Reportagen

Warten auf Nebel

Der 2. November war ein kalter, regnerischer Tag. Am Abend zogen zu alledem Schnee- und Graupelschauer heran, so dass sich die schwachen Naturen schaudernd vor dem Fernsehapparat versteckten, um Trost zu finden. Wir können jedoch mit Meister Eckhart sagen: wir wünschen denen Trost, wissen aber, dort werden sie ihn nicht finden.

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In der Meeraner Buchhandlung Goerke, die von Inhaberin Silvia Hengmith geführt wird, trafen jedoch an diesem Abend immer mehr unternehmungslustige Gäste ein. Es war die Premiere des Buches von Ludhardt M. Nebel mit dem Titel »Wenn ich Flügel hätt’« angekündigt. Das Publikum hatte noch nie etwas von diesem Dichter gehört. Obwohl Nebel in fast alle europäischen Sprachen übersetzt ist, legt er erst jetzt einen Band in seiner Muttersprache vor.

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Ernste Gesichter. Matthias Lehmann (li.), dem Herausgeber des Bandes, Kurator der Prellbock-Galerie und Bürgermeister von Groß-Mützenau, und Andreas Eichler, einem promovierten Philosophen und Lektor des Mironde-Verlages, sah man die Spannung förmlich an.

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Die Zahl der Gäste wuchs unablässig. Die Zeiger der Uhr hatten die 19-Uhr-Marke schon lange überschritten. Da entschlossen sich Lehmann und Eichler die Veranstaltung ohne die Hauptperson zu starten. Man hoffte dem Anschein nach, dass Nebel bald auftauchen würde.

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In einem Interview befragte Eichler den Herausgeber und Kurator Lehmann. Dieser verwies zunächst darauf, dass im Buch 35 Gedichte veröffentlicht wurden. Zu jedem der Gedichte habe ein Karikaturist eine Zeichnung beigesteuert. Diese Karikaturen wurden dem Publikum per Beamer präsentiert.

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Lehmann konnte auch die Neugier des Publikums wenigstens etwas befriedigen. Da er quasi der Entdecker von Ludhardt M. Nebel ist, verfügte er praktisch über exklussive Kenntnisse. Schritt für Schritt schilderte er eine scheue, sensible, schillernde, wenn auch rätselhaft bleibende Dichter-Persönlichkeit. Doch dadurch wuchs die Spannung noch mehr an. Jetzt wollte jeder Zuschauer endlich den Dichter kennenlernen …

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Matthias Lehmann ist aber zum Glück nicht nur der Herausgeber des Bandes, aus seiner Feder stammen auch die Kurzbiographien der 35 Karikaturisten und die wohl bisher weltweit einzige Kurzbiographie von Ludhardt M. Nebel. Lehmann ist zuzusagen der profundeste Kenner des Nebelschen Werkes. Es gelang Eichler sogar den Herausgeber zur Rezitation einzelner Gedichte Nebels zu bringen. Die Gäste beeindruckten diese Texte, mit wichtigen Zitaten aus der deutschen Literaturgeschichte, Assoziationen und Anspielungen, wie auch innovativen Neukompositionen, noch mehr. Die Frage wurde nun in Gedanken mit riesengroßen Buchstaben in den Raum geschrieben: Wann kommt endlich Nebel?

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Doch der kam nicht. Das Warten war vergebens. Eichler und Lehmann versuchten ihr Bestes zu geben, ohne jedoch an die ahnende und raunende Sprach-Genialität Nebels heranreichen zu können. Höhepunkt der Veranstaltung war vielleicht die Rezitation des Gedichtes »Übers Fliegen«.

Ich will gern dichten, übers Fliegen

doch das Papier

bleibt unberührt liegen.

Nur die Gedanken

fliegen hoch und weiter in die Ferne.

Wohin?

Das wüsstet ihr jetzt gerne.

Vielleicht im Sonnenschein zu einer Insel?

Was seid ihr nur für Einfaltspinsel!

Ich fliege in Gedanken hin

wo letztlich ich ganz einsam bin.

Nur zwei Augen (oder sind es Seen?),

heiter und sehr grün,

deren Blicke kann ich spüren,

erahnen mehr als wie sie schauen,

was ich dem Blatt werd’ anvertrauen.

Ein Werk vom Fliegen ist’s nun doch geworden,

ich stell’ es vor, mit knappen Worten:

Wenn ich nur Flügel hätt’ statt Beine

trägt mich der Wind weg

samt der Leine!

Nach so viel dichterischem Denken,

ihr dürft raten

wartet einer von den Seen auf mich

zum Baden!

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Vor dem begeisterten Publikum übergab Buchändlerin Silvia Hengmith dem Herausgeber ein Geschenk für Luthardt Nebel. (Man sieht Lehmann die ungeheure Anspannung noch an. Er hatte bis zuletzt gehofft, dass Nebel … doch noch ….)

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In einem wohl in der Literaturgeschichte einmaligem Verfahren ließ sich der Herausgeber dazu überreden für den abwesenden Dichter zu signieren. Aber alles hatte seine Ordnung: er schrieb »i. A. Nebel«

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Neben Herausgeber Lehmann hatte ein Karikaturist Platz genommen. Werner David war mit Freunden aus Leipzig gekommen, um seinen alten Freund Nebel zu treffen … Doch David, der mit seinem Künstlername »L.viss« signierte, war vom den Verlauf der Premiere ebenso begeistert, wie das Publikum. Geht es auch ohne Nebel?

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Aus dem Publikum wurden spezielle Geschenke, für Ludhardt M. Nebel abgegeben: hier ein Fläschchen Klarer.

Wir müssen Buchhändlerin Hengmith und Herausgeber Lehmann danken. Die Veranstaltung war ein Ereignis, obwohl der Dichter nicht erschien. Hier wurde ein neues Kapitel der deutschen Lyrik-Geschichte aufgeschlagen. So etwas gab es noch nie. Und wir können sagen: wir sind dabei gewesen!

Johannes Eichenthal

(Die Fotos wurden uns freundlicherweise von Birgit Eichler, Dr. Steffen Heinrich und Werner David zur Verfügung gestellt. Vielen Dank.)

 

Information

Ludardt M. Nebel: Wenn ich Flügel hätt. LyrikCartoons.

14,0 × 20,5 cm, 112 Seiten, fester Einband, Fadenbindung, Lesebändchen

35 farbige Cartoons von 35 Karikaturisten

VP 19,00 € ISBN 978-3-96063-002-9

Bestellung in jeder Buchhandlung oder direkt beim Verlag verlag@mironde.com

9783960630029

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