Reportagen

DER GEGENKOLBENMOTOR

Für den 29. November hatte das Chemnitzer Museum für sächsischen Fahrzeugbau, zu einem Vortrag Frieder Bachs über den Einsatz des Gegenkolbenmotors im Motorradrennsport, eingeladen.
Der 29. November war ein typischer Spätherbsttag. Der Autoverkehr floss ruhig dahin. Es war Feierabend in Chemnitz. Das Museum strahlte aus der Dunkelheit hervor. Der Parkplatz war leider bereits schon vollständig besetzt, wir konnten aber auf den Nachbarparkplatz ausweichen. Im hellen Museumsraum diskutierten viele Besucher fachmännisch, es waren tatsächlich ausschließlich Männer, über Motorräder, Autos und Motoren.
Dann begrüßte Museumsleiter Dirk Schmerschneider den Referenten des Abends.
Der Titel des Vortrages lautete »Renntechnik zwischen Dichtung und Wahrheit – das Schicksal der Rennmaschine KS 1«. Frieder Bach zeigte zunächst das Foto des restaurierten Motorrades KS 1, das auf den ersten Blick wie ein DKW-Modell aussieht. Nur der Motor ist ungewöhnlich. Es handelt sich um einen Zweitakt-Gegenkolbenmotor, der nie in eine DKW-Rennmaschine eingebaut wurde.
Es gehört zu den großen Stärken Frieder Bachs, Geschichten erzählen zu können. So hörten die Gäste an diesem Abend, wie, mitten in die Schlussphase Frieder Bachs Arbeit am dritten Teil seines Buches »Fahrzeugspuren in Chemnitz«, ungünstiger konnte der Zeitpunkt kaum sein, eine Anfrage des ehemaligen Opel-Entwicklungsingenieurs Heiner Jakob aus Rüsselsheim, nach den Schicksal der im Bild gezeigten Rennmaschine in Chemnitz einging.
Frieder Bach, wäre nicht Frieder Bach, wenn er nicht, trotz der großen Belastung als Autor, sofort die »Ermittlungen« in dem Fall aufgenommen hätte. Selbstverständlich hatte er die Maschine bereits bei Audi-Tradition im Original gesehen. Der Rennfahrer Kurt Kuhnke aus Braunschweig hatte sich diese Maschine 1949 mit einem DKW-Rahmen anfertigen lassen, und ihr den Namen KS 1 (Kuhnke-Sport 1) verliehen. War er der Erfinder des Motors?
Nein, die Spuren führen nach Chemnitz. Frieder Bachs »Ermittlungen« standen wieder einmal unter einem guten Stern. Infolge einer Reihe von Zufällen gelangte er an Konstruktionsunterlagen des Auto-Union Entwicklungsingenieurs August Prüßing. Trotz der mit Kriegsbeginn vom Rüstungskommando angeordneten Auflösung der Rennabteilung, arbeiteten Ingenieure insgeheim weiter an der Renntechnik. Man hoffte, dass der Krieg schnell zu Ende sei, um wieder Rennen fahren zu können. Der Gegenkolbenmotor, der als Flugzeug- und Bootsmotor, sowie bei Notstromaggregaten eingesetzt wird, wurde von August Prüßing, Kurt Bang und Herbert Friedrich für den Einsatz im Motorradrennsport konzipiert.
Nach dem Kriegsende gründeten die Besatzungsmacht UdSSR im zerstörten Chemnitz ein Konstruktionsbüro KSB 10, um das Wissen der Auto-Union-Ingenieure abzuschöpfen. August Prüßing durfte eine private Technologieentwicklungsfirma gründen, die für das KSB 10 arbeitete. Aber bereits Ende 1947 wurde das Büro aufgelöst.
Wie kam das Wissen nach Braunschweig, fragten sich die Zuschauer gespannt.
Frieder Bach hob hervor, dass Kurt Kuhnke von der Entwicklung der Auto-Union im DKW-Rennsport wusste. Kuhnke soll mehrfach in Chemnitz gewesen sein, auch nach 1945. Aber nach Auflösung des KSB 10 holte er sich Kurt Bang für ein halbes Jahr nach Braunschweig, um bei der Entwicklung des Gegenkolbenmotors für die Rennmaschine zu helfen.
Das Schicksal wollte es, dass Kuhnke bei Rennen kein Glück hatte. Der Motor entwickelte zu viel Hitze. Im Nachhinein stellte man fest, dass es grobe Fehler beim Guss des Motorblocks gegeben hatte. Die Wasserkühlung funktionierte eigentlich nie richtig. Dazu kam 1950 ein Kompressor-Verbot für den internationalen Motorradrennsport. Damit wurde die Tradition der DKW-Kompressor-Motoren beendet. Ein Jahr später wurde der Zusatz von Alkohol für Rennsportkraftstoff beschlossen. Damit war das Aus für den Gegenkolbenmotor im Motorradrennsport besiegelt.
Nach dem frühen Tod Kurt Kuhnkes wechselte die Rennmaschine mehrfach den Besitzer. Schließlich erwarb sie Hermann Herz. Dieser ließ sie von einem jungen Wissenschaftler der TU Darmstadt restaurieren. Die Maschine wurde vollständig auseinandergenommen, die Mängel analysiert, neue Teile eingesetzt und neu zusammengebaut. Die veränderte Maschine erhielt 1990 auf der Isle of Man den 1. Preis für die am besten restaurierte Oldtimermaschine, obwohl sie mit dem Original nicht mehr viel zu tun hatte.
Obwohl man für das Oldtimerrennen auf der Isle of Man für KS1 extra den ehemaligen DKW-Rennfahrer Siegfried Wünsche, der sich inzwischen im Rentenalter befand, eingeflogen hatte, kam er wegen starker Regenfälle am Renntag nicht zum Start. Die Generalprobe, einen Tag zuvor, auf einem in der Nähe der Rennstrecke gelegenen Flugplatz, bestanden die Maschine und Siegfried Wünsche jedoch sehr gut.
Kommentar
Es ist beeindruckend, wie Heiner Jakob und Frieder Bach über eine große Kilometerentfernung in der Sache jedoch sehr nahe zusammenarbeiteten. So wurde in recht kurzer Zeit ein neues Kapitel in der Geschichte des Motorradrennsports aufgeschlagen. Frieder Bach kündigte an, dass aus dem Material ein Buch entstehen soll. Beiden Autoren, ihren vielen Helfern und dem gastgebenden Fahrzeugmuseum ist zu danken.
Clara Schwarzenwald
Information
Zwickauer Straße 77, 09112 Chemnitz
Die Ausstellung »Fahrzeugspuren in Chemnitz« wurde aufgrund des großen Interesses bis Ende Januar 2019 verlängert
Das neue Buch von Frieder Bach zur Geschichte des Motorsports
Frieder Bach: Fahrzeugspuren in Chemnitz. Teil 3. Motorsport. 1900-1990.
23 × 23 cm, 528 Seiten, fester Einband, Fadenbindung , Lesebändchen
etwa 1500 zum Teil farbige Fotos und Abbildungen
VP 38,90 €
ISBN 978-3-96063-013-5
Neuauflage
Frieder Bach: Fahrzeugspuren in Chemnitz. Teil 1. Zur Historie des Chemnitzer Fahrzeugbaus.
23 × 23 cm, 216 Seiten, fester Einband, Fadenbindung, Lesebändchen
etwa 600 zum Teil farbige Fotos und Abbildungen.
Neu: Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Dr. Carl H. Hahn
VP 24,90 €
ISBN 978-3-937654-77-5
Noch lieferbar
Frieder Bach: Fahrzeugspuren in Chemnitz. Teil 2. Fahrzeugschicksale.
23 × 23 cm, 216 Seiten, fester Einband, Fadenbindung, Lesebändchen
etwa 600 zum Teil farbige Fotos und Abbildungen
VP 24,90 €
ISBN 978-3-937654-96-6
In jeder Buchhandlung oder direkt beim Verlag bestellbar: www.mironde.com

4 thoughts on “DER GEGENKOLBENMOTOR

  1. Der Veteranen-Fahrzeug-Verband widmet der Kuhnke Sport 1 in der im September 2020 erscheinenden Ausgabe 4/2020 des Quartalsmagazins VFV-Info, dem offiziellen Organ des VFV, die Titelgeschichte. Vorausgegangen waren rund zwei Jahre intensiver Recherchen, die eine Fülle noch nie veröffentlichten Materials ergaben. Zeitzeugen konnten befragt werden, u.a. auch Kurt Kuhnkes Sohn und August Prüssings Söhne sowie seine Nichte. Erstmals gelang es, die ganze Geschichte der KS1 zu beleuchten, einschließlich der Ursprünge in Chemnitz und der Bedeutung des Gegenkolben-Motors von Kurt Bang und August Prüssing für den Rennsport in Russland. Die VFV-Info erscheint zwar exklusiv für die Mitglieder des Verbandes, kann aber auch von Nicht-Mitgliedern beim VFV-Sekretariat bestellt werden. Das Heft kostet 5,- Euro plus Versand. Die Emailadresse für Bestellungen lautet: sekretariat@veteranen-fahrzeug-verband.de

  2. Sehr geehrter Herr Bach!
    Auch wenn der Vortrag nun schon 3 Jahre her ist und das Buch über die letzte Kompressor Rennmaschine mit DKW Genen erschienen ist, hier der guten Ordnung halber ein paar Ergänzungen bzw. Richtigstellung. Als ehemaliger Absolvent der TH Darmstadt hatte ich ganz am Rande die Möglichkeit, zusammen mit Herrn Hermann Herz einmal die Original Zeichnung des „Kuhnke Motors“ zu sehen. In diesem Zusammenhang habe ich auch noch Siggi Wünsche persönlich kennengelernt. Ich selbst war zwar – wie erwähnt – nicht aktiv in das Projekt eingebunden und bereits, nach Abschluss meiner Dissertation über ein motorradtechnisches Thema, in einer Industrie-Anstellung, habe aber die Sache aus persönlichem Interesse doch soweit verfolgt, dass ich Ihnen mitteilen kann: Am Fachgebiet Fahrzeugtechnik der TH Darmstadt gab es seit seiner Gründung durch Prof. Bert Breuer Motorradkompetenz und Begeisterung. Dies hatte dazu geführt, dass H. Herz diesen Motor, der im Originalzustand erhebliche thermodynamische Standfestigkeitsprobleme hatte, dem Fachgebiet Fahrzeugtechnik zwecks Analyse und Behebung dieser Mängel übergab. Betreut wurde diese Arbeiten (es handelte sich sowohl um eine Studien- als auch eine Diplomarbeit) von einem Assistenten von Prof. Breuer sowie dem mittlerweile verstorbenen Motorenexperten der RWTH Aachen, Herrn Dr.-Ing. Norbert Adolph. Nach umfangreicher konstruktiver Überarbeitung des Triebwerkes wurden dann mit Hilfe externer Fertigungspartner u. a. ein neues Gehäuse gegossen und neue Kolben gefertigt. Die TH Darmstadt/Fachgebiet Fahrzeugtechnik hat nie das komplette Motorrad zur Überarbeitung oder Restaurierung erhalten, sondern sich ausschließlich um den Motor gekümmert.
    Mit freundlichen Grüßen!
    Dr.-Ing. Bernward Bayer

    1. Sehr geehrter Herr Dr. Bayer,
      es ist vollkommen richtig, was Sie schreiben. In unserem Buch sind die Fakten auf Seite 59 und 60 auch so dokumentiert. Mit Ihrer Stellungnahme betreten Sie übrigens ein weites Feld. Es wird Ihnen als Kenner der Materie sicher nicht entgangen sein, dass selbst Koryphäen der schreibenden Zunft gravierende Fehler unterlaufen sind. So dichtet Krackowizer der KS1 sagenhafte 65 PS an (statt 45). Siegfried Rauch datiert fälschlicherweise die Entstehung der Gegenläufer-Konstruktion auf die Zeit vor 1940. August Prüßing selbst schrieb dazu 1946 in seinem „Rückblick und Ausblick“, dass in der DKW-Rennabteilung keinerlei Absichten bestanden, einen Gegenläufer-Rennmotor an den Start zu bringen. Zitat: „Versuche in dieser Richtung fanden im Werk DKW statt (Anm.: Nicht in der Rennabteilung!), mussten aber erfolglos abgebrochen werden.“ Eckard Schimpf schreibt in seinem Prinzenpark-Buch: „… denn natürlich war durchgesickert, dass Kuhnke den legendären Werksmotor besaß“, und „bei diesem Gegenläufer, der schon 1939/1940 bei DKW im Versuch lief“, was alles völlig aus der Luft gegriffen ist. Die Gegenläufer-Konstruktion entstand erst nach dem Krieg im Auftrag der sowjetischen Militäradministration. Einen Gegenläufer-Werksmotor hat es nie gegeben. Es verwundert nicht, dass selbst Hermann Herz solchen Fehlinformationen aufgesessen war. Nur so lässt sich erklären, dass in der MTZ 52/1991 über die Wiederbelebung des Gegenkolben-Motors an der TH Darmstadt von „11 Rennsiegen der KS1 und ebenso vielen Ausfällen“ die Rede ist, obwohl Kuhnke nur einen einzigen Sieg mit seinem Eigenbau erringen konnte, und zwar am 1. Oktober 1950 in Dessau. Die Auflistung aller Fehl- und Falschinformationen würde mehrere Seiten füllen. Ein aus historischer Sicht trauriger Höhepunkt ist der Umbau der von Gerhard Schöneberg originalgetreu restaurierten Kuhnke Sport 1 durch Hermann Herz, der die KS1 gemäß dem Vorbild der DKW US 250 Vorkriegs-Werksrennmaschine neu gestaltete. Damit wurde letztlich Geschichte mit „alternative Fakten“ zementiert, denn eine solche Rennmaschine gab es nie. Dennoch ist es das Verdienst von Hermann Herz, dass die KS1 überhaupt erhalten geblieben ist, wenn auch in einer freien Interpretation.
      Bitte fahren Sie fort, Ungereimtheiten ans Tageslicht zu befördern. Das ist die Pflicht eines jeden, der über gesicherte Informationen verfügt. Wie heißt es so treffend im Code de Bordeaux: „Informationen müssen wahr, konkret und nachprüfbar sein.“
      Danke für Ihren Hinweis
      Heiner Jakob

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