Eberhard Görner
Reportagen

EBERHARD GÖRNER ZUM 80.

Am 7. September beging Prof. Eberhard Görner seinen 80. Geburtstag. Die Menschen, die ihm öfter begegnen, werden diese Zahl wohl nicht glauben. Sie kennen den Jubilar als einen Menschen, der weite Autofahrten zurücklegt, um ein Buch vorzustellen oder einen Film aufzuführen, der Bekanntschaften vermittelt und Ideen versprüht. Sie kennen ihn als einen Menschen, der als Kultur-Scout wichtige Themen erkundet. Er war einer der ersten, der über Interviews mit Nonnen, die Frage stellte, was uns die Klosterkultur heute zu sagen hat. Er war einer der ersten, der auf den unterschätzten Dr. Walther Rathenau aufmerksam machte. Er war einer der ersten, dem Dr. Gottfried Berman-Fischer ein Interview zum S. Fischer-Verlag gewährte. Er war einer der ersten, der auf den Psychoanalytiker Hans Keilson aufmerksam machte. Er war einer der ersten, der einen neuen Blick auf Salman Schocken einbrachte. Er machte die Lebensgeschichte Franz Cohns, des Neffen Berman-Fischers, als Buch zugänglich. Aus seinem Making-of des Fernsehfilms »Die Manns«, welches den Hauptfilm in den Schatten stellte, entsprang ein Interviewfilm mit der Meeresforscherin und Mitglied des Club of Rome Dr. Elisabeth Mann-Borgese. Eberhard Görner setzte in seinem Trabant-Film sowohl dem Zwickauer Dr. Werner Lang als auch dem Wolfsburger Prof. Dr. Carl H. Hahn ein Denkmal. Wir könnten diese Reihe noch lange fortsetzen. Wichtig ist, dass Eberhard Görner ein Gespür für Zukunftsthemen hat und ein begnadeter Gesprächspartner ist. Möge ihm diese Kombination noch lange erhalten bleiben.

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P. Dr. Gabriel Lobendanz (OCist) beim Signieren nach der Buchpremiere im Zisterzienserinnen-Kloster Waldsassen

Wir trafen mit ihm 2008 bei der Premiere des Filmes »Ruhen in der Zeit« im Zisterzienserinnen-Kloster Waldsassen erstmals zusammen. Bei den Dreharbeiten hatte sich Eberhard Görner mit dem verdienstvollen, und in Waldsassen beliebten, Spiritual des Klosters, P. Dr. Gabriel Lobendanz (OCist), ausgetauscht. Beide hatten voneinander gelernt und Gemeinsamkeiten festgestellt. Dabei kam zur Sprache, dass der Pater Aphorismen schreibt. Es gehört zu den Wesenszügen Eberhard Görners, dass er in solchen Situationen vermittelt. So erschien 2009 in der Kammweg-Reihe des Mironde-Verlages ein Büchlein mit dem Titel »Klosteraphorismen«. Die Reihe war dazu gedacht die Kontakte zwischen dem sächsischen, tschechischen und fränkischen Erzgebirge zu stärken. Das gelang damals noch nicht. Erst der Welterbe-Status veränderte später die Lage.

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In einer ähnlichen Situation vermittelte Eberhard Görner Gudrun Wendlers Künstlerbuch »Aug um Ohr«, das im Mironde Verlag erschien.

Eberhard Görner

Eberhard Görner war 2010 Herausgeber eines Buches mit dem Titel »Weißes Gold im Erzgebirge«. Neben der Wertschätzung der Kaolin-Lieferung durch die Firma Schnorr von Carolsfeld für die Hartporzellanherstellung im Dresdner Geheimlabor wurde hier durch ehemalige Führungskräfte der Porzellan-Manufaktur in Meißen die Legende von der alleinigen Hartporzellanerfindung durch Böttger in Frage gestellt. Man brachte sieben Freiberger »Arkanisten« (Ofenbauer, Schmelzmeister u.a.) ins Spiel, die auf Befehl des Kurfürsten nach Meißen gingen und die Porzellanherstellung zum Laufen brachten. Die eigentliche Erstherstellung des Hartporzellans erfolgte aber weder durch die Freiberger noch durch Böttger sondern durch Ehrenfried Walther von Tschirnhaus. (Das Buch ist heute leider vergriffen)

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2013 gehörte Eberhard Görner zu einer Autorengruppe, die ein zeitgemäßes Buch über den Erzgebirgskreis vorlegten. Das Spektrum reichte von Heimatsagen bis zur Automobilproduktion. Die Autoren hatten ihr Berufsleben lang in der Region Erzgebirge arbeiten können. Das Buch stellte auch ein Fazit der journalistischen Arbeit dieser Generation dar. Eine solche Autorengruppe und ein solches Buch ist heute nicht mehr vorstellbar. (Das Buch ist leider vergriffen)

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Freunde feierten Eberhard Görner nach der Premiere

Wir durften am 20. August 2011 die  Premiere Eberhard Görners Rathenau-Filmes »Von kommenden Dingen« im Teehäuschen des Schlösschens Bad Freienwalde miterleben. Es war ein illustres Publikum versammelt, u.a. der ehemalige Generalkonsul der Bundesrepublik in Los Angeles, Dr. Hans-Jürgen Wendler und seine Gattin, zu dessen Zuständigkeit einst auch Hollywood gehörte. Auch Hartmut Schnorr von Carolsfeld und seine Gattin ließen es sich nicht nehmen, die Premiere zu erleben. Eberhard Görner  hob damals gegen alle Widerstände die historische Bedeutung Rathenaus hervor. (Wir berichteten damals von der Veranstaltung: https://www.mironde.com/litterata/624/reportagen/ein-mann-der-zukunft-neuer-dokumentarfilm-uber-walther-rathenau)

Eberhard Görner

Eberhard Görner nach der Filmaufführung in Schwerin

2017 gab es in Deutschland drei (!) Veranstaltungen zum 150. Geburtstag Rathenaus. Eine im Auswärtigen Amt, zu der der damalige Amtsinhaber nicht erschien; eine an der Akademie in Mainz, in der die Journalismus-Legende Wilhelm von Sternburg aus der Rathenau-Biographie Harry Graf Kesslers las; und eine der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Schwerin. Dort führte Eberhard Görner seinen Film auf und diskutierte danach mit dem Publikum. Einzelne Zuhörer, dem Anschein nach Musil-Leser, meinten, dass Rathenau eben doch nur ein »Kapitalist« gewesen sei. Solche Situationen reizten Eberhard Görners jugendlichen Geist noch mehr. Es wurde ein schöner Abend. (Unser Litterata-Bericht https://www.mironde.com/litterata/6563/reportagen/von-kommenden-dingen)

Eberhard Görner

Eberhard Görner am 18. August 2021 zur Premiere des zweiten Bandes der »Literarischen Wanderung durch Mitteldeutschland. Von Goethe bis Rathenau«, im Teehäuschen des Schlosses Freienwalde.

Als wir die Reportage schrieben, und die fünf-Bände Rathenau-Werke aus dem S. Fischer-Verlag und die zwei Briefbände aus dem Carl-Reissner-Verlag Dresden noch einmal gelesen hatten, mussten wir die Rückständigkeit der Forschung konstatieren. Sowohl die DDR-Literaturwissenschaft als auch die Herausgeber der 1967 begonnenen, und noch nicht abgeschlossenen, Rathenau-Gesamtausgabe, übernehmen unkritisch das Mystizismus-Verdikt Robert Musils gegen Rathenau. In einem Interview aus dem Jahre 1926, vier Jahre nach der Ermordung Rathenaus trat Musil noch einmal nach. Er hob ausdrücklich hervor, dass er in seinem Roman, der später »Mann ohne Eigenschaften« getitelt wurde, mit der Figur des Dr. Paul Arnheim eigentlich Walther Rathenau darstellen wollte: Eine Person, die sich als Schöngeist ausgebe, jedoch ausschließlich nach Kapitalinvestitionsmöglichkeiten suche. 

Diese Darstellung geht vollständig an Leben und Werk Rathenaus vorbei und enthüllt die seelischen Mängel dieses Ex-Kadetten Musil. Wie sind die Wissenschaftsstrukturen beschaffen, die solche Ressentiments unkritisch weiterführen?

Eberhard Görner

Zur Vorpremiere der »Literarischen Wanderung durch Mitteldeutschland. Von Goethe bis Rathenau«, am 17. August 2021, im Lindenhof Niederfrohna, kamen mehr als 60 Gäste.

Wir brauchten bis zum Jahr 2021, um in Sachen Rathenau zur Position unseres Kultur-Scouts aufzuschließen, um Rathenau einigermaßen zu verstehen. Dieser schreibt verständlich und essayistisch. Bei der ersten Lektüre glaubt man ihn verstanden zu haben. Bereits bei der zweiten Lektüre muss man sich korrigieren usw. Allerdings eröffnete sich uns damit ein Blick auf den Ozean der Geschichte, wie er uns seit Meister Eckhart, Gottfried Wilhelm Leibniz und Johann Gottfried Herder nicht mehr zu Teil wurde. Gottfried Wilhelm Leibniz war durch die Mentorschaft Christian von Boineburgs und Erzbischofs Philipp von Schönborn zu einem gewaltigen wissenschaftlich-diplomatischen Lebenswerk angeregt worden. Er wollte verhindern, dass sich ein Dreißigjähriger Krieg auf deutschem Boden wiederholt und die katholische Seite zur Aufgabe der Gegenreformation bewegen. Er vereinigte gegensätzliche Strömungen des Denkens und erweiterte unsere Sicht auf das sprachlich-literarische Erbe. Er engagierte sich in Verhandlungen im Kloster Loccum für die Wiedervereinigung der christlichen Religionen. Er nahm intensiv die Berichte der Jesuiten über die Religionen in China zur Kenntnis. 

Wenn man all dieses und das Lebenswerk Walther Rathenaus bedenkt, dann kann man ihn, trotz aller Unterschiede, vielleicht als den Leibniz des 20. Jahrhunderts bezeichnen.

Eberhard Görner

Lieber Eberhard, Du hast uns zu diesen Exkursen angeregt. Wir konnten dadurch wichtige Zusammenhänge erkennen und in unserem zweiten Band der »Literarischen Wanderung durch Mitteldeutschland. Von Goethe zu Rathenau« einen Zwischenbericht geben. (https://buchversand.mironde.com/p/literarische-wanderung-durch-mitteldeutschland-von-goethe-bis-rathenau-sprache-eigensinn-2-1) Wir sind Dir für Dein Geleitwort zu diesem Buch dankbar.

Bleibe wie Du bist!

Birgit und Andreas Eichler

 Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

One thought on “EBERHARD GÖRNER ZUM 80.

  1. Eberhard Görner zum 80. Geburtstag. Eine Begegnung

    Es war im Jahre 1988, als ich das Dartmouth College in New Hampshire, USA, besuchte. Ich war damals Professor für Deutsche Literatur an der Plattsburgh State University in New York. Ich freute mich auf diese kleine Reise, die mich über den Lake Champlain und das bergige, grün-bewaldete Vermont führen würde. Angekündigt war die Vorführung einiger Filme von DDR-Filmemachern und Autoren. Unter anderen war Frank Beyer da, sowie ein Mann mit wallendem Haarschopf und rotem Pullover. Nach der Filmvorführung schlenderte er an meinem Sitz vorbei und ich grüsste ihn. Der rote Pullover blieb stehen und wir kamen ins Gespräch. Ich stellte mich vor und sagte, dass ich aus Fürstenberg/Havel sei, im Westen aufgewachsen, und nun in den USA unterrichte. Der Mann stellte sich vor: “Eberhard Görner, Bad Freienwalde. Fürstenberg kenne ich auch. Schönes Städtchen. Viel Wasser drumherum.” Wir tauschten Adressen aus, dann schlenderte er weiter.
    Ein Jahr später fiel die Mauer. Ich erhielt viele Anfragen von Kollegen und Studenten, die wissen wollten, was meine Meinung sei und wie ich die politische Lage einschätze. Der Provost der Universität lud mich zu einem Gespräch ein und wollte wissen, ob ich nicht ein Symposium organisieren könne, das ein Licht auf die politischen Ereignisse würfe. Ich nahm diese Gelegenheit freudig wahr und erwiderte, dass ich einen Autor und Filmemacher aus der DDR kenne, den ich einladen würde: Eberhard Görner. Gesagt, getan. Nach einigem Briefwechsel stand fest: Eberhard Görner würde an unserer Universität einen Vortrag über die gegenwärtige politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage Deutschlands nach dem Mauerfall halten. Das Symposium wurde in der Lokalzeitung, im Rundfunk und natürlich auf dem Campus publiziert. Man wartete mit Spannung auf die Neuigkeiten aus dem Osten.
    Ich holte Eberhard Görner vom Flughafen in Montreal, Kanada, ab und wir fuhren an die amerikanische Grenze. Dort verlangte man die Pässe zu sehen. Görner zeigte seinen DDR-Pass. Der Beamte schaute sich ihn an, drehte und wendete ihn, hielt ihn hoch gegen das Licht, dann reichte er ihn an Görner wieder zurück und meinte, dieser Pass sei nicht gültig, er könne keine Einreise bewilligen. Ich erwiderte, Herr Görner, ein Filmemacher und Autor, sei von der hiesigen Universität eigens zu einem Vortrag eingeladen worden, ich sei dort Professor, usw. Nach einigem Hin-und-her wurde die Einreise bewilligt.
    Erleichtert fuhren wir in die USA ein. Auf der Weiterfahrt fragte ich Eberhard, wir duzten uns bereits, nach seinem Vortrag, den er ja doch auf Englisch halten würde…nicht wahr? “Also weisst du, Jürgen, mein sächsisch ist wesentlich besser als mein angel-sächsisch. Ich habe ihn auf Deutsch geschrieben.”
    Ich trat aus Versehen auf die Bremse.
    “Das Symposium ist morgen,” sagte ich mit belegter Stimme. “Ach, wir machen das so, wie es international üblich ist,” meinte Eberhard lächelnd. “Ich lese die erste Seite auf Deutsch vor, dann wird der Rest von dir auf Englisch vorgetragen.”
    Von dieser internationalen Gewohnheit hatte ich noch nie etwas gehört. Ich wusste nur, dass mir eine lange Nacht bevorstand…
    Der Vortrag, das sei noch erwähnt, war bei vollem Hörsaal ein Erfolg, denn er gab auch einen Einblick in die nun neue und schwierige Situation für die Kulturschaffenden der ehemaligen DDR.
    In den darauf folgenden Jahren besuchte Eberhard wieder die USA und Kanada, und er zeigte seine Filme und hielt Vorträge an Universitäten in Quebec, New York, Vermont, Kalifornien, Oregon, New-Mexico, und anderswo. Seit dieser Zeit ist aus unserer kurzen Begegnung am Dartmouth College eine enge Freundschaft geworden, die bis heute anhält. Vielleicht sei noch erwähnt, dass auf der Rückfahrt, als ich Eberhard wieder zum Flughafen in Montreal fuhr, wir an der kanadischen Grenze keine Einreisegenehmigung erhielten. Die DDR gäbe es nicht mehr, meinte der Beamte, also sei der Pass ungültig. Nach dem üblichen Hin-und-her wurden wir zu seinem Vorgesetzten geführt, der in seinem Büro saß und Kaffee trank. Er hörte sich alles ruhig an, dann fragte er Eberhard, ob er irgendwann einmal nach Berlin käme. “Aber ja,” sagte Eberhard, “morgen habe ich dort einen Termin.” Der Vorgesetzte nahm einen Schluck Kaffee, nickte und fragte dann: “Macht es Ihnen was aus, mir ein Stück von der Berliner Mauer zu schicken?” “Natürlich nicht,” erwiderte Eberhard, “wollen Sie ein graues Stück oder ein buntes mit Graffiti?”
    Jürgen Kleist. Shelburne, Vermont.

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