Reportagen

ZUM PRELLBOCK

Am Sonnabend, dem 3. September beging man in der Frohen- und Hanselstadt Groß-Mützenau das 25jährige Jubiläum der Umsetzung des Eisenbahn-Haltepunktes Obergräfenhain in den Garten der Gaststätte „Zum Prellbock“. Am 20. September 1997 stellte die Firma BauTechnik Hartmannsdorf Tieflader und Kräne zur Verfügung. Der Verein „Historische Nutzfahrzeuge“ half mit seinen Fachkräften. Eisenbahnmuseum und Galerie zogen in das neue Gebäude ein. Die Cartoon- und Karikatur-Szene gab sich in den letzten Jahren hier die Klinke in die Hand. „Haltepunkt“ blieb das Gebäude bis heute, in dem die Veranstaltungen in der Galerie vielen Menschen einen Halt in der chaotischen Welt vermitteln.

Das Gebäude aus Obergräfenhain vermittelt heute noch einen Eindruck von der einfachen Solidität, mit der das Unternehmen Eisenbahn einst betrieben wurde.

Ein kleines Eisenbahner-Museum erinnert an längst vergangene Zeiten.

Die Galerie hat nur eine begrenzte Ausstellungsfläche. Nichtsdestotrotz fanden hier große Ausstellungseröffnungen statt. Aber was ist schon „Begrenzung“?

Maritta Trommer-Lehmann und Matthias Lehmann sind die guten Geister des Unternehmens. Ohne die Initiative der beiden hätte es den „Prellbock“ und „Groß-Mützenau“ nie gegeben.

In der Gaststätte lief an diesem Tag eine Video-Schleife vom Transport des Gebäudes. Am Abend trug der Bürgermeister Groß-Mützenaus unter dem Titel „Von Mücken, Bären und anderen Widrigkeiten“ den Bericht einer Reise durch Rumänien, Moldawien, Transnistrien und die Ukraine aus dem Jahre 2021 vor.

Wir wollten unseren Besuch schon beenden, da sahen wir im Schatten den bekannten Dichter Ludhardt M. Nebel. Er war gut gelaunt und erklärte sich ausnahmsweise dazu bereit, einige Fragen zu beantworten.

Ja, die meisten Gedichte seines Bandes „Wenn ich Flügel hätt‘“ würde er heute immer noch veröffentlichen. Lediglich einige wenige Jugendwerke … Aber das sei keine Schande, Altmeister Goethe stand schließlich vor ähnlichen Problemen. Damit könne er leben.

Wie er zum Prellbock stehe? Ja, es sei eine einzigartige Kulturkneipe. Alles was in der Szene Rang und Namen hatte, war schon hier. 

Humor? Ja, das ist das Besondere am Prellbock. Andererseits ist Kultur ohne Humor, ohne Distanz zu sich selbst, garnicht möglich.

Matthias Lehmann als Sammler? Ja, die Sammelleidenschaft ist nicht zu übersehen. Aber das Gebäude des Bahnhofs Obergräfenhain ist kein einfaches Sammlerstück. „Gesammelt werden muss in der Not, um etwas zu retten“, sagte einst Elmar Faber im Prellbock. In den 1990er Jahren begann der Abbruch der Eisenbahnstrecken. Der Bahnhof Obergräfenhain stand bereits zwei Jahre leer, bevor Matthias Lehmann ihn rettete. So kann man alle die liebevoll zusammengetragenen Eisenbahn-Utensilien auch als eine Art „Hilferuf“ der untergehenden Eisenbahn verstehen. Deutschland hatte einmal eines der dichtesten Eisenbahnnetze der Welt. In China würde Matthias Lehmanns Sammlung heute sicher auf großes Interesse stoßen. Dort werden jährlich für dreistellige Milliardensummen neue Eisenbahnstrecken gebaut. Die längste Hochgeschwindigkeitsstrecke der Welt führt von Peking nach Moskau. Vielleicht sollte Matthias Lehmann einmal nach China reisen?

Kaum hatte Ludhardt M. Nebel die letzten Sätze gesagt, schon war er wieder verschwunden.

Manchmal frage ich mich, ob es ihn wirklich gibt.

Der Prellbock in Groß-Mützenau zeigte sich an diesem 3. September 2022 in alter Größe. 

Allen Beteiligten ist zu danken.

Johannes Eichenthal

Information

Ludhardt M. Nebel: Wenn ich Flügel hättʼ. LyrikCartoons.

14,0 × 20,5 cm, 112 Seiten, fester Einband, Fadenbindung, Lesebändchen

35 farbige Cartoons von 35 Karikaturisten

VP 11,00 €

ISBN 978-3-96063-002-9

Erhältlich in jeder Buchhandlung oder direkt beim Verlag: https://buchversand.mironde.com/p/wenn-ich-fluegel-haett-lyrikcartoons

Ludhardt M. Nebel wurde am 11.11.1946 in Bad Freienwalde als Sohn eines Eisenbahnbeamten geboren. Nach dem Gymnasium in Freiburg im Breisgau studierte er von 1966–1970 Jura in Wladiwostok. Danach war er zunächst 1971 als Assistent des Direktors und 1972 als Direktor der Transeuropäischen Eisenbahnbank in Pontresina tätig. Seit 1972 ist er freischaffender Schriftsteller und Dichter. Heute lebt er in Groß-Mützenau an der Zwickauer Mulde.

Es gibt heute nahezu keine Sprache, in die Nebel nicht übersetzt wurde. Zahlreiche Preise dokumentieren die breite gesellschaftliche Anerkennung der originellen Außenseiterposition des Dichters.

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert