Rezension

VON DEN MINNESÄNGERN BIS HERDER

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir veröffentlichen einen Gastbeitrag des bekannten Filmemachers und Autors Prof. Eberhard Görner. Johannes Eichenthal

Es gibt in der Bücherwelt kleine Verlage, die den Leser mit großen Werken bezaubern, so wie der Mironde Verlag in Niederfrohna, nahe Chemnitz. Er wird seit Jahren erfolgreich von dem promovierten Philosophen Andreas Eichler und seiner Frau Birgit Eichler, einer kompetenten Grafikerin, geführt. Ihr neuestes Werk »Von den Minnesängern bis Herder. Sprache und Eigensinn. Teil 1.« ist ein spannender Bilderbogen von Sprache und Dichtung aus der Landschaft Brandenburgs, Sachsen-Anhalts, Thüringens und Sachsens. »Literatur hat als Hintergrund immer auch Landschaft und Geschichte«, schreibt der Literaturwissenschaftler Klaus Walther in seinem Vorwort, denn »Burgen und Klöster, Wälder und Städte sind der Erlebnisraum mitteldeutscher Literatur. Aus solchen Vorgängen leben Texte und Bilder dieses Buches.« Andreas Eichler nimmt den Leser mit auf die Neuenburg zu Heinrich von Veldeke, auf die Wartburg zu Wolfram von Eschenbach und Walther von der Vogelweide. In Mechthild von Magdeburg begegnen wir einer Frau als Autorin des ersten philosophisch-literarischen Traktats in deutscher Sprache. In Erfurt erfahren wir von der Wirkung volkssprachlicher Predigt durch Meister Eckhart.

Foto: Prof. Eberhard Görner bei einer gemeinsamen Lesung mit Gojko Mitic in der LVZ-Arena auf der Buchmesse Leipzig

Es geht in allen Begegnungen mit großartigen Persönlichkeiten bis ins 18. Jahrhundert um Verstand und Sprache, um Selbsterkenntnis und Selbstbeherrschung, wie bei dem am 5. Oktober 1609 im erzgebirgischen Hartenstein geborenen Dichter Paul Fleming. Wenn Gottfried Wilhelm Leibniz in seinen Werken für Vernunft und Dialog plädiert, zeigt mir da nicht der Spiegel der Gegenwart unser heutiges gesellschaftliches Defizit? Caroline Neuber aus Reichenbach im Vogtland war die Begründerin des deutschen Theaters. Und in Zschopau arbeitete sein ganzes Leben lang Pfarrer Valentin Weigel, als Sohn armer Eltern 1533 in Naundorf bei Großenhain geboren, an seinen Traktaten, die er zu Lebzeiten nicht veröffentlichte. In dem Text »Erkenne dich selbst!« stellte er die These auf, »dass der Mensch alle Elemente in sich hat. Alle Tiere, Fische, Vögel, Kräuter, Bäume, Steine, Metalle sind in ihm, und von denen muss er seinen Leib ernähren und erhalten. Er isset und trinket dasjenige, aus dem er geschaffen ist.« Weigel nahm die Idee des Naturkreislaufs vorweg.
Weil es wahrscheinlich schon fünf nach zwölf für den Klimawandel steht, sollten die Erkenntnisse über das Naturrecht von Christian Thomasius, der Ende des 17. Jahrhunderts Mitbegründer der Universität in Halle an der Saale wurde, besondere Beachtung finden. Er warnte, dass der Mensch das Recht der Natur verletzt, aber die Gegenreaktionen der Natur langsam erfolgten, zunächst kaum sichtbar. Deshalb verdränge der Mensch einen Zusammenhang zwischen den Verletzungen, die er der Natur zufügt und deren Reaktionen darauf. Der Mensch muss seinen Platz im Naturkreislauf finden: »Denn das Recht der Natur ist ein Schluß der ruhigen/ nicht aber durch die Begierden verunruhigte Vernunft«, stellt Thomasius in seinem Werk ü̈ber das Naturrecht fest.
Wer das Buch »Von den Minnesängern bis Herder« mit seinen 320 Seiten in die Hand nimmt, hat auch gleichzeitig einen Reiseführer in der Tasche. Denn zu 20 Orten, die der Autor aufsuchte, gibt es eine übersichtliche Karte. Der Leser kann z.B. ohne Mühe die Ruine der Burg finden, auf der um 1260 der große Denker Eckhart von Hochheim auf Tambach, der spätere Magister/Meister Eckhart, geboren wurde. Als Professor in Paris lernte er das abstrakte Universitätswissen kennen. Im Gegensatz dazu dachte und predigte er in Erfurt auf eigensinnige Weise in der Volkssprache, um konkretes Wissen für die individuelle Existenz zu vermitteln.
Ohne Frage, Andreas Eichler ist ein Verehrer und Bewunderer von Johann Gottfried Herder, dem Weisen von Weimar. Dessen Erkenntnisse des Naturkreislaufs sind einfach und nachvollziehbar. Auch Herder fordert, dass wir uns in den Naturkreislauf einfügen. Dafür reichte Herder, wie Eckhart und Leibniz, das abstrakte Universitätswissen nicht aus. Die SprachVernunft (Logos) war in seinem Denken die wichtigste menschliche Disposition. Die Existenz des besonderen Individuums war sein Ausgangs- und Zielpunkt. Ihm ging es immer um die konkrete Anwendung des der Natur abgelauschten Wissens durch das verantwortungsbewusste Individuum zum Nutzen der Menschheit. Dafür entwickelte Herder eine eigenständige Methode. Sein Credo: Eine Wissenschaft, die das Besondere, das Konkrete nicht zu erfassen vermag, (die im abstrakten Vergleich verharrt – eg) die ist keine.
Das Personenlexikon vom 12. Jahrhundert bis 1744, dem Geburtsjahr Herders, bildet den Abschluss dieses fulminanten Buches, eine literarische Wanderung durch 600 Jahre mitteldeutsche Geschichte, die ohne Zweifel auch eine großartige mitteleuropäische Geschichte ist.
Eberhard Görner

Bestellmöglichkeit: http://buchversand.mironde.com/epages/es919510.sf/de_DE/?ObjectPath=/Shops/es919510/Products/9783960630258

Information
Andreas Eichler: Von den Minnesängern bis Herder. Sprache und Eigensinn. 23,0 × 23,0 cm, 320 Seiten, fester Einband, zahlreiche Abbildungen, VP 29,90 €
ISBN 978-3-96063-025-8

Der zweite Teil soll die Zeit von Herder bis zum Ende des 20. Jahrhunderts umfassen.

Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.

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