Reportagen

DER KONFUZIUS VON WEIMAR

Am Abend des 18. Mai begrüßt Siegfried Arlt, der Vorsitzende der Chemnitzer Goethe-Gesellschaft, den promovierten Juristen und ausgewiesenen Goethe-Kenner Manfred Osten (Bonn), vor einem sachkundigen und interessierten Publikum – alle die in Chemnitz ein Herz für Kultur haben, waren gekommen. Der angekündigte Titel des Vortrages lautetet „Goethe – der Konfuzius von Weimar – zur Aktualität von Goethes Chinaverständnis für das 21. Jahrhundert“. Manfred Osten (Jg. 1938), der schon wiederholt in der Chemnitzer Goethe-Gesellschaft zu Gast war, wirkte 25 Jahre im diplomatischen Dienst, zuletzt in Tokio, und war von 1995–2004 Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung. 

Sigfried Arlt stellte den Gast vor und führte das Publikum zum Vortragsthema hin. 

Manfred Osten begann mit dem Hinweis auf Johann Wolfgang Goethes (1749–1832) Gedichtzyklus „Chinesisch-deutsche Tages- und Jahreszeiten“ von 1830. Bereits 1813 habe Goethe gegenüber Karl Friedrich Knebel (1744–1834) sein grundsätzliches Interesse für China bekundet. Goethe ging soweit, zu sagen, dass er sich China als Fluchtort für den Fall der Not auserkoren habe. (Bekanntlich versuchte Goethe mehrfach aus Weimar zu flüchten, in der Regel nach Italien oder Böhmen.)

Das heutige Interesse Chinas an Goethe machte er an dem Goethe-Zitat „Nur der verdient sich Freiheit, wie das Leben, der täglich sie erobern muss“ fest, mit dem der heutige Präsident Xi Jinping, der vor 50 Jahren ins Exil nach Deutschland gegangen war, Bundeskanzlerin Merkel in deren Amtszeit in deutscher Sprache begrüßte. Heute arbeitet man in China, so Osten, an einer 45bändigen Werkausgabe Goethes.

Manfred Osten erläuterte im Anschluss, wie nach dem nihilistischen Bruch mit dem Kulturerbe unter Mao Zedong von einem seiner Nachfolger Deng Xiaoping das Kulturerbe wieder angenommen wurde. Für das Bildungswesen bedeutete das, dass die Ausbildungsanforderungen des alten chinesischen Leistungsadels (Mandarin) für die gesamte Volksbildung zugrunde gelegt wurden. Damit verbunden war die Alphabetisierung des ganzen Volkes mit der Schriftsprache, die vordem ein Privileg der Mandarine gewesen war. Aber bereits die chinesische Sprache erfordert ein besonders gutes Gehör und differenziertes Ausdrucksvermögen in verschiedenen Tonhöhen. Die Schriftsprache bedingt zusätzlich ein beispielloses Bildgedächtnis. Auf Deng Xiaoping führte Osten auch die besondere Förderung der sogenannten „MINT-Fächer“ (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technologie) in Schul- und Hochschulbildung zurück. Osten verwies zudem auf die hohen Anforderungen der Prüfungen und des auf sie vorbereitenden Unterrichts. 

Manfred Osten konnte seine Begeisterung für die Ergebnisse des chinesischen Bildungswesens nur schwer verbergen. Er nannte u.a. 600.000  Ingenieure, die jährlich ausgebildet die Hochschulen Chinas verlassen. (Neuere Zahlen gehen sogar von 1,4 Mio. aus, dazu kommen die chinesischen Ingenieure, die im Ausland, u.a. in Deutschland ausgebildet werden.) Die Akademie der Wissenschaften Chinas ist mit 50.000 Wissenschaftlern inzwischen die bedeutendste der Welt und im Regierungsapparat arbeiten ausschließlich Absolventen von Eliteuniversitäten. Man konnte die Gemütsbewegungen der Zuhörer vernehmen, als Osten zum Vergleich aktuelle Zahlen zum Zustand des deutschen Bildungswesens nannte.

In der Diskussion ging Manfred Osten auf Fragen der heutigen Wertschätzung von Kaligraphie ein. Prof. Friedrich Naumann verwies auf eine frühe chinesische Übersetzung des Werkes „De re metallica“ aus der Feder des Chemnitzer Gelehrten Georgius Agricola. Naumann verwies auch auf den Vorfall an der Universität Halle von 1723. Der Philosoph Christian Wolff (1679–1754) hatte in einer Vorlesung dargelegt, dass die Chinesen mit ihrer Religion auch glücklich seien. Würdenträger der christlichen Kirchen, darunter der Mitbegründer der Universität, August Hermann Francke (1663–1727), erwirkten darauf beim preußischen König Friedrich Wilhelm I. die ultimative Ausweisung Wolffs aus Halle, binnen 24 Stunden unter Androhung der Todesstrafe. Christian Wolff wurde darauf an der Universität Marburg als Märtyrer der Aufklärung gefeiert. Der preußische König Friedrich II. berief Wolff 1740 zurück nach Halle. 

Siegfried Arlt dankte Manfred Osten für seinen anregenden Vortrag. Die Goethe-Gesellschaft Chemnitz machte mit dieser Veranstaltung erneut deutlich, dass sie die Bewahrung klassischen Bildungsgutes und Anforderungen der Zukunft zu vereinigen vermag. Die Veranstaltung war ein Ereignis. Allen Aktiven ist zu danken. Wir bedauern alle, die nicht dabei waren.

Die traditionsreiche Evangelische Buchhandlung Max-Müller aus Chemnitz, hier mit einer bibliophilen Faust-Ausgabe, bereicherte die Veranstaltung mit einem Büchertisch.

Ergänzung

Der protestantische Generalsuperintendent Johann Gottfried Herder (1744–1803) befasste sich in Weimar auch mit orientalischen Religionen und kannte selbstverständlich auch die Texte von Konfuzius oder Laudse. Die Informationen über Buch-Neuerscheinungen liefen über „Literarische Korrespondenzen“, wie sie Friedrich Melchior Grimm (1723–1807) aus dem Umkreis der Pariser Enzyklopädisten an den Prinzen August von Sachsen in Gotha lieferte, und der sie dann an Herder, Wieland, Goethe u.a. weitergab. Als zum Beispiel der französische Gelehrte Abraham Hyacinthe Anquetill Duperon (1731–1805) im Jahre 1771 nach einer Persien-Reise Zarathustra-Texte veröffentlichte, hatte Herder in Weimar Kenntnis davon. In seinem Hauptwerk „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ vermutete Herder im 1785 veröffentlichten zweiten Teil, dass die ältesten Kulturen und Staaten in Asien entstanden, dass China eines der ältesten Schriftsprachen besaß, und dass alle anderen Erdteile in Sachen Schrift vom Orient lernten. Herder kannte bereits die Details, dass zum Beispiel jedes chinesische Zeichen in 5–7 verschiedenen Tonhöhen ausgesprochen werden kann, und dass das ein feines Gehör erfordert. (Johann Gottfried Herder. Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. In: Herder-Werke in 3 Bänden. Hrsg. von Wolfgang Proß, München/Wien 2002, Bd. III/1, S 348 ff. ) Das europäische Verhältnis zu China sah Herder 1785 als bisher vom Schwanken zwischen übermäßigem Lob der chinesischen Staatsverfassung und arrogantem Tadel bestimmt. Es sei an der Zeit, so Herder, einen Mittelweg in der Einschätzung Chinas zu finden. (Ebenda, S. 394)

Herder verteidigte in seinem Hauptwerk „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ die Tradition der Philosophie als Weisheit von Plato, Aristoteles, Maimonides, Spinoza, Leibniz u.a. gegen die Reduktion von Philosophie auf berechnenden Verstand, auf mathematische Logik, durch Kant.

Walther Rathenau knüpfte hundert Jahre später an Herders Kant-Kritik und der Weisheit an. In seinem Hauptwerk „Von kommenden Dingen“ beschreibt er, dass sich inzwischen die europäisch dominierte Industrie mit bloß berechnender Vernunft verbunden und eine Maschinerie hervorbrachte, die das ganze Leben der finanziellen Effizienz unterordnet. Die akademische Philosophie, Rathenau nennt sie wegen ihrer Beschränkung auf die mathematisch-quantifizierende Methode „Intellektualphilosophie“, helfe den Menschen nicht nur nicht, ein Gegengewicht gegen die materielle Gewalt des Effizienzstreben zu finden, sie beschleunige die Maschinerie sogar. Die geistige Kraft, die Seelenstärke, die nach Rathenau notwendig ist, um nicht vom Streben nach finanzieller Effizienz versklavt zu werden, ist die Weisheit.

Auch in China wird man künftig um die höhere Wertschätzung der Weisheit nicht umhinkommen. Im Unterschied zu Europa, in dem seit Beginn der Neuzeit die bloß quantifizierende Naturwissenschaft zur Grundlage des Herrschaftsanspruchs gegenüber der Natur und gegenüber den anderen Kulturen gemacht wurde, blieb in China die jahrtausendalte Weisheit als Einheit von Glauben und Vernunft immer präsent, auch wenn sie sich zeitweise „in die Berge“ zurückziehen musste.

Auch wir bedürfen der Lektüre der Schriften von Konfuzius und Laudse in unserer Bildung zur Humanität.

Johannes Eichenthal

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

One thought on “DER KONFUZIUS VON WEIMAR

  1. Ein trefflicher Bericht, eine Erinnerung an unser Erbe und eine Ermahnung, daran anzuknüpfen. Auch an Weise wir Goethe, Konfuzius, Laotse, Meister Eckhart, um nur einige zu nennen. Schön, daß es solche Menschen wie Herrn Osten und den Berichterstatter Johannes Eichenthal gibt. Beide würden wir gerne auch in unserem etwas westlicheren Kreis sehen.

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