der Millionen in Syrien aufgenommenen palästinensischen Flüchtlinge und die Beschränkung ihrer Freiheiten führten ebenfalls zu Spannungen. Der anscheinend religiös definierte Bürgerkrieg hatte aber seine Ursachen vorwiegend in existierenden politischen Machtkonstellationen. Die fünf Hauptreligionen des Landes (Alawiten, Sunniten, mehrheitlich orthodoxe Christen, Kurden und Drusen) hatten unterschiedliche Betrachtungsweisen zu den allgemeinen Problemen des Wassermangels und zur Verteilung des Bodens. Knappes Trinkwasser glazialen Ursprungs wurde zusätzlich zu industriellen Zwecken vergeudet. Für die Düngemittelproduktion und andere Zwecke vorgesehener Schwefel wurde ungeschützt und nicht abgedeckt im Regen gelagert und sickerte in den Mutterboden. Nach zahlreichen am Wochenende üblichen Picknicks im Freien wurden Speiseabfälle und Plastikreste u.a. in den Jordan verkippt etc. Alle diese Erscheinungen waren auf mangelndes Umweltbewusstsein und laxen Umgang mit den Naturressourcen zurückzuführen. Verbunden waren mit der Verschwendung von Wasser und der Bodenauslaugung, eine desaströse Deponiewirtschaft, die umweltschädliche Bauweise und Bodenspekulation sowie eine allgemein unzulässige Ressourcenvergeudung und das Absinken des Grundwassers durch Spekulation und Korruption der herrschende Kreise. Diese und andere soziale Ursachen reflektierten sich im Krieg, dem der Autor nur durch vorzeitigen Abbruch des begonnenen Projekts persönlich unbeschadet entgehen konnte.
Deshalb kann der Schreiber dieser Zeilen den wesentlichen Inhalt und die Grundaussagen des Buches aus seiner, anderen Sicht nur bestätigen, wenn die Autoren in ihren „Einblicken“ zum Beginn die Frage aus deutscher Sicht stellen: „Wie ist es denn in unserer rechtlich verfassten Republik möglich, dass rund zwei Dutzend weiterer Mono-Klärschlammverbrennungsanlagen in Planung sind, um alsbald errichtet zu werden? Warum geht die Exekutive nicht dagegen vor? Nimmt der Staat die Gesetze selbst nicht ernst? Wie sonst können nach hochprofitablen Geldanlagen gierende Investoren für ihre abfall- und übermäßig klimaschädliches Treibhausgas erzeugenden Großprojekte zum Zwecke der Verbrennung der Ressource ‚Klärschlamm‘ Baugenehmigungen erhalten?“ Warum sorgen die von uns gewählten Volksvertreter nicht für eine Düngemittelverordnung, die nicht alte Verbrennungstechnologien bevorzugt und moderne Verfahrensweisen zu verhindern sucht?“ Die Vergleiche mit der Umweltsituation in den erwähnten Entwicklungs- oder Schwellenländern zeigen Analogien, die nicht allein auf dortige undemokratische Verhältnisse zurückzuführen sind.
Solche und ähnliche Fragen wie sie die Verfasser des Buches stellten, könnten auf verschiedensten Gebieten unseres gesellschaftlichen Lebens ebenfalls angewandt und mit unseren Verhältnissen durchaus verglichen werden. Die Lösungen dürfen nicht nur unseren „nur ihrem eigenen Gewissen verpflichteten“ Parlamentariern überlassen werden sondern erfordern mehr basisdemokratisch regional-verantwortliche Diskussion und regional verantwortliche Entscheidungen. Der auf eigene persönliche Vorteile gerichtet Lobbyismus, der unsere parlamentarische Demokratie begleitet, verhindert oftmals regional angepasste, innovative Lösungen auch auf dem äußerst profitablen Gebiet der Ökologie, der Energie sowie der Recycling- und Deponiewirtschaft. Die erwähnten Soziologen, Gesellschaftswissenschaftler und vor allem Ökonomen dürfen diesbezüglich nicht nur die Entwicklung ihrer neuen theoretischen Modelle betreiben, die von den praktischen Fragen des sozialen Lebens abgehoben sind. Theorie-Diskussionen sind notwendig, dürfen aber nicht allein regional-wirtschaftliche, praktische Analysen überdecken und effiziente Lösungen übergehen bzw. gar verhindern.
Gerade Ökonomen und Sozialwissenschaftler müssen sich im Verbund mit Juristen und Technikern mehr systemkritischen Fragestellungen zuwenden. Sie sollten helfen, den deutschen „Dschungel“ von Genehmigungsverfahren basisdemokratisch zu durchbrechen und eben die erwähnten praktisch-technologischen Fragen mit empirischen Belegen und neuen exzellenten Lösungsvorschlägen untersetzen. Eine Beschränkung der Tätigkeit von Soziologen auf die Entwicklung quantitativ ziemlich treffsicherer Wahlprognosen, die aber nur noch für ca. 50 Prozent der aktiven Wähler relevant sind, die noch an der „demokratischen Wahl“ teilhaben, ist nicht ausreichend!
Die Autoren des Buches stellen ihre Kritik an der üblichen Praxis der Verbrennung von Massen an Klärschlamm in zentral bewirtschafteten Deponieanlagen voran. Diese garantieren enorme Profite durch Verwertung hunderttausenden von Tonnen von Klärschlämmen z.B. auf der Mülldeponie Hannover in der Nähe des Wohnortes Isernhagen und eines dortigen Naturschutz- und Erholungsgebietes. Schadstoffe, die dadurch entstehen, werden dort, wie die Autoren nachweisen, einfach in die „Luft geblasen“! Der Rechtsstreit und die Aktionen des dortigen Umweltschutzvereins gegen diese Form des umweltschädigenden Verbrennens des Klärschlamms werden beschrieben. Die nunmehr mögliche neuartige dezentrale Veredlung des Klärschlamms durch Pyrolyse ist diesen zentralen Formen der Entsorgung entgegengesetzt. Die Pyrolyse entspricht dem Bedarf der moderner Landwirtschaft an Phosphor, an bodenschonenden Karbonisierungs-Methoden. Sie dient zur Verbesserung der Bodenqualität, der adäquate natürlichen Düngung in bäuerlichen Wirtschaften und zur Vermeidung sonstiger überflüssiger Massenproduktionen, die einfach auf Deponien verkippt werden. Am Gemeinwohl orientierter Unternehmergeist wird von den Autoren ebenso herausgefordert wie die Teilhabe von Kommunen und Bürgern an der Diskussion und Realisierung neuer umweltfreundlicher Entsorgungs- und Kreislaufmethoden. Aus Klärschlamm hergestellt Kohle wird im Beispiel wieder in Boden- und Pflanzennährstoffe umgewandelt. Bäuerliche Genossenschaften kommen in der Debatte des Buches ebenso wie die Abwägung entsprechender Technologien, die Meinungen anderer Kommunen und kleinbäuerlicher Bio-Landwirte und Bodenbiologen zu Wort. Als grundsätzliche Ziele werden hervorgehoben
- Steigerung und Verstetigung der Photosynthese
- gutes Weidemanagement
- Pflanzenvielfalt
- Verzicht auf den übermäßigen Einsatz von Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden sowie auf massenhafte Ausbringung von Mineraldünger und aggressive Bodenbearbeitungsmethoden.
Verantwortungsvolles bäuerliches Handeln genauso betont wie das notwendige Eigentümer-Bewusstsein kleinerer und mittlerer Bauern und Bodenbesitzer, die noch eigenständig und nicht großindustriell wirtschaften.
Die „Entpersönlichungs-These“ von Ricarda Huch, wird zur Begründung der neuen Vorgehensweisen ebenso wie andere philosophische Gedanken als Erklärungsmuster mit herangezogen. Der hinlänglich bekannte Johannes Eichenthal wendet sich im Wort zum Buche den Positionen von Papst Franziskus zu, der dem Menschen die Aufgabe zuweist, „den Garten der Welt zu bebauen und zu hüten“ und sich die Erde nicht lediglich „untertan“ zu machen. Die philosophischen Ausflüge von Eichenthal, die das Buch begleiten, reichen von Paracelsus über den von ihm besonders verehrten Herder bis hin zu Aristoteles. Eichenthal argumentiert gar kongenial mit Franziskus für eine „ganzheitliche Ökologie, die der menschlichen Verantwortung“ für die Bewahrung der Schöpfung gerecht wird.
Dennoch bleibt das Buch nicht bei diesen philosophisch begleitenden „Einblicken“ und Geleitwörtern stehen. Es erschöpft sich nicht, in den, oftmals solche ökologischen Argumentationen begleitenden, agitatorisch-religiösen Statements zur Beziehung von Mensch und Natur. Wissenschaftliche, technische und wirtschaftliche Analysen und Berechnungen sind nicht ausgeschlossen sondern vielmehr allumfassend in die Argumentation und Beweisführung einbezogen. Die technischen Konzepte und ökonomischen Berechnungen sind vielfältig und umfassend schlüssig einbezogen. Sie werden durch keine emphatische Zwänge wie oftmals in anderen ökologischen Argumentationen ersetzt. Eben gerade die wissenschaftlich-analytischen Betrachtungen, die wirtschaftlichen-technischen Berechnungen, die konzeptionellen und planerischen Konkretisierung heben den Gehalt des Buches. Es ist durchaus geeignet für die Realisierung solcher dezentraler Anlagen und die Bürger- und lokale Politikbeteiligung beispielhaft zu werben.
Die Richtigkeit dieser Berechnungen, Diagramme, Skizzen und technischen Zeichnungen sowie der Abwägung der Wirtschaftlichkeit und Machbarkeit sollen hier weder angezweifelt noch bewertet werden. Dazu reicht die unmittelbare Kompetenz des Rezensenten nicht aus. Allerdings ist sehr positiv zu bewerten, dass der Prozess des Entstehens und ökologischen Bewertens der Anlage von Fachleuten durchgeführt wurde und „theoria cum praxi“ sich bereits durch ihre Realisierung bewährt hat.
Der Autor dieser Zeilen, hat das Entstehen der 4. Elbquerung durch die sogenannte „Waldschlößchenbrücke“ in Dresden mit verfolgt. Er kennt viele der die Debatten sowie den oftmals mit wenigen Sachargumenten begleiteten politischen Widerstand. Aus dieser Sicht empfindet er das geschilderte Vorgehen in Limbach-Oberfrohna/Niederfrohna als angenehm, weil es auf Bürger- und regionale Beteiligung von vorn herein setzt. Deshalb ist die hier verwandte Methode weder wissenschafts- noch technikfeindlich oder gar von Illusionen getragen. Im Gegenteil konnte durch ein Zusammengehen von Fachleuten, Politikern und Bürgern erreicht werden, das ein anscheinend sehr zu empfehlendes Modell der Klärschlammverarbeitung entstand.
Die endlosen Debatten um die Waldschlößchenbrücke, die begleitet wurde von Anketten von Gegnern des Brückenbaus an Bäumen als „Widerstandsaktionen“, von Argumentationen des vermeintlich totalen Zerstörens der Rückzugsräume der geschützten sogenannten „Kleinen Hufeisennasen“-Fledermausart etc. kontrapunktiert die Limbach-Oberfrohna/Niederfrohnaer Vorgehensweise geradezu vorbildlich. Die Propagandaeffekthascherei war in Dresden und im Elbtal verbunden mit Projektionen der geplanten Brücke an vermeintliche Orte, die den Blick auf das Elbsandsteingebirge angeblich verstellen würden. All dies war einer Sachdebatte nicht mehr förderlich und führte letztendlich durch den „Dresdner Brückenstreit“ zum Entzug des Welterbetitels für das Elbtal durch die UNESCO.
Eben gerade die Bürgerbeteiligung, das Mitwirken der lokalen Politiker und die vielfältigen debattierten und bewiesenen Argumente, die beim Klärschlammprojekt beachtet wurden – so das Buch – waren wesentlich, dass eine in Deutschland beachtete, regional akzeptierte und vor allem wirtschaftliche Lösung sich durchsetzen konnte. Somit wurde durchaus Beispielwirkung erzielt. Deshalb kann das Beispiel künftig fortgeführt und unter anderen geografischen, regionalen und sozialen Bedingung modifiziert werden.
Planung, Bau, Betrieb und behördliche Genehmigung, als wichtige Faktoren des Gelingens des Limbach-Oberfrohna/Niederfrohnaer Beispiels sind beschrieben. Sie wurden mit Hilfe von vielfältigen Diskussionen ergebnisorientiert von Fachleuten durchgeführt. Nicht notwendiger Widerstand konnte vermieden werden. Alle Einzelheiten des Geschehens sind nachlesbar, teilweise für die Hervorhebung und Förderung des Beispiels und seine weitere Wirkung allerdings etwas sehr umfänglich. Die Einzelheiten sind mitunter für den interessierten Leser, der nicht Fachmann(-Frau) ist, zu ausführlich dargelegt und etwas langatmig. Das zu bewerten, ist aber dem geneigten künftigen Leser überlassen. Der Autor der Zeilen, hat dieses Buch jedoch mit Genuss gelesen, da es auch auch für wenig vorgebildete Laien verständlich ist. Die wirtschaftlichen Erwägungen im Vorfeld schienen besonders wesentlich gewesen zu sein, damit keine „ökologisch motivierten Luftschlösser“ gebaut wurden, sondern regional wichtige und machbare Vorstellungen und Realitäten entstanden.
Den Leser soll nochmals daran erinnert werden, dass bei der Diskussion der Dresdner Waldschlößchenbrücke – eines sehr aufwendigen, kontrovers diskutierten und mit vielen Widerständen behafteten Vorhabens – ein Bürger gar den Bau einer Holzbrücke vorschlug, die mit Bäumen bepflanzt werden sollte. Des weiteren wurden Untertunnelungen der Elbe diskutiert, die technisch-baulich kaum realisierbar waren.
Es sei nochmals abschließend im anderen Zusammenhang erwähnt dass die größte Demokratie der Welt – die indische Republik – gar ein Ministerium für Dezentralisierung schuf. Dadurch wurden dezentral wirkende, traditionelle basisorientierte Formen der Bürgerbeteiligung wieder belebt, die der Zentralisierung von Finanzströmen und Entscheidungen in Neu Delhi entgegenwirkten. Der Autor war an solchen Debatten beteiligt, die die Wirkung solcher „Gras-root-movements“ untersuchten und ein Pendant zur zentralistisch orientierten Parlamentsentscheidungen schufen. Deutschland kann mehr solcher Beispiele gebrauchen. Das unterstreicht den Wert des Buches und seiner geschilderten Beispiele und Analysen und Aktivitäten. Zudem ist durch die neuesten Entwicklungen die Frage des als „Globalisierungszwang“ getarnten „Outsourcen“ strategisch notwendiger lokaler und regionaler wirtschaftlicher Aktivitäten nach Fernost hinlänglich in Frage gestellt. „Global denken – lokal Handeln“ ist eine These des Buchs, die unbedingt hervorgehoben werden sollte. Überzentralisierung versus lokale Orientierung und Vermeidung von die Weltmeere belastende und verseuchende Transporte versus Organisation regionaler Kreisläufe fördernde Produktionen sind eingeschlossen.
Prof. Dr. oec. et phil. habil. Volkmar Kreißig
Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.