Sehr geehrte Damen und Herren,
wir wollen den Leser einige Zeitschriften empfehlen. Auf den ersten Blick wirkt das Spektrum, in unserer Zeit der Spezialisten, vielleicht zu breit. Es reicht von Umweltfragen über Buch- und Literaturgeschichte, Regionalgeschichte bis hin zur Fahrzeuggeschichte. Der »rote Faden« dieses Querschnittes ist der Versuch des Mironde Verlages zur Vereinigung der Gegensätze Konservation (Bewahren) und Innovation (Erneuern). Innovation ist schlechthin nur möglich, wenn man die Überlieferung kennt. Vollendet wird die Überlieferung erst mit der Neuanwendung. Insofern kann es nur die Vereinigung von Innovation und Konservation, die INNOKONSERVATION geben.
Heft 4/2023 der Zeitschrift „DLG-Mitteilungen“, die monatlich erscheint, trägt den Titel „Zukunft der Landwirtschaft.“ Auf dem Titel ist ein Schwerpunkt „Inflation“ mit dem Untertitel „Zwischen Inflation und Panik“ zu lesen. Der Inhalt gliedert sich übersichtlich in „Rubriken“. Nach Kommentaren und Meldungen aus der Landwirtschaft anderer Länder werden in der Rubrik „Inflation“ die Risiken aus der rasant wachsenden Geldentwertung für die Landwirtschaft benannt. Es folgen die Rubriken Pflanzenschutz Praxis, Betriebsführung, Betriebszweig Milch, Betriebszweig Schwein, Panorama, Impulse und Markt. In der Rubrik „Panorama Spezial“ widmen sich acht Seiten dem Thema Phosphorrecycling. Auf Seite 70 beginnt der Bericht von Christian Bickert mit der Frage: „Billiger Dünger aus der Kläranlage?“ Es folgt der Hinweis darauf, dass ab 2029 alle Klärwerke mit einer Reinigungskapazität von mehr als 50.000 Einwohnerwerten gesetzlich zur Phosphorrückgewinnung aus Klärschlamm verpflichtet sind. Dann folgt eine Feststellung: „Noch gibt es keine großtechnischen Lösungen, die die Anforderung an ein Düngemittel erfüllen. Die Masse des Klärschlammes wird heute verbrannt. Das sind 1,3 Mio. Tonnen Trockenmasse. 160.000 Tonnen werden entsorgt.“ (S. 70) Die entscheidende Frage für die Landwirtschaft, so wird in der Anmoderation deutlich gemacht, ist der Preis des Düngemittels.
Von Prof. Dr.-Ing. Karin Heinrich und Dr.-Ing. Steffen Heinrich wird unter der Überschrift „Es gibt noch große Baustellen“ die schwierige Situation der Phosphorrückgewinnung dargestellt. Einerseits werde mit den verschärften Vorgaben der seit dem Jahre 2015 anzuwendenden Düngemittelverordnung (DüMV) Klärschlamm kaum noch in der Landwirtschaft eingesetzt, und so sei der Weg in die Verbrennung („thermische Verwertung“) bereits damals vorgezeichnet gewesen. Allerdings wäre es ein Trugschluss, dass sich mittels Verbrennung sämtliche organischen Schadstoffe, denen man sich entledigen will, ohne weiteres beseitigen ließen. Denn dabei könnten auch Kleinstmengen an chemischen Verbindungen entstehen, die weitaus giftiger sind als jene im Klärschlamm. (S. 73) Dessen ungeachtet sei die übrig bleibende Klärschlamm-Asche zum „Düngemittel“ deklariert worden. Doch vor allem weil der darin enthaltene Phosphor nur schwer wasserlöslich ist, gebe es für den Asche-Dünger kaum Abnehmer. Als Alternative seien mehrere aus der Klärschlamm-Asche hergestellte Rezyklate im Gespräch. Es gebe jedoch noch kein Verfahren, welches es bis zu einer funktionierenden Produktionsanlage geschafft habe. Einige dieser Entwicklungen, wie z.B. das „Pontes-Pabuli-Verfahren“, verfolgten einen ganzheitlichen Ansatz. Dabei solle die Asche mit Säure aufgeschlossen und dann granuliert werden. Belastbare Aussagen über Homogenität und Pflanzenverfügbarkeit lägen im jetzigen Entwicklungsstadium des Verfahrens aber noch nicht vor. (S. 75). Das Ziel des größten Teils der übrigen Entwicklungsvorhaben sei hingegen lediglich auf die Gewinnung von Phosphorsäure für die chemische Industrie gerichtet, weil Phosphorsäure auf dem Weltmarkt hohe Preise erziele. Daraus könnte man zwar auch Phosphordünger herstellen, der jedoch sehr teuer wäre. Jedenfalls bliebe bei dieser Verfahrensweise der Großteil der verarbeiteten Klärschlamm-Asche als Abfall zur Beseitigung zurück. Laut aktueller Schätzungen könnten bis zum Termin 2029 vielleicht neun solcher Anlagen den großtechnischen Regelbetrieb aufnehmen. Sie würden bei weitem nicht ausreichen, die dann anstehenden Aschemassen von jährlich rund 0,8 Mio. Tonnen abzunehmen. So müsse der überwiegende Teil für lange Zeit zwischengelagert werden. Als eine in wenigen Einzelfällen mögliche Sonderform der Phosphat-Abtrennung wird die zielgerichtete Fällung aus dem Klärschlamm, meist als Magnesium-Ammonium-Phosphat (MAP), genannt. Dieses Komplexsalz ist unter dem Namen „Struvit“ bekannt. Zwar sei das gewonnene Rezyklat schadstoffarm und entspräche Düngertypen nach der Düngemittelverordnung. Andererseits ist Struvit jedoch schwer wasserlöslich und gelte somit als Langzeitdünger, weshalb es bei Landwirten genauso unbeliebt sei wie die Klärschlamm-Asche. Wie weiter berichtet wird, wären Phosphor-Fällungen auch mit Kalzium- und Eisenpräparaten möglich. In jedem Fall stünde aber noch die Entsorgung des abgereicherten Klärschlammes an. Der Ökologische Fußabdruck aller beschriebenen Verfahren wäre relativ schlecht. Die spezifischen Treibhausgasemissionen lägen im Bereich von +1,07 bis +1,73 kg CO2/kg P2O5. Für den üblichen, aus importiertem Phosphat-Erz hergestellten Mineraldünger betragen sie im Durchschnitt +1,20 kg CO2/kg P2O5. Würde die Klärschlamm-Asche unmittelbar als Dünger eingesetzt werden, stünden immer noch +0,73 Kg CO2/kg P2O5 zu Buche. Wie weiter berichtet wird, werde der ganzheitliche Ansatz der thermischen Veredlung regional anfallenden Klärschlamms zu regional nutzbarem Karbonisat bislang nur vereinzelt verfolgt. Dabei transformiere man die mit Abwärme getrocknete Biomasse Klärschlamm durch Pyrolyse (Sauerstoffabschluss/ 600–800° C) in ein festes, schwarzes, keimfreies, schad- und fremdstoffarmes Mineral-Produkt, das neben reichlich feinporiger Schwarzkohle ein breites Spektrum an Wertstoffen enthalte (u.a. mehr als 10 % Phosphat). Die erzielte Rückgewinnungsquote von Phosphor liege bei 90 %. Das sei mehr als bei allen anderen Verfahren. Dennoch werde diesem Produkt die Einordnung als Düngemittel bisher versagt. Das Karbonisat könne etwa das 1,6- bis 1,9-fache seiner Masse an Wasser aufnehmen, speichern und langsam abgeben. Es wirke auf mikrobielle Prozesse biokatalytisch, fördere das Bodenleben und verbessere die Qualität des Bodens. Eine verordnungsgemäße bodenbezogene Anwendung erfolge bislang z.B. als Additiv für die Kompostierung, zur Verminderung von Geruchsemissionen, zur Gülle-Homogenisierung, zur Effizienzsteigerung von Gärprozessen in Biogasanlagen u.a. Bei einem Feldversuch auf einer phosphorarmen Ackerfläche in Brandenburg habe die Universität Rostock bereits im ersten Versuchsjahr eine signifikante Erhöhung des pflanzenverfügbaren Phosphor-Gehaltes im Boden durch den Einsatz des Karbonisates festgestellt, zudem hätte sich bei Mais eine im Vergleich zur unbehandelten Fläche deutliche Ertragssteigerung gezeigt. Der ökologische Fußabdruck bei bodenbezogener Nutzung des Karbonisates betrage -0,42 kg CO2/kg. Bezogen auf den wertgebenden Phosphatanteil seien es -1,82 kg CO2/kg P2O5. Es ergebe sich also eine dauerhafte Festlegung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre. Einer Zulassung als Düngemittel, so das Fazit der Autoren, stünde damit nichts im Wege. Allerdings seien wohl einige der Vorgaben der DüMV offensichtlich veraltet, wenn die als Dünger unbrauchbare Klärschlammasche die Anforderungen erfülle, das Karbonisat mit nachgewiesener Phosphor-Düngewirkung und negativer CO2-Bilanz jedoch nicht. Dieser Reformbedarf der DüMV wird noch deutlicher erkennbar, wenn man bedenkt, dass mit dem beschriebenen Verfahren eine Einordnung in den regionalen Naturkreislauf erreicht, die bisherige Abfall-Vernichtungs-Denkweise überwunden und den Anforderungen der EU-Forderung nach „Zero Waste Technologies“ entsprochen wird. (Das Making of des Verfahrens in Niederfrohna, einschließlich Unterlagen, Prüfprotokollen usw. ist von den beiden Autoren in ihrer 400-Seiten-Publikation https://buchversand.mironde.com/p/vom-abfall-zum-gartengold-klaerschlammveredlung-mit-pyrolyse dokumentiert worden.)
Information
DLG-Mitteilungen, Frankfurt/Main, Heft 4/2022, ISSN 0341-0412, www.dlg.org
Das Frühlingsheft der Zeitschrift „Vier Viertel Kult“ der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz hat den Schwerpunkt „Natur- und Umweltschutz“. (S. 66 ff.) Es folgt ein Artikel mit der Überschrift „Klassischer Naturschutz und kämpferischer Umweltschutz“ (S. 7 ff.), in dem die historische Entwicklung seit den 1970er Jahren vergegenwärtigt wird. Ein weitere Artikel geht auf den Zusammenhang von Biodiversitäts- und Klimaschutz ein. (S. 11 ff.) Und es folgt ein Artikel mit dem Titel „Die Energiewende kann nur mit Technologieoffenheit und Risikobereitschaft gelingen. Der Weg zur unumgänglichen Klimaneutralität zur Rettung des Planeten führt über die Dekarbonisierung der emissionsstarken Industrie und deren Elektrifizierung durch Erneuerbare Energien.“ (S. 15 ff.) Nele Otto und Jörg Ramdor verweisen darauf, dass zum Beispiel die Genehmigungsverfahren von Windrädern 24 Monate dauern und dass 2022 weniger Windräder genehmigt wurden als in den Vorjahren. Ursache dafür seien nicht nur die bürokratischen Strukturen des Staates sondern auch „fehlende Abwägung von Risiken, fehlende Bereitschaft zu Kompromissen und dem Unverständnis der Notwendigkeit, persönliche Befindlichkeiten hintenan zu stellen“. (S. 15) Wem sagt man das? Immerhin verweisen die Autoren auch darauf, dass die Technologie zur Speicherung von alternativ gewonnener Energie nicht den heutige Anforderungen entspricht. Warum war das kein Schwerpunkt der steuerfinanzierten Großforschungseinrichtungen? Es folgt ein Artikel über Städte als „urbane Wärmeinseln“. Unbepflanzte, betonierte Flächen sind in der Tat ein zentrales globales Problem der Erwärmung, das noch nicht als solches behandelt wird. Warum eigentlich? Es folgen Artikel über natürlichen Pflanzenschutz, Waldumbau und klassischen Naturschutz. Man vermisst eine Literatursammlung zum Schwerpunkt, die in früheren Ausgaben von der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel beigesteuert wurde. Vielleicht wäre dann auch die Umweltenzyklika von Papst Franziskus „Laudato si“ aus dem Jahre 2015 erwähnt worden, der darauf verwies, dass ohne Beseitigung der Armut und vollständige Abrüstung an die Lösung ökologischer Fragen nicht zu denken ist, der die Wachstums- und Wegwerfwirtschaft als Ursache der einen Menschheitskrise benannte und der klarstellte, dass es um unsere Wiedereinordnung in den Naturkreislauf geht und dass die bloß quantifizierende Wissenschaft kein Bild vom Naturkreislauf zustande bringt. Vielleicht ist eine Fortsetzung der wichtigen Thematik in einem der nächsten Hefte möglich?
Information
Vier Viertel Kult. Vierteljahresschrift der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz. Frühling 2023, ISSN2192-600X, https://www.sbk-bs.de/vierviertelkult
Das Goethe Jahrbuch 2022 erschien als Band 139 der Gesamtfolge, herausgegeben im Auftrag des Vorstandes der Goethe-Gesellschaft von Frieder von Ammon, Jochen Golz, Helmut Heit und Stefan Matuschek.
Bei der Lektüre fühlt man sich sogleich in die Goethe-Zeit und das alte Weimar versetzt. Die Darstellung beginnt mit Beiträgen von Nachwuchswissenschaftlern. Es geht um das Schauspiel „Stella“, Goethes Verhältnis zur anonymen Autorschaft, zum Hafis-Zyklus, Faust I und Faust II … In der Rubrik Abhandlungen lesen wir von Goethes musikalischen Bedürfnissen, der Vertonung eines Goethe-Textes, Ludwig Ganghofers Goethe-Rezeption, Thomas Manns Goethe-Roman „Lotte in Weimar“, Goethe-Wörterbuch, Goethe-Gedichten in der historisch-kritischen Ausgabe, Goethes Schweizer Zeichnungen, einem Goethe-Bühnenmanuskript, einem unbekannten Brief an Goethe und neuen Blicken auf Newton und Goethe. Im letzten Beitrag bleiben wir hängen. Christoph Cremer rezensiert das Buch Werner Heils „Empirische Untersuchungen an Prisma und Gitter. Neue Blicke auf Newton und Goethe. SchneiderEditionen, Stuttgart 2021“, der die Nachstellung zahlreicher Versuche Goethes zur Begründung seiner Farbenlehre beschreibt. (S. 227–234). Was hat die Goethesche Farbenlehre mit der modernen Optik zu tun? Darüber werde, so Cremer, bis heute gestritten. Auf der einen Seite stehen nach Isaak Newton viele weltberühmter Physiker bis hin zu Werner Heisenberg. Auf der anderen Seite steht der dichterisch begabte Dilettant Goethe „dessen Widerspruch zu Newtons bahnbrechender optischer Untersuchung aus heutiger Sicht unverständlich ist“. (S. 227)
Heil arbeitet in dem mit zahlreichen Farbtafeln ausgestatten Band heraus, dass Goethe bei den Experimenten in der noch jungen Wissenschaft Newton an Zahl, Präzision und Deutlichkeit der beschreibenden Darstellung der an der Hell-Dunkel-Grenze erscheinenden Farbphänomene überlegen ist. Cremer fügt an, dass Goethe auch die Versuchsanordnungen Newtons nachstellte.
Heil stellt die Goetheschen Versuche nicht nur so genau wie möglich nach sondern kommentiert ebenso die dem damaligen Wissensstand entsprechenden Anordnungen und die Ergebnisse der Versuche. Heil stellt zudem Newtons Ausführungen in den 1704 erschienenen „Opticks“ und die aus den Goetheschen Farbenlehre gegenüber.
Am Beispiel des „Brechungsgesetzes des Lichtes“ macht Cremer auf die wesentliche Seite des Themas aufmerksam: „Wenn die ‚Richtigkeit‘ einer Theorie durch ihre unmittelbare Brauchbarkeit für weiterführende quantitative Untersuchungen aufgrund mathematisch formulierbarer Modelvorstellungen und ihre praktische Anwendbarkeit in der Konstruktion optischer Instrumente gegeben ist, dann hatte die Newton’sche Annahme, dass weiß erscheinendes Sonnenlicht aus kleinen, schnell bewegten materiellen Teilchen bestimmter ‚Farbqualität‘ besteht, die durch Glaskörper in verschiedene Richtungen abgelenkt und hierdurch in unterschiedliche Farben aufgespalten werden können, ihre eindeutigen Vorteile …“ (S. 230)
(Cremer fügt an, dass Newtons Sicht in der Wissenschaft nicht unumstritten war. Gottfried Wilhelm Leibniz äußerte sich zum Beispiel skeptisch zur Reduktion von Licht auf Teilchen.)
Weiter Cremer: „Wenn die ‚Richtigkeit‘ einer Theorie allerdings darin gesehen wird, dass sie zu langfristigem Nachdenken anregt, dessen Früchte vielleicht erst Jahrhunderte später reifen, dann ist Goethes Farbenlehre auch heute noch aktuell und im vergangenen 20. Jahrhundert haben einige seiner bedeutendsten Physiker die Beschäftigung mit Goethes Farbenlehre weitergeführt.“ (S. 230 f.)
Cremer betont immer wieder, dass beide Herangehensweisen ihre Berechtigung haben. Die von Newton ersonnenen Spiegelteleskope ermöglichen einen Blick in Milliarden Lichtjahre entfernte Welten. Auf Goethes Wirken gehe dagegen die modernen Mikroskope zurück. 1825 gründete Goethe die Jenaer Glashütte zur Herstellung von Präzisionsoptik. Als Sponsorin trat die Weimarer Großherzogin Maria Pawlowna (1783–1853) auf, die Schwester der Zaren Alexander I. und Nikolaus I. Zum Direktor der Glashütte ernannte Goethe seinen „Farbassistenten“ Friedrich Körner, den er gleichzeitig zum Dozenten an der Jenaer Universität ernannte. Einer der besten Studenten Körners an der Jenaer Universität war Carl Zeiss. Der gründete 1846 eine Optikwerkstatt und fertigte ständig verbesserte Mikroskope: „1880 waren die von Zeiss gebauten Mikroskope die besten der Welt …“
Cremer führt weiter an, dass Goethe gemeinsam mit dem jungen Jenaer Physikprofessor Johann Wilhelm Ritter auf Basis seiner Farbenlehre die ultraviolette Strahlung und die wellenabhängige Fluoreszenz entdeckte: „Als ein weiteres Beispiel für die Bedeutung der von Goethe und Ritter entdeckten Fluoreszenz und ihrer ‚chemischen Wirkung‘ sind in den letzten Jahrzehnten eine Reihe von Methoden entwickelt worden, die bislang für absolut gehaltene Grenze der optischen Auflösung in der Lichtmikroskopie in dramatischer Weise zu überwinden, genauer gesagt, zu umgehen. Seit kurzem werden diese ‚Nanoskopie‘-Methoden sogar für die Erforschung von ‚Mikroben‘ nutzbar gemacht; selbst einzelne Viren kann man damit sichtbar machen. Konzeptuell beruhen derartige ‚superauflösende Lichtmikrokospieverfahren‘ auf einem der Farbenlehre nahestehendem Prinzip, das von Goethe wie folgt formuliert wurde: ‚Nunmehr behaupten wir, […] daß […] Hell, Dunkel und Farbe zusammen allein dasjenige ausmachen, was den Gegenstand vom Gegenstand, die Teile des Gegenstandes von einander, fürs Auge unterscheidet. Und so erbauen wir aus diesen Dreien die sichtbare Welt […] (MA, S. 20)“
Cremer verweist auch auf den Einfluss der grundlegenden Gedanken Goethes zur Wechselwirkung von Licht und Materie für die Entwicklung der Quantenphysik.
Einzig der mehrdeutigen Verwendung des Ausdruckes „Richtigkeit“ zur Kennzeichnung der Auffassungen Newtons und Goethes können wir nicht ganz folgen. Cremer verwendet zunächst das apostrophierte Wort „Richtigkeit“, um die Herangehensweise des wissenschaftlichen Mainstreams zu benennen. Aber in Bezug auf ‚Richtigkeit‘ unterscheiden sich auch wesentlich Newtons und Goethes Methoden.
Bei dem ausschließlich induktiv vorgehenden Newton werden quantifizierte Ergebnisse folgerichtig abgeleitet. ‚Richtigkeit‘ im Sinne von Folgerichtigkeit, nicht Wahrheit, ist für diese Denkweise charakteristisch
Goethe verbindet methodisch dagegen die Gegensätze eines nicht vollständig quantifizierbaren Naturganzes mit quantifizierten Messergebnissen, die Deduktion mit der Induktion. Der Deduktion des Naturganzen liegt eine Art Streben nach dem Absoluten zugrunde. Die Vereinigung von Deduktion und Induktion als Methode, um sich der absoluten Wahrheit zu nähern, wurde von Leibniz entwickelt und ist zum Beispiel in den Thesen „Natur und Gnade“ nachvollziehbar. In den „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ skizzierte der Leibniz-Kenner Johann Gottfried Herder diese Methode: „Wenn ich also das große Himmelsbuch aufschlage und diesen unermeßlichen Pallast […] vor mir sehe: so schließe ich, so ungeteilt als ich kann, vom Ganzen aufs Einzelne, vom Einzelnen aufs Ganze.“ (Herder Werke in drei Bänden. Hrsg. Wolfgang Proß, München/Wien 2002, Band 3.1, S. 18) In einem Brief an seinen Sohn Sigmund August vom 31. Januar 1799 ergänzte Herder, dass dies an sich eine kahle Regel sei. Erst in der Anwendung werde sie reich und klar. Der „dichterische Dilettant“ Goethe wendet diese Methode erfolgreich an. „Dilettant“ heißt eigentlich „Liebhaber“. Philosophen sind nach Plato die Liebhaber der Weisheit, weil sie nach der Weisheit, die sie nicht besitzen können, streben. Goethe war in diesem Sinne Philosoph.
Information
Goethe Jahrbuch 2022, Wallstein-Verlag Göttingen 2023. 240 S. ISBN 978-3-8353-5511-8
Das Jahrbuch XVI/2022 der Internationalen Herder Gesellschaft wird von Rainer Godel und Johannes Schmidt herausgegeben. Bereits in der Einleitung müssen die Herausgeber die Relevanz der Herder-Forschung jenseits von simplen Aktualisierungsforderungen und abstrakten Verurteilungen verteidigen. Danach wird an den 2021 verstorbenen Lessing- und Herder-Kenner Hugh Barr Nisbet (1940–2021) erinnert. Wir selbst erlebten ihn am 26. September 2008 in Kamenz mit der Vorstellung seiner umfänglichen Lessing-Biographie. Als der junge Moderator ihn fragte, ob Lessing seinen „Nathan“ und sein Plädoyer für Toleranz auch nach dem 11. September 2001 noch geschrieben hätte, antwortete Nisbet grundsätzlich: 1. Lessing lebte im 18. Jahrhundert, 2. Der Ausdruck „Toleranz“ wird im Nathan-Text nur drei Mal verwendet, davon zwei Mal mit pejorativer Bedeutung, 3. Toleranz war Lessing zu wenig. Er half ausgegrenzten und benachteiligten Menschen selbst. Das war Hugh Barr Nisbet.
Es folgen einige spezielle Untersuchungen, die sich vorwiegend mit der Herder-Rezeption befassen. Auf den Seiten 137–176 findet der Leser eine gründlich Herder-Bibliographie Wolfram Wojteckis von der Weimar Anna-Amalia-Bibliothek. Monika Nenon überschreibt ihren Beitrag mit „Von Lessing und Rousseau zur Imperialismus-Kritik. Herders Antworten auf Lessings Ernst und Falk. Gespräche für Freimaurer.“ Die Autorin stützt sich vor allem auf Herders Brief zur Beförderung der Humanität Nr. 26 und stellt Herders Grundsatz korrekt dar: „Die Glückseligkeit eines Volkes lässt sich dem andern und jedem andern nicht aufdringen, aufschwätzen, aufbürden. Die Rosen zum Kranz der Freiheit müssen von eigenen Händen gepflückt werden, und aus eignen Bedürfnissen, aus eigner Lust und Liebe froh erwachsen. Die sogenannt-beste Regierungsform, die unglücklicher Weise noch nicht erfunden ist, taugt gewiß nicht für alle Völker, auf Einmal, in derselben Weise; mit dem Joch ausländischer übel eingeführter Freiheit würde ein fremdes Volk auf ärgste belästigt.“ (FHA, Bd. 7, S. 734)
Aussagen dieser Art findet man mehrfach in Herders Werk. Warum wurde ihnen bislang in der akademischen Rezeption keine Bedeutung beigemessen? Für Herder wird die Überlieferung erst mit der Anwendung abgeschlossen. Vielleicht ist es angebracht einmal bisher vernachlässigte Anwender der Herderschen Philosophie einzubeziehen. Walther Rathenaus vielseitige Existenz hatte ihren inneren Zusammenhang in seiner Philosophie. Rathenau schreibt, wie Herder, leicht und essayistisch. Obwohl er Herder nicht zitiert, führt er in seinem Hauptwerk „Von kommenden Dingen“ (1917/ S. Fischer-Verlag) Herders Kant-Kritik weiter, bezeichnet die akademische Philosophie als bloße „Intellektualphilosophie“, analysiert die neuartige Verbindung von Industrie und Vernunft (= Mechanisierung = Gestaltung des menschlichen Lebens als eine große Maschine), regt den Einzelnen zur Stärkung seiner Seelenkräfte an, um der aus der Mechanisierung folgenden Durchdringung des Lebens mit finanziellem Effizienzstreben zu widerstehen, und formuliert ein Programm der nach Kriegsende anstehenden sozialen Reformen. Mit seiner Anwendung Herderscher Grundsätze ist Rathenau heute immer noch der Zeit voraus.
Information
Herder-Jahrbuch XVI/2022, Synchron Publishers, Heidelberg 2023 ISBN 978-3-947960-14-9
www.johann-gottfried-herder.net
Die von der Pirckheimer-Gesellschaft e.V. herausgegebenen „Marginalien, Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie“ erschien in der 249. Ausgabe (2023/2). Der Hauptteil beginnt mit einer historischen Darstellung der „Petersburg Press“ in London und New York. Es folgt aus der Feder Rainer Stamms ein umfangreicher und informativer Artikel über Kurt Freyer (1885–1973). Der studierte Philosophie, Literatur und Kunstgeschichte in Göttingen, Berlin, München und wurde 1909 promoviert. Er verfasste zahlreiche Sammlungskataloge: Folkwang-Museum Hagen (1912), Städtisches Museum Halle (1913), Kunstgewerbemuseum Flensburg. Nach dem Weltkrieg gründete er in Berlin „Utopia. Buchhandlung und Antiquariat“. In der Buchhandlung fand die erste Ausstellung des Fotografen Albert Renger-Patzsch statt. Als Antiquar trat Freyer als Vermittler wichtiger Museums-Erwerbungen hervor (Landesmuseum Oldenburg, Berliner Staatsbibliothek u.a.) Von der Weltwirtschaftskrise und der folgenden Machtübergabe an die NSDAP wurde die Buchhandlung schwer getroffen. Bereits im März 1933 emigrierte Freyer mit seiner Familie in die Niederlande. Es gelang sogar die Mitführung eines Teiles seines Bestandes. 1935 emigrierte die Familie nach Palästina und musste nocheinmal eine Existenz neu gründen. Freyer starb 1973 im Kibbuz Kfar Szold. Rainer Stamm vermag uns die kulturelle Leistung solcher „Unbekannter“, wie es Kurt Freyer bis heute ist, deutlich zu machen und schätzen zu lernen. Es folgen Artikel über die Malerin und Illustratorin Ruth Tesmar (Jg. 1951), die spannende Geschichte der Veröffentlichung eines Reprints des Buches „foto-auge“ von Roh/Tschichold aus dem Jahre 1973, ein authentischer Siebdruckbericht des Karikaturisten Harald Kretzschmar und eine Lebensbeschreibung des verstorbenen Verleger Gerhard Wolf (1928–1922). Unter den Rezensionen fiel uns besonders Ekkehard Schulreichs Besprechung des Buches von Manfred Jendryschik/Uwe Pfeifer: „Morgendunst und Rechteck. Bilder und Miniaturen“ vor. (Mitteldeutscher Verlag, Halle, 2022, 176 S.)
Information
Marginalien, Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie. 249. Ausgabe (2023/2) quartus-verlag, Bucha 2023. ISSN 0025-2948 www.pirckheimer-gesellschaft.org
Die Nummer 109 der Zeitschrift „Das Zündblättchen. Überelbsche Blätter für Kunst und Literatur.“ erschien mit Lyrik von Wolfgang E. HerbstSILESIUS (1935–2022). und Bleistiftzeichnungen von Else Gold, der Herausgeberin der Zeitschrift in der Edition Dreizeichen.
Auf S. 10 findet sich der Folgende Text: „Dort wo die Nacht dem Lichte will,/ da hält die Welt den Atem still/ für einen blauen Herzensschlag./ Es geht was unter,/ geht was an,/ nimmt was Abschied,/ bricht was Bahn.“
Information
E-Mail-Adresse: diedreizeichen@aol.com
Das Heimatjahrbuch 2023 Röhn-Grabfeld bringt auf 480 Seiten, in einer Art fortlaufender Chronik, 102 Artikel vom Leben in der Region. Wir finden kleine Anekdoten, Gedichte, Porträts von Künstlern, Berichte von schwerer Arbeit und heimatlichen Festbräuchen, Ausarbeitungen über Flur- und Ortsnamen, wie auch über Ereignisse im Dreißigjähren Krieg. Ein verständliches, gut illustriertes Kompendium der Heimatgeschichte. In einer Anzeige stellen sich die Überlandwerk Rhön GmbH vor. Das Unternehmen wurde 1920 aus der Not heraus zum Aufbau der Stromversorgung als Kreis- und Länderübergreifende kommunale Vereinigung gegründet. Die Lage im Dreiländereck der Bundesländer Bayern, Hessen und Thüringen brachte eine Schwächung durch die deutsche Teilung mit sich. Aber seit 1990 sind wieder 48 Gemeinden der Kreise Rhön-Grabfeld, Fulda, Wartburg-Kreis und Schmalkalden-Meiningen die Gesellschafter des Kommunalen Unternehmens und beliefern ihre Kunden mit auf eigenen Anlagen, alternativ produziertem Strom, wie mit TÜV-zertifiziertem ÖKO-Strom.
Vor einigen Jahren verwies die Akademie der Wissenschaften Österreichs darauf, dass kleine und mittelgroße Städte, die an Entindustrialisierung leiden, eine Zukunft hätten, wenn sie gemeinsam mit ihrem Umland alternativ Energie produzieren. Im Kreis Röhn-Grabfeld praktiziert man das seit 1920.
Information
Heimat-Jahrbuch des Kreises Rhön-Grabfeld 2023, Mellrichstadt 2023, ISBN 978-3942112-69-7
Der Altenburger Geschichts- und Hauskalender 2023 erscheint seit 1646. Nach einigen Unterbrechungen erscheint die Neue Folge im 32. Jahrgang. Das Buch beginnt mit einem Kalendarium des Jahres 2023. Es folgt eine allgemeine Chronik der Ereignisse des Jahres 2022 im Kreis Altenburg. Danach reihen sich Kurzrezensionen von Neuerscheinungen ein, die sich auf Altenburg beziehen. Es folgen Rückblicke auf wichtige Kultur- und Sportereignisse des Jahres 2022. Schließlich kommen Artikel mit Biographien, Natur- und Denkmalschutz u.a.
Das 224-Seiten-Buch endet mit Informationen zu Kultureinrichtungen.
Information
Altenburger Geschichts- und Hauskalender 2023. E. Reinhold-Verlag Altenburg 2023, ISBN 978-3-95755-078-1, www.vkjk.de
Die Zeitschrift „Das Bergglöckchen“, die Zeitschrift des Sächsischen Landesverbandes der Bergmanns-, Hütten- und Knappenvereine“ erschien mit einer Sonderausgabe zum 6. Sächsischen Bergmanns-, Hütten- und Knappschaftstag in Olbernhau/Grünthal. In kurzen, reich illustrierten Artikeln wird über die Geschichte der Stadt Olbernhau und der Saigerhütte Grünthal informiert. Eingeleitet wird die Ausgabe von einem Artikel von Oberberghauptmann Prof. Dr. Bernhard Cramer mit dem anspruchsvollen Titel „Goethes Faust II und das neu Berggeschrey“. Er wertet Goethes Text als Zustimmung zu heutigen Neuerschließungen von Bergbauprojekten im Erzgebirge. Das Interessante ist, dass man Goethe auch anders lesen kann. Das Schauspielhaus Chemnitz stellte in seiner letzten, ausgezeichneten Faust-II-Aufführung am Ende den Helden als eine Art von brutal-kalten Fondsmanager dar, der über Leichen geht.
Information
Das Bergglöckchen. Zeitschrift des Sächsischen Landesvereins der Bergmanns- Hütten- und Knappenvereine.
www.bergbautradition-sachsen.de
Die Zeitschrift 79Oktan – Das Magazin für Ostoldtimer – stellt im Heft 2/2023 nach einigen Kurzmeldungen im Aufmacher unter dem Titel „Kind seiner Zeit. Der Simson Spatz“ die Entwicklungs- und Produktionsgeschichte des erfolgreichen Mopeds aus den Simson-Werken in Suhl vor. Der Artikel über die Geschichte der Spatz-Serienproduktion (150.000 Stück) vermag uns ein differenziertes Bild der DDR-Fahrzeugindustrie zu vermitteln. Es folgen Dokumentationen über die Entwicklung des Tatra 613, das Schleizer Dreieckrennen, die Entwicklung des Campinganhängers QEK-Student, die nur zwei Jahre dauernde Motorroller-Produktion in Ludwigsfelde, den Werkstattalltag in einer Karl-Marx-Städter IFA-Werkstatt, die technische Ausstattung des DDR-Seenotrettungsdienstes und die Fahrzeugelektrik-Produktion in Ruhla FER. Die Zeitschrift leistet schon seit Jahren einen Beitrag zur sachgerechten Dokumentation der DDR-Industriekultur. Die Artikel sind sehr gut recherchiert, sehr gut lesbar geschrieben und durch umfängliche Abbildungen sehr anschaulich.
Information
79Oktan – Das Magazin für Ostoldtimer. 2/2023, ISSN2511-5952, www.79oktan.de
Das Heft 4/2023 der Zeitschrift „Austro-Classic. Das österreichische Magazin für Technik und Geschichte“ bringt auf 146 Seiten wieder eine Fülle an Sachberichten, Veranstaltungshinweisen, Klubnachrichten u.a. Neuigkeiten. Es beginnt mit interessanten Leserbriefen und einigen kurzen Berichten. Von Seite 20 bis 41 wird die Geschichte der Sud-Klasse von Alfa-Romeo erzählt. Die geniale Konstruktion des Österreichers Rudolf Hruska und die kongeniale Karosserie von Giorgio Giugiaro besaß bei der Premiere im November 1971 schon nicht mehr das Potenzial einer Klassen-Prägung, weil die Strukturpolitik des italienischen Staates die Produktion des Wagens in einem neu errichteten Werk in der Nähe Neapels mit ungelernten Arbeitskräften erzwang. So machten Qualitätsmängel, Streiks u.a. von Anfang an das die große Idee zunichte. Es folgen Berichte von Oldtimerrallyes in Österreich, Italien, Ungarn, Slowakei und Deutschland. Ein Glanzstück der Berichterstattung ist die Reportage von der 11. Radtour „In Velo Veritas“, die am 17./18. Juni in Mistelbach an der Zaya gestartet wurde. Es stehen drei Strecken zur Auswahl 70 km (für Genießer), 140 km (für Anspruchsvolle) und 210 km (für Epische). Die Veranstalter modifizierten für ihr Motto ein chinesisches Sprichwort: „Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen veranstalten Radfeste.“ Das 12. Radfest soll am 8./9. Juni 2024 in Retz starten. Vier Seiten Buchrezensionen runden das Heft, wie gewohnt ab.
Information
Austro-Classic. Das österreichische Magazin für Technik und Geschichte. 4/2023, www.austroclassic.net
Liebe Leserinnen und Leser, wir haben Ihnen ohne Frage einige Anstrengung zugemutet, hoffen aber, dass wir auch Vergnügen bereiteten. Erstens müssen wir die Zusammenhänge unseres Lebens versuchen zu erkennen, wenn wir nicht wie der Spezialist enden wollen, der von immer weniger Dingen immer mehr weiß, und der zum Schluss von NICHTS alles weiß. Zweitens ist ein Vergnügen ohne Anstrengung keines.
Johannes Eichenthal
Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.