Reportagen

SÄCHSISCHE BERGBAUKUNST

Am 27. Januar hatte das Kulturzentrum Erzhammer in Annaberg-Buchholz zu einer Buchvorstellung eingeladen. Die Veranstaltung fand im Rahmen der traditionsreichen Januar-Ausstellung statt, in der Volkskunst und Mentalitätsgeschichte dokumentiert wird. Im sogenannten „Auditorium“ sollte der Wissenschafts-, Technik- und Hochschulhistoriker Prof. Dr. Friedrich Naumann sein Buchprojekt „Sächsische Bergbaukunst im 18. Jahrhundert auf dem Weg nach Russland“ vorstellen.

Die Hausherrin, Frau Kristin Baden-Walther, begrüßte die Gäste und Prof. Dr. Friedrich Naumann. 

Naumann entwarf ein faszinierendes historische Panorama, das weit über das Erzgebirge und Annaberg-Buchholz hinausreichte. Er stellte zunächst die rhetorische Frage, was „Bergbaukunst“ sei. Im 19. Jahrhundert ging dieser Ausdruck, wie auch „Baukunst“ u.ä., im Spezialistentum unter. Im Griechischen stand das Wort „techne“ für „Kunst“. Also eine Verbindung von Technik und Kunst, praktischen Erfahrungen, theoretischem Wissen und einem weiten Horizont. Naumann nannte die herausragenden Vertreter der europäischen Bergbaukunst am Beginn der Neuzeit: Vannoccio Biringuccio (1480–1537) aus Italien, den gebürtigen Glauchauer Georgius  Agricola (1494–1555) und den in Annaberg geborenen Lazarus Ercker (1528/30–1594). Dann folgte auch schon Gottfried Wilhelm Leibniz (1746–1716) und sein Werk „Protogaea oder Abhandlung über die erste Gestalt der Erde. Leipzig 1749. Leibniz war es, der in Europa zwischen Hannover, Paris, Wien, Berlin, Dresden und Moskau vermittelte. So stand er auch mit Zar Peter dem I. (dem Großen) in Verbindung. 

Innenseiten aus dem zweisprachigen Buch

Peter I. besuchte am 1. Juni 1698 in Dresden Friedrich August I. (den Starken), den König von Polen. Es war eine Begegnung zwischen Nachbarn. Zur Erhaltung der guten nachbarschaftlichen Beziehungen einigten sich beide Monarchen auf Hilfe und Zusammenarbeit beim Aufbau des Montanwesens im rohstoffreichen Russland. (S. 56 ff.) Ein zweites Mal kam Peter I. im September/Oktober 1711 nach Dresden. Von Dresden aus besuchte er die Hochzeit seines Sohnes, Kronprinz Aleksej Petrovic (1690–1718) mit Prinzessin Charlotte Christine Sophie von Braunschweig-Wolfenbüttel (1694–1715) in Torgau. (S. 68) Auf der Rückfahrt nach Dresden saß Gottfried Wilhelm Leibniz, der die Gründung der Akademie der Wissenschaften zu Berlin initiiert hatte, in seiner Kutsche. 1724/25 wurde nach Berliner Vorbild eine Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg gegründet. In Dresden wurden weitere Vereinbarungen zum Wissenschaftsaustausch getroffen. Die Nachfolgerin Peters I., Katharina II. (1729–1796), setzte die strategische Politik Peters in größerem Rahmen fort. In ihrer Regierungszeit wurde die Bergakademie in St. Petersburg 1774 gegründet. Bezeichnend für das Niveau der damals Regierenden ist, dass Katharina mit dem Kopf der französischen Enzyklopädisten, Denis Diderot (1713–1784), über die Entwicklung des Weltwissens im Briefwechsel stand.

Im Buch finden wir im Anschluss eine Art von Fallstudien zum Aufbau einer Bergbauverwaltung in Russland durch Oberberghauptmann Abraham von Schönberg (S. 78 ff.), zum Personaltransfer von Sachsen nach Russland (S. 104 ff.), zur ersten Delegation russischer Studenten um M. V. Lomonosov in Deutschland (S. 134 ff.), zum Grundlagenstudium der Delegation an der Universität Marburg (S.144 ff.), zum Spezialstudium in Freiberg (S. 162 ff.) und zu Lomonosovs Weg zur Wissenschaft (S. 196 ff.). Damals gab es in Freiberg noch keine Möglichkeit eines universitären Grundlagenstudiums. Die russischen Studenten mussten nach Marburg, um unter der Leitung Christian Wolffs (1679–1754) an der dortigen Universität Grundlagen der Bildung zu erwerben. Nach Freiberg gingen sie 1739 zu einer Spezialausbildung bei Bergrat Johann Friedrich Henckel (1678–1744), der vor allem Laborversuche betrieb. Im Nachhinein merkte Lomonosov an, dass ihn in Freiberg am meisten die Begegnung mit erfahrenen Bergleuten und Steigern beeindruckte. Ebenso habe die Befahrung der Schächte bei ihm zu ersten Vorstellungen und Erkenntnissen von den Gesetzmäßigkeiten der Erde geführt. (S. 180)

Bei der Behandlung des Bergbaus in Sachsen und im Erzgebirge darf man nicht vergessen, dass Mitteldeutschland bereits im zweiten Jahrtausend vor der Zeitrechnung zur ersten frühbronzezeitlichen Kultur Europas gehörte, die sich zwischen der Westslowakei und Niedersachsen erstreckte. Zinn aus dem Erzgebirge war ein Grundelement für die Bronzeherstellung. Die Bergbau-Kenntnisse aus ganz Europa wurden bereits damals ausgetauscht. Insofern steht die Aufnahme ausländischer Studenten in Freiberg in einer jahrtausendalten Tradition. Die Universitäten beschränkten sich im 18. Jahrhundert noch auf rein theoretische Wissensvermittlung. Ehrenfried Walther von Tschirnhaus (1651–1708) musste bis zur Universität im niederländischen Leyden reisen, um universitäre Ausbildung mit Experimenten kennenzulernen. In Sachsen gab es eine solche Möglichkeit noch nicht. Ab 1702 ließ der Oberberghauptmann in Freiberg staatlich finanzierten Stipendiaten ausbilden. Bis 1766 durchliefen im Durchschnitt zwei Studenten pro Jahr diesen Weg. 1726 reichte der Leipziger Pfarrer und Privatdozent Christian Ehrenfried Seyffert beim Kurfürsten ein Gesuch zur Gründung einer Bergakademie in Bräunsdorf bei Freiberg ein. Erst mehr als 20 Jahre nach dem Aufenthalt Lomonosovs in Freiberg wurde 1765 die Bergakademie in Freiberg gegründet. Am Ende des 18. Jahrhunderts zog die Bergakademie, und besonders Bergrat Abraham Gottlob Werner (1749–1817), bereits Studenten aus ganz Europa an. 

Am Ende des Vortrags dankte Frau Baden-Walther dem Referenten und kündigte den Tag der Heimatgeschichte am 21. April im Erzhammer an.

Der nachweihnachtliche Annaberger Markt. Im Intergrund die St.-Annen-Kirche, rechts das Kulturzentrum Erzhammer

Prof. Dr. Friedrich Naumann legt mit diesem Buch ein Grundlagenwerk für die Erforschung des Zusammenhanges von sächsisch-erzgebirgischer und europäischer Bergbau- und Wissenschaftsgeschichte vor. Gerade der Wechselbezug der Region zum europäischen Rahmen, und umgekehrt, erschließt eine neue Sicht auf die Entwicklung. Das Buch gehört in jede Bibliothek.

Johannes Eichenthal 

Information

Friedrich Naumann: Sächsische Bergbaukunst im 18. Jahrhundert auf dem Weg nach Russland

Fester Einband 23,0 × 23,0 cm, 256 Seiten, zweisprachig Deutsch/Russisch; 88 z.T. farbige Abbildungen und Fotos. VP 39,90 Euro ISBN 978-3-96063-045-6

Beziehbar in der Buchhandlung oder direkt beim Verlag: https://buchversand.mironde.com/p/saechsische-bergbaukunst-im-18-jahrhundert-auf-dem-weg-nach-russland

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

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