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DEZENTRALE DEKARBONISIERUNG

Klaus Kertzscher, der Niederfrohnaer Bürgermeister und Vorsitzende des Zweckverbandes Frohnbach (ZVF), begrüßte am 31. März 2022, bei nahezu winterlichen Temperaturen und leichtem Schneefall, vor den Vertretern der Presse und des Fernsehens, anlässlich der Vorstellung des Evaluierungsberichts der fertiggestellten Klärschlammveredlungsanlage, deren Bau am 20. Juni 2018 begonnen wurde und die heute umweltfreundliches und stark phosphorhaltiges Humasat im Dauerbetrieb produziert, den Sächsischen Staatsminister für Regionalentwicklung Thomas Schmidt (CDU), den Landtagsabgeordneten Jan Hippold (CDU), Stadt- und Gemeinderäte, Vertreter der am Bau beteiligten Firmen und Niederfrohnaer Bürgerinnen und Bürger.

Klaus Kertzscher hob in seiner kurzen Ansprache hervor, dass der ZVF in Folge des Projektes keine Entsorgungsprobleme mehr habe, der Gebührenzahler bleibe von den Preissteigerungen der Entsorgungswirtschaft verschont, es werden Energie- und Stoffwechselkreisläufe geschlossen und Kohlenstoff wird dauerhaft gebunden.

Mit dem nun vorliegenden umfangreichen Evaluierungsbericht zum Modell- und Pilotvorhaben der dezentralen Verarbeitung von Klärschlamm sei auch das als experimenteller Versuch vor über zehn Jahren gestartete Projekt zu einem guten Ende gekommen.

Interessenten im ganzen Land stehen nun die umfangreich dokumentierten Erfahrungen zur Verfügung, um dem Beispiel der dezentralen Klärschlammveredlung zu folgen. Dabei werde der für jedermann erhältliche Erfahrungsbericht in Form eines Fachbuches eine große Hilfe sein. Er ist beim Mironde Verlag, der in Niederfrohna ansässig ist, erschienen und zu beziehen.

Der Bürgermeister fügte den Hinweis an, dass die neue Anlage ebenso Ausdruck der fruchtbringenden Zusammenarbeit zwischen der Stadt und dem Land – also der Großen Kreisstadt Limbach-Oberfrohna und der Gemeinde Niederfrohna ist. Und ohne ein vertrauensvolles Miteinander zwischen der Sächsischen Staatsregierung mit ihren Behörden und Einrichtungen wie der Sächsischen Aufbaubank und der SAENA GmbH auf der einen Seite und der Verwaltung unseres Zweckverbandes auf der anderen Seite, wären solche notwendigen aber riskanten Unterfangen genauso wenig denkbar. Risikofrei sind gravierende Innovationen aber nicht zu haben.

Klaus Kertzscher erinnerte daran, dass Staatsminister Thomas Schmidt am 20. Juni 2018 den ersten Baggeraushub zur Errichtung der neuen Anlage tätigte. Er überreichte dem Minister ein großformatiges Erinnerungsfoto. 

Thomas Schmidt (CDU), der Sächsische Staatsminister für Regionalentwicklung, sagte, dass er gern der Einladung gefolgt sei. Am heutigen Tag werde die Entwicklung einer weiteren Technologie zur Phophorrückgewinnung vollendet. Entscheidend für das Gelingen einer solchen Innovation sei, dass Leute von einer Idee begeistert seien. Einerseits sei es darum gegangen, den Phosphor im Abwasser zu reduzieren und andererseits darum, den Phosphor für den regionalen Naturkreislauf zurückzugewinnen. Beides sei in Niederfrohna technisch und betriebswirtschaftlich gelungen. Hier erinnerte der Minister an eine Vorstellung der Projektidee durch Dr. Steffen Heinrich auf der Leipziger Terratec Umwelt- und Entsorgungsmesse im 7. April 2017, die ihn beeindruckte. 

Der Minister gratulierte nocheinmal zum Mut für den innovativen Ansatz und wünschte dem Produkt, was ohne Zweifel in der Landwirtschaft eingesetzt werden könne, auch langfristigen Erfolg, wie auch weitere Anwendungsmöglichkeiten. Zudem wünschte er sich Nachahmer der neuen Technologie.

Danach stellte sich Dr. Heinrich den Fragen der Presse.

Auf die Frage, wie er auf solche verrückte Ideen komme, antwortete er zunächst im Scherz, weil er als Kind keine Modeleisenbahn gehabt habe. Im Ernst fuhr er fort, dass bereits 2008 auf der Abwassermesse in München das kommende, faktische Ausbringungsverbot für Klärschlamm zu ahnen war, wie es dann auch 2012 für 2015 erlassen wurde. Gleichzeitig sei ihm bewusst geworden, dass die zentralen Verbrennungsanlagen keine langfristige Lösung sein können. Einerseits werde das zu neuen Abhängigkeiten führen. So sei im Sommer 2019 in Lippendorf kein Schlamm zur Verbrennung angenommen worden. Der Schlamm habe sich in Niederfrohna gestaut. Andererseits sei der Klärschlamm aus der Region bis dahin wieder auf die Felder der Region ausgebracht worden. Es sei ein regionaler Naturkreislauf gewesen. Simple Zentralisierung könne diesen regionalen Kreislauf nicht ersetzen. Vielmehr sei ihm klar geworden, dass es um eine dezentrale Alternative gehen müsse. So habe er überlegt, ob es grundsätzlich eine Möglichkeit geben könne, den Schlamm in der Kläranlage selbst zu verarbeiten. Die Verbandsversammlung habe die Arbeit an einem Energetischen Konzept vorbehaltlos unterstützt. Das Sächsische Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft und der EU-Regionalentwicklungs-Fonds EFRE hätten das Konzept gefördert. 

Man habe sich in Frankreich in universitären Forschungseinrichtungen informiert. 2017 sei die erste Planung der Anlage fertiggestellt worden. Im Nachhinein wurde dieser Entwurf stark verändert und vereinfacht. Dieser Prozess ist im Buch genau beschrieben. Aber man habe damals schon gewusst, dass das Verfahren die Kompetenz über die Gesamttechnologie der Anlage erhalte, betriebswirtschaftlich rentabel sei, zu einer negativen CO2 -Bilanz führe und langfristig Kohlenstoff binde, ohne zusätzliche Schlamm-Transporte in zentrale Verbrennungsanlagen auskomme, ohne Zufuhr von Primärenergie (z.B. Erdgas) auskomme, keinen Abfall hinterlasse und den regionalen Naturkreislauf stärke.

Auf die Frage nach den Kostenvergleich zur Verbrennung antwortete Dr. Heinrich, dass im Moment 230.000 Euro jährlich eingespart werden, die für die Schlammverbrennung notwendig wären. Wobei für die nächsten 20 Jahre steigende Preise zu erwarten sind. Die getätigten Investitionen rentieren sich. Bei der Nachentwicklung des Verfahrens müssten die Umwege nicht mehr gegangen werden, die man beim ersten Versuch nicht zu vermeiden vermochte.

Die Frage sei für ihn gewesen, ob ein kleiner Zweckverband, wie der ZVF, eine solche Technik überhaupt beherrschen könne. Aber es habe sich gezeigt, dass die Anlage stabil laufe und normale Wartung und Kontrolle ausreiche.

Auf eine weitere Frage antwortete Dr. Heinrich, dass auf das Gesamtverfahren kein Patent angemeldet wurde. Die Entwicklung sei mit Steuermitteln zum Zwecke der Verbreitung des Wissens gefördert worden. Die beteiligten mittelständischen Unternehmen sollen ihr Wissen und ihre Erfahrungen auch nutzen dürfen. Es sei, wie man heute sage, eine Open-Source-Lösung.

Im Anschluss führten die Mitarbeiter Besuchergruppen durch die neue Anlage. 

Dr. Heinrich informierte Staatsminister Thomas Schmidt über die Details des Verfahrens.

Am Ende der Veranstaltung setzte starker Schneefall ein. Schwere, nasse Spätwinter-Flocken bedeckten die Zentrale Kläranlage in Niederfrohna. Die Aufregung des Tages legte sich langsam. Etwas Ruhe zog ein. Wir gewinnen Distanz und erkennen, dass am 31. März 2022 in Niederfrohna mit der dezentralen Dekarbonisierung ein Schritt in Richtung regionaler Stoffwechsel- und Naturkreisläufe vollzogen wurde. 

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des kleinen Abwasser-Zweckverbandes Frohnbach vermochten in einer Mannschaftsleistung über die Anforderung des Alltages hinaus die beeindruckende Innovation zu realisieren.

Clara Schwarzenwald

Information

Link zum Bericht des Regionalfernsehens: https://www.kabeljournal-chemnitzer-land.de/index.php?option=com_content&task=view&id=5175&Itemid=1

Karin Heinrich/Steffen Heinrich: Klärschlammveredlung mit Pyrolyse. Vom Abfall zum Gartengold.

23,4 × 30,5 cm, 400 Seiten, fester Einband, Fadenheftung, Lesebändchen

Das Buch enthält 226 Fotos, 3 Karten, 56 Abbildungen 43 Tabellen und Diagramme.

Der Anhang enthält ergänzende Materialien zum Buch in digitalisierter Form (Filmaufnahmen, Dokumente, Versuchsprotokolle, Untersuchungsprotokolle und Prüfprotokolle von labortechnischen Untersuchungen).

VP 128,00 €

ISBN 978-3-96063-017-3

Bestellmöglichkeit in jeder Buchhandlung

oder direkt beim Verlag: https://buchversand.mironde.com/epages/es919510.sf/de_DE/?ObjectPath=/Shops/es919510/Products/9783960630173

REZENSIONEN ZUM EVALUIERUNGSBERICHT: VOM ABFALL ZUM GARTENGOLD. 

KLÄRSCHLAMMVEREDLUNG MIT PYROLYSE

Von Prof. Dr. rer. nat., Dr. med., Dr. h.c. (mult.) Klaus Kayser (Heidelberg)

Es ist ein vielseitiges, gewichtiges und eindrucksvolles Werk. Das gilt sowohl für die Zielsetzung, die sich die Autoren gesetzt haben, als auch für deren Realisierung, für die ideellen als auch technischen Vorschläge, für die Darstellungen von Methoden und Ergebnissen, und schließlich auch für Leser, die ihre Kenntnisse im Rahmen ihres Einsatzes für Umwelt und Natur erweitern oder spezielle praktische Fragen beantwortet haben möchten.

Der potentielle Leser und Interessentenkreis ist somit weit gespannt. Das von K. Heinrich und S. Heinrich geschaffene Werk zeigt, dass sich die Autoren dieses Anspruches auch bewusst sind. Sie tragen ihm durch wohl geordnete und verständliche Vielseitigkeit, durch eine genaue und detaillierte Beschreibung der Veredlungsprozesse und durch Einbeziehung lokaler und allgemein politischer Bedingungen Rechnung. 

Das ist nicht nur in formaler Hinsicht originell, es beinhaltet zusätzlich künstlerische Elemente, die – wenn überhaupt – so nur selten anzutreffen sind.

Hierzu trägt die reichliche Bebilderung, die teilweise eine volle Buchseite ausfüllt, ebenso bei wie passende Zitate aus der klassischen Literatur (Aurelius Augustinus, Johann Gottfried Herder, Ricarda Huch) und Darstellung theologischer Lösungsvorschläge (Laudato si, Enzyklika, Papst Franziskus, 2015). 

Die häufig eingefügten Grafiken und mathematisch – wissenschaftlich gestalteten Zeichnungen dienen dem technisch wissenschaftlichen Aspekt des Buches, der sich auch im Titel widerspiegelt. 

Eine weitere formale Besonderheit darf auf keinen Fall unerwähnt bleiben. Im Gegensatz zu der üblichen Methodik, das Lesen eines Buches mit der ersten Seite zu beginnen, oder vielleicht, wie bei einem Kriminalroman, neugierig das Ende der Geschichte an den Anfang der Lesebemühungen zu stellen, wird der Leser dieses Werkes erst ab Seite 65 dazu aufgefordert, sich mit dem eigentlichen naturwissenschaftlichen Problem in klassischer Weise unter Einführung in die Problematik, Zielsetzung, Erklärungen. Definitionen etc. bekannt zu machen. Die sechzig Seiten zuvor sind der ‚Einstimmung‘ im Sinne einer politischen und ethischen Würdigung gewidmet.

Im Bioreaktor wird der getrocknete Klärschlamm bei 650 Grad Celsius, unter Sauerstoffabschluss, behandelt. Das Verfahren nennt sich Pyrolyse.

Hier tritt der wahre Charakter des Buches zu Tage. Komplexe hierarchisch und parallel miteinander reagierende biologisch – physikalisch – chemische Prozesse, die das vorgegebene natürliche Gleichgewicht nicht zerstören, sondern erhalten sollen, bedürfen einer über die Kenntnis der naturwissenschaftlichen Vorgaben hinausgehenden Darstellung und aktiver Handlungsweise im Sinne einer ‚politischen / ethischen Steuerung‘. Die im Labor erarbeiteten Aufarbeitungsmethoden und Trennungsprozesse (hier Pyrolyse) müssen von zusätzlichen Fachbereichen wie Wirtschaftlichkeit, Gesundheit, soziale Verträglichkeit begutachtet und nach deren Bedürfnissen unter Umständen umgestaltet werden. 

Andererseits hilft es der Allgemeinheit wenig, nur auf die komplexen Bedürfnisse mit heftigen Demonstrationen hinzuweisen, wenn praktische Lösungen nicht in Sicht sind und die aufgetretene Dynamik unumkehrbar die vorgegebenen Grenzzustände bereits überschritten hat. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass nicht jedes (praktische und / oder theoretische) Problem lösbar ist, und dass jedes Produkt auch ein Abfallprodukt induziert.  

So ist Klärschlamm ein unvermeidbares Abfallprodukt der Menschen, die weitab von jeglicher ‚Landwirtschaft‘ in dicht besiedelten Städten leben. Das von K. Heinrich und S. Heinrich in einer Zeitspanne von sieben Jahren intensiver Arbeit geschriebene Buch zeigt in eindringlicher Weise wie komplex und weitreichend ein ‚relativ simples Problem‘, die Abfallaufarbeitung (Klärschlammveredlung) ist. 

Es ist nicht nur ein bis in  winzigste Details ausgearbeitetes Fachbuch, sondern darüber hinaus eine ohne Vorbehalt zu empfehlende Anleitung für jeden ernsthaft an der Zukunft unseres Planeten interessierten Akteurs, der mit durchdachten Taten und persönlichem Einsatz vor Ort praktische Hilfe leisten möchte. 

Das Lesen dieses Buches lohnt sich in jedem Fall: Es erweitert naturwissenschaftliches Verständnis, führt in neue Denkkategorien und erleichtert dem Zögernden aktives umweltbezogenes Handeln.

Klaus Kayser, März 2022

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