Am 2. Oktober luden Stadtbibliothek Zschopau und Mironde Verlag in den Grünen Saal von Schloss Wildeck zur Buchpremiere »Von den Minnesängern bis Herder. Sprache und Eigensinn. Teil 1« ein.
Frau Dost, die Leiterin der Stadtbibliothek Zschopau, begrüßte die Gäste zur Buchvorstellung mit Foto-Präsentation.
Es war bereits dunkel am Abend des 2. Oktober. Es sollte ein literarischer Reiseführer durch Mitteldeutschland vorgestellt werden, in dem auch der ehemalige Zschopauer Pfarrer Valentin Weigel eine Rolle spielen sollte. Die Veranstaltung hatte um 19 Uhr begonnen. Ich war etwas spät. Die Umleitungen in der Stadt machten die Sache nicht besser. Endlich kam ich auf dem Schlossparkplatz an. Wohin? Zum Glück sah ich das Fahrzeug des Mironde Verlags im Schloss vor einer Tür. Das Treppenhaus dunkel und ich finde den Lichtschalter nicht. Im ersten Stock – nichts. Im zweiten Stock höre ich Stimmen. Vorsichtig öffne ich eine Tür – und blicke in einen dunklen Raum. Nur auf einer Leinwand erstrahlt ein Foto aus Tambach-Dietharz. In der hintersten Reihe ist noch Platz. Wo bin ich hingeraten? Langsam tritt aus der Dunkelheit ein Rednerpult und danach ein Mensch hervor. Dieser erzählt den Zuhörern gerade, dass Eckhart von Hochheim auf Tambach um 1260 auf Burg Altenfels, in der Nähe von Tambach-Dietharz, geboren wurde. Nach dem Studium in Köln und Paris wurde er Prior des Erfurter Dominikanerklosters. Dort hielt er zwischen 1294 und 1302 Predigten in mittelhochdeutscher Sprache in einem bis heute beindruckendem literarischen Stil. An der Universität von Paris hatte er den abstrakten Universalismus der Papstkirche kennengelernt. Glaube wurde mit dem Dogma gleichgesetzt und Vernunft mit der instrumentalisierten aristotelischen Logik. Diese Logik war aber nur zur folgerichtigen Darstellung bereits bekannten Wissens geeignet. Neue Erkenntnisse waren damit nicht zu erlangen. In der volkssprachlichen Predigt habe Eckhart das Verhältnis von Gnade und Natur neu und konkret zu fassen versucht. Mit der Trennung von Glaube und Werk habe Eckhart die Forderung nach Selbsterkenntnis eingeleitet. Wir sollen weniger darüber nachdenken, was wir tun wollen, als darüber, was wir sind. Es geht um den Grund unseres Seins, den Abdruck Gottes in unserer Seele zu finden. Dazu hülfen uns keine guten Taten, keine Selbstkasteiungen oder etwa Spenden, nur Gelassenheit, d.h. das Fallenlassen aller für unser Leben unwichtigen Dinge, und die wohlgeübte Abgeschiedenheit. Erst dadurch gewännen wir Teilhabe an Gott als vernünftigem Sein. Gnade und Natur bedingten sich gegenseitig. Der Weg zu Gott sei ein geistiger, sei mit Besonnenheit zu gehen. Diese Gedanken Eckharts waren 1294 so interessant, wie heute. Aber nach einer Denunziation und einer Verurteilung einzelner Sätze Eckharts durch den Vatikan sei die Erinnerung an sein Werk im Orden ausgelöscht worden. Dennoch wurden Texte und Gedanken Eckharts überliefert. So habe im 14. Jahrhundert ein Text eines anonymen Autors mit dem Titel »Der Frankfurter« mit Gedanken Eckharts Aufsehen erregt. Martin Luther habe diesen Text, den er für ein Werk Johannes Taulers hielt, mehrfach neu herausgegeben und den Titel »Theologie deutsch« geprägt. Aus dem Text habe Luther wesentlich seine Argumentation für die Trennung von Glaube und Werk gewonnen. In den so genannten »Ablassthesen« habe Luther erstmals verkündet, dass wir nicht durch gute Taten erlöst werden, sondern durch den Glauben und göttliche Gnade. Das Bibelstudium sah Luther als Grundlage des Glaubens an: »Allein die Schrift!«
Thomas Müntzer habe auch die »Theologie deutsch« gekannt. Er vermochte aber nicht Luther in dem wichtigen Punkt des Eckhartschen Ansatzes – der Trennung von Glaube und Werk – zu folgen. Grundlage des Glaubens ist für Müntzer das göttliche Wort in unserer Seele, nicht die Bibel. Abgeschiedenheit und Gelassenheit seien Voraussetzung dafür. Aber Müntzer wollte den Zerfall der Gesellschaft aufhalten. Deshalb setzte er Glaube und Gerechtigkeit gleich. Seine Forderung nach gerechten Taten schloss ein, dass man auch Krieg führt und das eigene Leben opfert.
Nachbildung der Grabplatte Valentin Weigels in der Zschopauer Kirche
Nun kam der Redner endlich zu Valentin Weigel. Lange hatte ich darauf warten müssen. 1567 war Weigel als Pfarrer in Zschopau in sein Amt eingeführt worden. Er hatte seit 1554 in Leipzig und Wittenberg mit kurfürstlichen Stipendien studiert. Zschopau, das Jagdschloss Wildeck, war ein Ort, an dem kurfürstliche Staats-Jagden begannen und endeten. Die Kirche wurde mit einem besonders gebildeten Pfarrer besetzt. Weigel sei in Wittenberg von Dekan Paul Eber promoviert worden. Er habe dort neben der »Theologie deutsch« auch Texte Meister Eckharts kennen gelernt. Neben seiner seelsorgerischen Tätigkeit habe Weigel in Zschopau viele Schriften verfasst, die aber nur im Freundeskreis kursierten. (Erst nach Weigels Tod im Jahre 1588 wurden dessen Schriften gedruckt.) Der Redner hob eine der frühen Schriften besonders heraus. Sie trägt den Titel »Erkenne dich selbst und Gott.« Der Zusammenhang von Makrokosmos und Mikrokosmos (Mensch) sei ein zentraler Ansatzpunkt gewesen. Weigel habe auf die neueren wissenschaftlichen Erkenntnis reagiert, indem er die Unterschiede zwischen Gnade und Natur hervorhob. Das Buch sei deshalb in zwei unterschiedliche Erkenntnisarten unterteilt: im »Licht der Natur« habe Weigel die Metaphern biblischer Darstellung erklärt. »Der Mensch als Erdenkloß« sei zu verstehen, dass im Menschen alle Mineralien, Salze, Säuren, Basen aber auch Pflanzen und Tiere enthalten seien, die auf Erden vorkommen. Die Darstellung gipfele in der Weigelschen These, dass der Verstand alle Sinneswahrnehmungen zusammenfasse und in innere Bilder umwandle. Damit brachte Weigel die physiologischen Grundlagen der Selbsterkenntnis auf den Punkt. Die postum erschienen Bücher Weigels wurden die Grundlage des Ketzer-Vorwurfs von kirchlicher Seite. 1624 wurden Weigels Bücher in Chemnitz öffentlich verbrannt.
Weigels Ansatz sei später von Jakob Böhme weitergeführt worden, der Weigel aber aus Selbstschutz nicht zitierte. Die Zusammenfassung der Sinneswahrnehmung habe Böhme mit der Signatur, der Bezeichnung in Sprache in Verbindung gebracht.
Gottfried Wilhelm Leibniz habe Weigelsche Texte gelesen und Notizen angebracht. Auch er habe nicht gewagt, den Autor zu zitieren. Doch in der Kontroverse mit John Locke sei der Weigelsche Einfluss auf Leibniz deutlich geworden. Locke habe geschrieben: »Nichts ist in unserem Verstande, was nicht zuvor in unseren Sinnen war.« Leibniz habe auf diese Vorstellung eines zeitlichen Nacheinander mit der Immanenzthese geantwortet: »Außer dem Verstand selbst«. Leibniz begriff den Verstand in Weigelscher Tradition als inneren Zusammenhang der Sinneswahrnehmungen.
Auf dem theologischen Gebiet, im »Licht der Gnade«, habe Weigel leider dem Lutherschen Ansatz nicht folgen können. Er sei hinter die Trennung von Glauben und Werk zurückgefallen und habe in Trübsal, Leiden, Jammer und Opfer die Erlösung sehen wollen.
Diese These vom Zusammenhang des Weigelschen und des Leibnizschen Denkens war für mich neu. Ich musste darüber nachdenken und verlor den Anschluss. Der Vortrag ging an mir vorbei. Der Referent sprach von dem Pädagogen Wolfgang Ratke, dem Dichter Paul Fleming, dem Erfinder Ehrenfried Walther von Tschirnhaus, dem Juristen Christian Thomasius, dem Musiker Johann Sebastian Bach, der Begründerin des deutschen Theaters Caroline Neuber, dem volkstümlichen Erzähler Johann Gottfried Schnabel, dem Historiker und Kunstkenner Johann Joachim Winckelmann, dem Altphilologen und Wissenschaftsorganisator Christian Gottlob Heyne und dem Literaten und Literaturhistoriker Gotthold Ephraim Lessing. Erst hier bekam ich den Zusammenhang wieder zu fassen. Der Redner verwies auf Johann Gottfried Herder, der in seinen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit Formulierungen gebrauchte, die man für Weigelsche Gedanken halten könnte. Dennoch habe der Weimarer Generalsuperintendent Herder nicht gewagt, Weigel zu zitieren, um nicht als »Abweichler« gebrandmarkte und verfolgt zu werden. Herder habe den Weigelsch/Leibnizschen Verstandesbegriff erweitert. Bei Herder sei es die SprachVernunft, die den Zusammenhang der Sinneswahrnehmungen, die Selbsterkenntnis leiste. In der SprachVernunft konstituiere sich unser Eigensinn, d.h. unsere Fähigkeit zur Analyse, zur Kommunikation und zur Selbststeuerung. Der Punkt, in den bei Herder alles zusammenfließe heiße: Besonnenheit.
Hier endete der Vortrag. Das Licht ging an und ich entdeckte einige Bekannte unter den Zuhörern. Jetzt erfuhr ich, dass bereits um 18.00 eine Führung durch die Kirche erfolgte. Bei einem guten Wein wurde an diesem Abend im grünen Saal noch lange über den großen Denker Valentin Weigel, der in der Linie von Meister Eckhart, Martin Luther, Jakob Böhme, Gottfried Wilhelm Leibniz und Johann Gottfried Herder steht, diskutiert.
Erst in der Diskussion erfuhr ich, dass Hermann von Strauch die Besucher bereits um 18 Uhr durch die Kirche führte und die Grabplatte Valentin Weigels erläuterte.
Die Leiterin der Bibliothek, Frau Dost, dankte dem Referenten und Herrn von Strauch (im Bild) für ihr Engagement.
Zschopau, Schloss Wildeck, dahinter die Kirche
Kommentar
Es ist schon bemerkenswert, dass Menschen am Vorabend eines Feiertages und eines »Brückentages«, die Möglichkeit nutzen, um den Zusammenhang von lokaler Kultur und der Kultur der Region Mitteldeutschland zu vertiefen. Der Stadtbibliothek Zschopau ist für die Organisation dieses einmaligen Zusammentreffens kultureller Enthusiasten zu danken. Der Mironde Verlag legte mit dem literarischen Reiseführer durch die Kulturgeschichte Mitteldeutschlands eine kompakte Sammlung von Informationen und Anregungen für aktive Menschen vor. Wir leben in einer der interessantesten Regionen unseres Landes. In Mitteldeutschland entstand die mittelhochdeutsche Sprache und mit dieser Sprache die innovative mitteldeutsche Mentalität. Der Verlag betonte, dass er die Buchpremiere bewusst im Wirkungsort Valentin Weigels durchführte. Es sei um ein Denk-Mal für Valentin Weigel gegangen. Warum gibt es eigentlich in Zschopau noch kein Valentin Weigel Denkmal?
Johannes Eichenthal
Weitere Vorstellungstermine »Von den Minnesängern bis Herder«
Mittwoch, den 9. Oktober 2019
Zwickauer Antiquariat und Buchladen
Hauptstraße 22, 08056 Zwickau
Eintritt 4,00 Euro
Um Platzreservierung wird gebeten: 0375 294075
Donnerstag, der 7. November 2019
Humboldt- und Agricola-Buchhandlung
Moritzstraße 24, 09111 Chemnitz
Eintritt frei
Um Platzreservierung wird gebeten: 0371 6761943
Information
In allen Buchhandlungen erhältlich
Andreas Eichler: Von den Minnesängern bis Herder. Sprache und Eigensinn.
23,0 × 23,0 cm, 340 Seiten, fester Einband, zahlreiche Abbildungen
VP 29,90 €
ISBN 978-3-96063-025-8
Die Litterata – Technik und Poesie in Mitteleuropa – ist ein Feuilleton des Mironde Verlags (www.mironde.com) und des Freundeskreises Gert Hofmann.