Reportagen

May im Wien

Zunächst zweifelte ich, ob man der Nachricht Glauben schenken sollte. Karl May im »Stadt Wien«? Doch als ich die Gaststätte im originalen Ambiente der Wiener 1920er Jahre betrat, traute ich meinen Augen kaum. Da saß er, so, wie wir ihn von den Fotos kennen, und posierte vor den Fotografen der Weltpresse. (Hier Andreas Seidel von der Chemnitzer »Freien Presse«) Und neben May, saß seine einzige Tochter am Piano. Das hätte ich nicht erwartet, dass er auch noch seine Tochter mitbringt. Nein, dass …

Die Gaststätte füllte sich bis auf den letzten Platz. Moderator Dr. Andreas Eichler eröffnete mit dem Hinweis auf das Karl-May-Jahr 2012. Der am 25.2.1842 geborenen Meister habe eben seinen 170. Geburtstag begangen. Die großen Feuilletons seien voll von Erinnerungsartikeln. Damit habe man sich aber nicht zufrieden gegeben, man habe immer geglaubt, dass Karl May lebe. Am Telefon habe der Meister sofort zugesagt, als man ihn ins »Wien« einlud: »an Wien habe ich nur gute Erinnerungen …«

Voller Freude erwarte man nun seine Lesung aus der Neuerscheinung des Jahres 2012 mit dem Titel: »Der Teufelsbauer. Eine erzgebirgische Dorfgeschichte.«

Die Ungeduld wuchs. Dann, endlich, wie nach einer halben Ewigkeit, trat Karl May vor die Zuschauer. Sportlich, drahtig, braungebrannt. Man konnte deutlich die leicht gebogenen Reiterbeine erkennen. Naja, wenigstens die Fachleute. Unglaublicher Beifall. Die Zuschauer waren wie aus dem Häuschen. May erklärte, dass er sich sehr jung fühle. Jugend sei immer eine Frage des Geistes, nicht des Alters. Er habe die letzten Jahre im Brandenburgischen sehr zurückgezogen gelebt, doch in diesem Jubiläumsjahr 2012 … Seine Worte gingen im aufbrausenden Beifall unter.

Zur Überraschung der Gäste las May an diesem Abend tatsächlich nicht eine seiner berühmten Wild-West-Geschichten, sondern eine der Erzgebirgischen Dorfgeschichten mit dem Titel: »Der Teufelsbauer«. Aber neben dem Meister lag seine treue Büchse, stets griffbereit, wie in alten Zeiten.

Manche, schlecht informierte Zuschauer, zweifelten dem Anschein nach sogar, ob diese eine echte May-Geschichte sei. Aber alle wirklichen Fans wissen selbstverständlich, dass es sich bei diesen Geschichten um die literarischen Anfänge des in seiner Heimat verwurzelten Genies handelt.

Steffi, die Tochter des Meisters, ließ denn auch in den Lesepausen heimatliche Volksliedmelodien erklingen, die ihr Vater so liebt.

Der Meister las bereits eine knappe Stunde. Langsam baute sich die Spannung in der Geschichte vom Teufelsbauer auf. Gustav, der Neffe des als »Teufelsbauer« geächteten einsamen Helden, verliebt sich in die Tochter des ärgsten Feindes seines Onkels, und diese sich in ihn …

… doch an dieser Stelle betrat ein Mann mit energischen Schritten die Gaststätte und stellte sich als »Dr. Karl May« vor, der hier lesen wolle. Einen Doktortitel hatte der erste Karl May nicht vorzuweisen gehabt. Wortwechsel zwischen den beiden Mays. Der Moderator hatte große Mühe beide vom Einsatz ihrer bekannten »Schmetterhand« abzuhalten. Auch brachte er unauffällig die Büchse bei Seite. Dr. May zog darauf eine Pistole … steckte sie aber dann doch wieder in die Tasche. Tumult!

(Foto: Heinz Hammer)

Siegfried Hoyer, der Wien-Wirt, lieferte angesichts der gewaltigen Drohkulisse seine Billardkugeln freiwillig an die Mays aus. (Der Meister hatte sich einst aus einer anderen Limbacher Gaststätte solche Kugeln »ausgelayt«.) Der Moderator stellte dem Neuankömmling schwierige Fragen nach dem genauen Geburtszeitpunkt, Namen und Beruf der Eltern usw. Selbst die Fragen nach den Handlungsorten aus dem »Teufelsbauern« in der Nähe von Hohenstein konnte der neue Dr. May bemerkenswert exakt beantworten. So dass der Moderator den salomonischen Gedanken formulierte, dass es auf dieser Welt wohl mehr als einen Karl May geben müsse …

(Foto: Heinz Hammer)

Im Laufe des Abends gelang es dem Moderator, wie im wirklichen Karl-May-Roman, beide Kontrahenten zu versöhnen. Sie signierten auch beide anschließend ihre Neuerscheinung. (Beide verzichten aber beim Signieren auf den Doktortitel!)

Es war wieder ein Ereignis im Wien. Den Veranstaltern ist zu danken.

Johannes Eichenthal

 

 

Information

 

Karl May: Der Teufelsbauer. Eine erzgebirgische Dorfgeschichte. Mironde-Verlag 2012. Engl. Broschur, 96. Seiten. Illustrationen von Birgit Eichler. VP: 9,50 Euro

ISBN 978-3-937654-45-4

 

Zu beziehen im Mironde-Buchversand: www.mironde.com/buchversand

 

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